© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/11 10. Juni 2011

Merkels Türöffner
Demokratischer Aufbruch: Die Teilchenphysikerin nutzt die Wendezeit geschickt / Ihr Aufstieg zur Regierungssprecherin und Bundesministerin
Hinrich Rohbohm

Die Enttäuschung muß groß gewesen sein. Als Angela Merkel am Abend des 18. März 1990 die CDU-Wahlparty besuchen will, wird sie aufgrund der Sicherheitsvorkehrungen nicht durchgelassen. Gegenüber ihrem Biographen Gerd Langguth betont die Kanzlerin dennoch, sie sei dabeigewesen, habe mit dem heutigen Verteidigungsminister Thomas de Maizière gesprochen und appelliert, bei der künftigen Regierungspolitik nicht den Demokratischen Aufbruch (DA) zu vergessen. Thomas de Maizière ein Cousin von Lothar de Maizière, und Sohn des ehemaligen Generalinspekteurs der Bundeswehr, Ulrich de Maizière, fungiert damals als Berater seines Cousins. Gäste erinnern sich jedoch an Merkels Anwesenheit bei der DA-Feier, auf der später auch Lothar de Maizière erscheint.

Der Demokratische Aufbruch gründet sich am 1. Oktober 1989. Einem Stasi-Vermerk zufolge sei das „Vorhaben kirchenleitenden Personen der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg bekannt“ und werde von ihnen unterstützt. Es ist dieselbe Kirche, die in Person des bei der Stasi als IM „Sekretär“ geführten Konsistorialpräsidenten Manfred Stolpe den 1986 der MfS-Zentrale in Berlin unterstellten Diplomjuristen Wolfgang Schnur beauftragt, die Interessen von Inhaftierten aus der Friedens- und Umweltbewegung zu vertreten. Schnur, der eine eigene Anwaltskanzlei führen darf und gleichzeitig als Stasi-IM fungiert, wird zum DA-Vorsitzenden gewählt. Zu einem Zeitpunkt, als die Gruppe noch als linke Organisation gilt. So heißt es in einer Grundsatzerklärung vom 30. Oktober 1989: „Die kritische Haltung des Demokratischen Aufbruchs (DA) zum real-existierenden Sozialismus bedeutet keine Absage an die Vision einer sozialistischen Gesellschaftsordnung. Wir beteiligen uns am Streit um die Konzeption des Sozialismus.“ Einer Wiedervereinigung steht man ablehnend gegenüber, ein ökologischer Umbau der Industriegesellschaft ist zentraler Bestandteil des DA.

Positionen, die auch noch ihre Geltung haben, als Merkel im Dezember 1989 zum DA stößt. Nach intensiver Parteiensichtung sei sie beigetreten. Eine Beitrittserklärung existiert nicht. Es ist Wolfgang Schnur, der früh den Kontakt zur West-CDU sucht, sich betont konservativ gibt und sich als DDR-Regierungschef ins Gespräch bringt. Vor Bekanntwerden von Schnurs Stasi-Verstrickungen wird dem DA ein Wahlergebnis von bis zu 20 Prozent zugetraut.

Anfang 1990 sucht auch Merkel die Nähe zur CDU, unterzeichnet die „gemeinsame Berliner Erklärung“, in der eine Zusammenarbeit des DA mit Lothar de Maizières Ost-CDU, der West-CDU sowie der DSU untermauert wird. Dabei gibt in der DSU ein Mann den Ton an, der später diverse Stasi-Größen verteidigen wird: Peter-Michael Diestel. Der gelernte Jurist klopft Ende Oktober 1989 an die Haustür des Pfarrers Hans-Wilhelm Ebeling. Der hatte gerade die Christlich Soziale Partei Deutschlands (CSPD), einen Vorläufer der DSU, ins Leben gerufen, als sich der ihm unbekannte Diestel vorstellt und sich an der neuen Partei beteiligen will. Diestel, Sohn eines Stabsoffiziers an der NVA-Militärakademie Dresden, wird fünf Wochen später Generalsekretär. Es ist Lothar de Maizière, der ihn nach der Volkskammerwahl zum Innenminister befördert, womit auch die Auflösung des Amtes für Nationale Sicherheit – der Nachfolgeorganisation des MfS – in seinen Zuständigkeitsbereich fällt. Er versucht hierfür, den langjährigen Leiter der Stasi-Hauptverwaltung Aufklärung, Markus Wolf, als Berater zu gewinnen. Nach der Wiedervereinigung gründet Diestel gemeinsam mit Gregor Gysi, den er als „sympathischen und aufrichtigen Kerl“ bezeichnet, ein sogenanntes Komitee für Gerechtigkeit.

