© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/11 10. Juni 2011
Fünf Tage Ausnahmezustand Wohnwagen und Zelte mit christlichen Symbolen sind ein ungewohnter Anblick am Elbufer in Laubegast. Sogar der idyllische Vorort im Dresdner Osten ist vom Kirchentag geprägt. Am Himmelfahrtstag haben die Christen allerdings noch starke Konkurrenz durch schwarz gekleidete Herren. Die feiern traditionell mit viel Bier und Schnaps Herrentag und sind gut drauf. Zu gut findet eine Gruppe älterer Kirchentagsbesucher mit grünen Halstüchern und der Aufschrift „... da wird auch dein Herz sein“. Man blickt konsterniert auf die fröhlich zechenden und Trinklieder singenden Zeltnachbarn. „Gute Gäste, keine Gäste“, sagt die vietnamesische Kellnerin abwechselnd auf beide Gruppen deutend. Der Wirt wird deutlicher: „Parasiten.“ Das Wort entschlüpft ihm, als ihn einer der Stammgäste nach den sicher dank des Kirchentages gestiegenen Umsatzzahlen fragt. Nein, den Teilnehmern des Glaubensfestes saß das Geld nicht so locker, wie es Staatsregierung und Kirchenführung prognostiziert hatten, um den Volkszorn zu besänftigen. Daß der zur Zeit an allen Ecken und Enden sparende Freistaat für die Finanzierung des Kirchentages 5,5 Millionen Euro und die Stadt Dresden weitere 2,25 Millionen Euro zur Verfügung stellte, schmeckte vielen der mehrheitlich nicht kirchlich gebundenen Sachsen nicht. Bereits im Herbst hatten die politische Opposition im Landtag und im Stadtrat nicht nur diese Zuschüsse in Frage gestellt, sondern die jährlichen Staatszuschüsse Sachsens von 21,9 Millionen Euro an die evangelische Kirche überhaupt. Landesbischof Jochen Bohl sah sofort den „demokratischen Rechtsstaat“ in Gefahr: Auch vor mehr als 200 Jahren geschlossene Abkommen, Bohl bezog sich auf 1803, müßten erfüllt werden. Die Diskussion über die Zuschüsse sei eine „im allerkleinsten Karo“. Schließlich seien Sachsen und Dresden „weltoffene, einladende Gemeinwesen“. Im Fall von Dresden tat sich genau die Differenz zwischen einer – wie schon zu Zeiten Augusts des Starken – katholisch dominierten Staatsführung und einer CDU-Mehrheit im Rathaus auf der einen, sowie einer Bürgerschaft auf, die zu 85 Prozent längst der Institution Kirche den Rücken gekehrt hat. Die Christdemokraten setzten sich durch: Der Kirchentag habe auch bei Finanzfragen Priorität. Die Einwohner Dresdens reagierten auf ihre Weise auf die fünftägige Okkupation: Wer nicht christlich gebunden oder in die Rolle des Gastgebers geschlüpft war, suchte das Weite. Zwar betonte Ellen Ueberschär, Generalsekretärin des Kirchentages, vor dem Protestantentreffen an der Elbe, daß dieses keine Kommerzveranstaltung, sondern „eine religiös motivierte Begegnung mit einem immateriellen Wert“ sei; worum es aber wirklich ging, gestand sie am Wochenende im Vergleich von drei Kirchentagen in drei Jahren: „Bremen war toll, München bewegend – und Dresden schlägt alles!“ Gigantomanie also. Rund 120.000 Dauerteilnehmer, mehr als 2.000 oft überfüllte Veranstaltungen mit eingeflogener Politprominenz, Konzerte, Gottesdienste. Ein Meer aus weißen Zelten inmitten sanierten Barocks. Auf den grünen Elbwiesen glänzte ein riesiges weißes Kreuz, und in der historischen Innenstadt herrschte ein fünftägiger Ausnahmezustand. Schulen blieben geschlossen, weil sie als Übernachtungsquartiere benötigt wurden. Die Lokalzeitungen warben mit Verweisen auf den Innenteil: „Wie und wo Sie sich in den nächsten Tagen durch Dresden bewegen können, lesen Sie im Lokalteil.