© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/11 10. Juni 2011

Die Geldschwemme treibt die Preise hoch
Finanzindustrie: Spekulation verteuert Rohstoffe und Lebensmittel / Bald auch Wasser im Visier der Finanzinvestoren?
Marco Meng

Der Globus ist von Geld überflutet: Während sich in den letzten drei Jahrzehnten die weltweite Menge von Gütern und Dienstleistungen nur vervierfachte, hat sich allein die Dollarmenge vervierzigfacht. Die Finanzmärkte sind trotz des Crashs noch immer um ein Vielfaches größer als die Realwirtschaft. Wäre das viele Geld auf breite Bevölkerungsschichten verteilt, würde dies zu einer Nachfrage führen, die höher als das Warenangebot ist – eine horrende Inflation wäre die Folge.

Doch die unglaublichen neuen Dollar-, Euro-, Pfund- und Yen-Mengen wandern nicht in den Konsum, sondern in überteuerte Vermögenswerte – diese Geldentwertung erfassen die Inflationsstatistiken nicht. Bis 2008 waren beispielsweise Immobilienpapiere ein beliebtes Anlagevehikel. Was machen Banken und andere Investoren heute mit dem Geldüberhang? Sie spekulieren weiter. Hinter jedem realwirtschaftlichen Vorgang (etwa dem Verkauf von Öl) stehen mittlerweile mehr als ein Dutzend Finanztransaktionen. Und immer neue „Finanzprodukte“ werden erfunden, mit denen man – zunehmend auch außerbörslich, also kaum reguliert – spekulieren kann. Die gewaltigsten Positionen haben in den vergangenen Jahren „Over-the-counter“-Derivate (OTC) zu verzeichnen. Das sind unregulierte Einzelverträge zwischen einzelnen Handelspartnern, deren Wertentwicklung sich in irgendeiner Form an die Preis­entwicklung von Rohstoffen anlehnt. Pensionsfonds und Privatanleger haben insgesamt mehr als 20 Billionen Dollar in Rohstoffe „investiert“.

Laut einer aktuellen Studie von Goldman Sachs wird der Preis für Nordseeöl der Sorte Brent zum Jahresende auf 120 Dollar je Faß steigen. Ende 2012 sieht die US-Investmentbank den Preis bei 140 Dollar. Sein Allzeithoch erreichte der Brent-Preis im Juli 2008 mit 147,50 Dollar – das war zwei Monate vor der Lehman-Pleite. Auch bei Industriemetallen rechnet Goldman Sachs mit höheren Notierungen. Doch die Nachfrage aus den Schwellenländern ist nur ein Aspekt der Preisspirale.

Schon Anfang 2010 hatten sich die von Großanlegern wie Hedgefonds an den US-Rohstoffbörsen gehaltenen Kaufkontrakte seit der Finanzkrise wieder mehr als verdreifacht. Die Pariser Warenterminbörse meldete bereits für den 22. Juli 2010 den bisherigen Rekordhandel – 50.165 Transaktionen an einem einzigen Handelstag. 70 Prozent aller Terminkontrakte werden von Marktteilnehmern gehandelt, die den Rohstoff weder produzieren noch verwerten. Vor allem Hedgefonds mischen hier aktiv und aggressiv mit. Und diese Spekulationen bewirken, daß die Preise von Rohstoffen längst nicht mehr durch Angebot und Nachfrage gebildet werden, sondern in hohem Maße Resultat von Spekulationen sind.

Ein Indiz dafür, daß die Wetten der Finanzspekulanten die Preise treiben, ist die immens gestiegene Zahl der offenen Kontrakte an den Terminmärkten für Öl, die ein Vielfaches des täglichen weltweiten Verbrauchs ausmachen. Das heißt, nicht einmal ein Prozent der börsennotierten Kontrakte werden tatsächlich physisch abgewickelt – es ist lediglich ein Austausch von Zahlungsströmen festzustellen.

Daß diese Spekulationen negative Auswirkungen auf die Realwirtschaft haben, steht fest. Besonders fatal ist dies bei Agrarrohstoffen. Die Fondsmanager sind dabei natürlich nicht am Weizen, dem Reis oder Mais selbst interessiert, sondern nur an den Kursschwankungen. Mit Terminverträgen, sogenannten Futures, können Bauern ihre Ernte frühzeitig verkaufen – Menge, Preis und Liefertermin lassen sich fest vereinbaren. Landwirte und Getreidegroßhändler sichern sich so gegen Wetterunbill und allzu große Preisschwankungen ab.

Diesen Mechanismus machen sich auch Spekulanten zunutze: Sie kaufen solche Lieferscheine etwa für Weizen günstig ein und wetten auf einen Preisanstieg, und das geht ganz einfach, es ist wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung, denn je mehr gekauft wird, um so höher steigen die Preise. Mit von der Partie sind auch kleinere Privatanleger. Agrarfonds, ob von Banken oder Fondsgesellschaften, werben mit Aussagen wie: „Mit Agrar-Fonds an Rohstoff-Rally teilhaben“. Viele moderne Kleinspekulanten starten bei Direktbanken oder Online-Brokern mit der Absicht, wie in Oliver Stones Film „Wall Street“ ein kleiner Gordon Gekko zu werden. 2007/08 wickelte allein CMC Markets weltweit über 20 Millionen Transaktionen ab, die ein Volumen von knapp 1,4 Billionen US-Dollar hatten. Die Tatsache, daß beispielsweise 3,4 Millionen Tonnen Kakaobohnen im Jahr geerntet, aber 60 Millionen Tonnen gehandelt werden, verdeutlicht das Ausmaß der Spekulationswelle. Gekauft und verkauft wird per Mausklick im Sekundentakt. Spekuliert wird auf steigende oder fallende Kurse – im stetigen Wechsel.

Hubert Weber, der bei Kraft Foods das Kaffeegeschäft in Europa verantwortet, forderte jüngst den Staat auf, endlich einzugreifen. Er beklagte offen, daß Spekulanten das Gleichgewicht auf dem Markt zerstörten. Ähnlich wie in den USA müsse auch in Europa ein Gesetz für mehr Transparenz sorgen. „Da sind Leute unterwegs, die nur auf dem Papier oder per Mausklick kaufen, um teurer weiterzuverkaufen ohne jedes Interesse an der Ware.“ Die Tendenzen verraten, was das nächste Spekulationsopfer sein könnte: Wasser. Die großen der Branche wie ABN, Société Générale, UBS, Merrill Lynch oder Goldman Sachs haben längst Fonds und Zertifikate für Wasser. Der älteste Investmentfonds dieser Art ist der Pictet Water Funds. Es scheint also nur eine Frage der Zeit zu sein, bis auch Trinkwasser auf Termin gehandelt – und damit teurer – wird.

Foto: Rohstoffbörse CME in Chicago: Selbst Weltkonzerne wie Kraft leiden

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