Merkel ist unterdessen als stellvertretende Regierungssprecherin im Kabinett vertreten, nimmt auch an den Einheitsgesprächen teil. Sie ist für die Betreuung der Pressevertreter zuständig. Das einstige SED-Organ Neues Deutschland bescheinigt ihr dabei „Intelligenz und Zuverlässigkeit“, lobt, daß die „gute und rechtzeitige Unterrichtung westlicher Medien“ ihr zu verdanken sei. „Als Regierungssprecherin war sie die beste und hilfreichste offizielle Quelle in Ost-Berlin“, bewertet auch Detlev Ahlers, Sohn des durch die Spiegel-Affäre bekannt gewordenen Conrad Ahlers und Patenkind von Herbert Wehner die spätere Kanzlerin in der Welt positiv.

Monate später soll nach JF-Informationen auch Angela Merkel an eine Tür geklopft haben. Nicht an der von Ebeling, sondern bei Günther Krause. Angeblich habe sie den Hochschuldozenten, der bereits seit 1975 der DDR-CDU angehört und schon vor der Wende als Kreisvorsitzender fungierte, um Hilfe gebeten. Er soll ihr das Bundestagsmandat für den Wahlkreis Rügen-Stralsund-Grimmen verschaffen. Krause, der sich zur Wende auffällig vehement für Einheit und Marktwirtschaft ausspricht, habe jedoch darauf verwiesen, daß es bereits einen Kandidaten aus dem Westen gebe. Merkel läßt sich nicht abweisen. Der Grund: Sie kann nicht an die Akademie der Wissenschaften zurückkehren, da diese aufgrund der Wiedervereinigung abgewickelt wird.

Krause muß schließlich nachgegeben haben, verschafft ihr einen Absicherungsposten. Ab dem 3. Oktober erhält Merkel eine Planstelle als Ministerialrätin im Presse- und Informationsamt, Besoldungsgruppe A 16. Schwieriger gestaltet sich die Kür zur Bundestagskandidatin. „Das ist schon komisch gelaufen“, erinnert man sich auf Rügen an das Nominierungsverfahren. Mit Klaus Hermann und Hans-Günther Zemke gibt es bereits zwei Bewerber aus dem Westen, am 16. September 1990 soll einer von ihnen nominiert werden. Der Entscheid kommt nicht zustande, Formfehler seien der Grund. Zudem herrscht Unklarheit, wie viele Delegierte die Ortsverbände entsenden dürfen. Einen Tag nach dem geplatzten Termin wird Merkel als Kandidatin gehandelt. Eine Wahlkreismitgliederversammlung soll nun am 27. September entscheiden.

Krause wirbt für Merkel. Gemeinsam mit dem Grimmener Landrat Wolfhard Molkentin, CDU-Ortsvorsitzender aus Vorwendezeiten und seit 1967 Blockpartei-Mitglied. Im ersten Wahlgang erhält Merkel 31,5 Prozent der Stimmen, Zemke 45,9 Prozent. Hermann ist mit 22,6 Prozent aus dem Rennen. Die Stichwahl bringt Merkel den Sieg. Doch war die spätere Kanzlerin zum Zeitpunkt ihrer Nominierung überhaupt CDU-Mitglied? Sie selbst nennt den Vereinigungsparteitag am 1. Oktober 1990 als Eintrittsdatum. Im Handbuch des Deutschen Bundestags von 1990 ist nur das Jahr vermerkt, ab 1994 der Dezember als Beitritt angegeben.

Am 30. Juni 1990 spricht sich Merkel auf einer Vorstandssitzung für die Fusion des Demokratischen Aufbruchs mit Lothar de Maizières Ost-CDU aus. Ein Vorgang, der im DA aufgrund der zahlreichen systemkonformen Blockflöten in der DDR-Union kontrovers diskutiert wird. Auf einem Sonderparteitag am 4. August beschließt die Mehrheit der DA-Delegierten dennoch die Fusion. Am 10. August gelingt es Merkel auf einer weiteren Vorstandssitzung, eines der drei DA-Mandate für den CDU-Vereinigungsparteitag am 1. und 2. Oktober in Hamburg zu erringen. Sie bewirbt sich auch für das Ticket zum CDU-Bundesvorstand, unterliegt am 31. August jedoch dem späteren sächsischen Staatsminister Hans Geisler.

Geisler ist es auch, der Merkels erste Begegnung mit Helmut Kohl auf dem Presseempfang am Abend vor dem Parteitag im Hamburger Rathauskeller ermöglicht. Merkel hat die Unterredung eingefädelt. Sie bittet Geisler, von dem sie weiß, daß Kohl ihn kennt, um Vorstellung. Kohl zieht sich mit der ihm unbekannten Merkel zum Gespräch zurück. Es wird ein auffällig langes Gespräch, das auf Kohl ungeheure Wirkung hinterlassen haben muß. Wenige Wochen später folgt eine weitere Unterredung im Bonner Kanzleramt. Dann wird Merkel Ministerin.

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