“ Schon am ersten Tag brach zeitweise der Verkehr in der Innenstadt und an den Autobahnabfahrten zusammen. Am Elbufer versammelten sich Zehntausende zu Gottesdiensten. Daß sich erst während der Eröffnungspredigt von Landesbischof Bohl die Sonne durch die grauen Wolken kämpfte, feierte die Bild-Zeitung unter der Überschrift „Beim Segen riß der Himmel auf“. Heinz Eggert, früherer sächsischer Innenminister und in Nachwendezeiten als „Pfarrer Gnadenlos“ zu einigem Ruhm gekommen, ätzte frühzeitig über das Treffen: Dieser Kirchentag in Dresden sei im Vergleich zu dem 1983 „organisatorisch durchgestylter, teurer, professioneller, selbstdarstellerischer, eitler“. Ihre eigene Krise streifte die evangelische Kirche in den vergangenen Tagen nur am Rande. Während Parteien, Gewerkschaften und Verbände an Bedeutung verlören, seien die Kirchen trotz Mitgliederverlusten heute stärker als noch vor dreißig Jahren, versicherte Günther Beckstein, Vizepräses der EKD-Synode. Allerdings räumte der frühere Innenminister Bayerns ein, daß die zentrale Frage bleibe, wie es den Kirchen gelinge, ihre Mitglieder und Menschen überhaupt zu erreichen, und daß „wir uns oft zu sehr mit technischen Fragen und Planstellen beschäftigen“. Zu wenige Intellektuelle würden den Beruf eines Pfarrers ergreifen, mahnte der Münchner Theologieprofessor Friedrich Wilhelm Graf. Theologen sollten sich mit der intellektuellen Tradition ihrer Kirche beschäftigen, statt über persönliche Erlebnisse zu predigen. Priester als Vermittler hielt dagegen der Berliner Religionssoziologe Hubert Knobloch in einer Wissensgesellschaft, in der religiöses Wissen jedem jederzeit zur Verfügung stehe, für entbehrlich. Grünen-Vorsitzende Claudia Roth schwatzte zum Thema „Frauen – Macht – Erfolg“, eine andere Gesprächsrunde – speziell für Frauen – thematisierte Schuldgefühle beim Kleiderkauf. Warum aber das Christentum beispielsweise in Sachsen kaum noch eine Rolle spielt, die Zahl der evangelischen Dresdner von 85 Prozent 1949 auf heute 15 Prozent gesunken ist, wurde kaum diskutiert. Statt dessen wünschte sich Bundespräsident Christian Wulff mehr Ehen zwischen Muslimen und Christen sowie einen stärkeren Zuzug von Juden aus Osteuropa. Zu den aus evangelischer Sicht wichtigen Fragen der Zeit gehörte auch die, ob Jugendliche, die „rechtsextremistisches“ Gedankengut verbreiten, konfirmiert werden dürfen. In einem Planspiel wurde das Thema mit rund 300 Jugendlichen diskutiert. Nach dreistündiger Debatte sprach sich eine Mehrheit gegen ein Konfirmationsverbot aus. Schließlich könnte das Beispiel Schule machen und künftig auch andere Andersdenkende, wie beispielsweise die Bezieher von Atomstrom, nicht zur Konfirmation zugelassen werden. Daß von Dresden ein Signal ausgeht, daß „der Glaube in dieser Stadt gewohnt hat und weiter wohnt“, hatte sich Ellen Ueberschär gewünscht. Vor allem feierten sich die Christen aber selber und trösteten sich darüber, daß sie weder Antworten auf die Fragen der Zeit, noch, wie alle angeblichen Massenorganisationen, Rückhalt in der Bevölkerung haben. Zumindest im verweltlichen Mitteldeutschland, der einstigen Wiege des Protestanismus. Immerhin werden die Besucher des 33. Evangelischen Kirchentags Kraft geschöpft haben, endlich „ein Bad in der Menge“ genommen zu haben, wie eine Leserin in der Lokalzeitung schrieb: „Viele Christen aus dem Osten sind an jämmerlich kleine Zahlen in der Gemeinde vor Ort gewöhnt.“ Foto: Besucher des Evangelischen Kirchentages in Dresden: Schulen blieben geschlossen, weil sie als Übernachtungsquartiere benötigt wurden |