© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/11 10. Juni 2011

Propagandist des Generalstreiks
Schlüsselwerke für Konservative: Georges Sorel „Über die Gewalt“ / JF-Serie (3)
Alain de Benoist

Georges Sorel will in keine Schublade passen. Als junger Mann war er stark beeinflußt von der Philosophie Bergsons und dem Denken Pierre-Joseph Proudhons, aber auch von einigen Werken Nietzsches. 1893 wurde er Marxist, ergriff in der großen Debatte der Jahrhundertwende Partei für Eduard Bernstein gegen Karl Kautsky und entwickelte sich ab 1905 zum Vordenker des von Fernand Pelloutier begründeten revolutionären Syndikalismus. Zusammen mit seinem Freund Edouard Berth initiierte er zur selben Zeit einen Dialog mit den jungen Royalisten, die sich im Cercle Proudhon um Georges Valois versammelten. Der „heiligen Union“ von 1914 brachte er tiefe Abscheu entgegen, verdammte den Krieg und begrüßte die Russische Revolution.

„Über die Gewalt“ ist eine Verteidigungsschrift zugunsten der Ideen des revolutionären Syndikalismus, der 1906 mit der Annahme der Charta von Amiens durch die Confédération générale du travail (CGT) seinen endgültigen Durchbruch erlebt zu haben schien. Das Buch ist in sieben Kapitel unterteilt, hinzu kommen drei Anhänge und ein Brief von Daniel Halévy zur Einleitung. Es beruht auf einer Artikelserie, die Sorel ab Januar 1906 in Hubert Lagardelles Zeitschrift Le Mouvement socialiste (und später in der italienischen Zeitschrift Il Divenire sociale) veröffentlichte. Ab 1920 enthielten Neuauflagen auch den berühmten Text „Für Lenin“, den Sorel einige Jahre vor seinem Tod verfaßte.

Der Anti-Etatist und Anti-Jakobiner Sorel verficht eine Vorstellung der gesellschaftlichen Wirklichkeit, die pessimistisch und heroisch zugleich ist. Mit der Fortschrittsideologie hat er gebrochen; ihr Determinismus und Optimismus scheinen ihm inakzeptabel für die Arbeiterbewegung. Die Demokratie als „politische Form des Bürgertums“ lehnt er ebenfalls ab. „Die größte Bedrohung für den Syndikalismus“, erklärt er, „wäre jeglicher Versuch, die Demokratie zu imitieren.“ Die Arbeiterbewegung fordert er auf, Distanz zu den politischen Parteien zu wahren und sich statt dessen gewerkschaftlich zu organisieren. Auch den Pazifismus mit seinen „humanitänen Platitüten“ müsse die Arbeiterklasse verwerfen. „Die revolutionären Gewerkschaften durchdenken die sozialistische Aktion in genau derselben Weise, wie Militärstrategen den Krieg durchdenken (…) Sie sehen in jedem Streik eine Imitation im kleinen, einen Versuch, eine Vorbereitung auf den großen finalen Umsturz.“ Der einzige erfolgversprechende Weg führe also über die direkte Aktion.

Man darf diese Apologie der Gewalt nicht mißverstehen. Sorel selber trennte sorgfältig zwischen der Gewalt der Arbeiterklasse und jener der jakobinischen Revolutionäre: „Man darf die Gewalttaten, die im Zuge der Streiks von Proletariern begangen werden, um den Staat zu stürzen, nicht mit den Akten der Brutalität verwechseln, zu denen der Aberglaube an den Staat die Revolutionäre von 1793 bewegte.“ Als legitim definiert Sorel die Gewalt (violence), die sich gegen die staatliche Macht (force) richtet: „Macht zielt darauf ab, eine bestimmte gesellschaftliche Ordnung zu erzwingen, in der eine Minderheit regiert, während Gewalt diese Ordnung zerstören will. Seit Beginn der Neuzeit hat das Bürgertum Macht eingesetzt, während das Proletariat nun dagegen und gegen das Bürgertum mit Gewalt reagiert.“ Den großen Vorzug der proletarischen Gewalt sieht Sorel darin, daß sie die Arbeiterbewegung daran hindere, dem Reformismus zu verfallen, und den Bürgern „die revolutionäre Realität“ zeige.

Konkret empfiehlt Sorel die Taktik des Generalstreiks, dessen „Deutlichkeit“ er begrüßt. Seine Formel vom „Mobilisierungsmythos“ erinnert an Bergsons Anmerkungen zur Macht gedanklicher Repräsentationen von Ereignissen und deren direkte Einwirkung auf die Wirklichkeit: „Der Generalstreik ist genau das, was ich gefordert habe: der Mythos, der den Sozialismus in seiner Gesamtheit erfaßt, d. h. eine Anordnung von Bildern, die instinktiv sämtliche Gefühle zu beschwören vermögen, die den unterschiedlichen Ausdrucksformen des Krieges entsprechen, den der Sozialismus gegen die moderne Gesellschaft führt.“

„Über die Gewalt“ ist ein antidemokratisches, ein revolutionäres Werk, dessen Einfluß auf die Linke wie auf die Rechte, auf so unterschiedliche Denker und Männer der Tat wie Benito Mussolini, Antonio Gramsci, Arturo Labriola, Curzio Malaparte, Georg Lukács oder Walter Benjamin außerordentlich war. Dieser Einfluß reichte bis nach Peru (José Carlos Mariátegui) und nach Syrien (Michel Aflaq), am deutlichsten war er jedoch in Italien zu spüren, wo Sorel zu Lebzeiten noch mehr gelesen und veröffentlicht wurde als in Frankreich. Autoren wie Zeev Sternhell gingen so weit, in ihm den „Begründer“ des Faschismus zu sehen, was stark übertrieben ist. Richtig ist, daß einige Führer der revolutionären italienischen Gewerkschaftsbewegung – aber längst nicht alle – sich in den zwanziger Jahren Mussolinis Bewegung anschlossen. Lenin, laut Sorel der „größte Theoretiker, den der Sozialismus seit Marx gehabt hat“, nannte ihn zum Dank einen „Wirrkopf“.

Literatur: Julien Freund: Georges Sorel, 1847–1922.Geistige Biographie, München 1977

Jacques Julliard/Shlomo Sand (Hrsg.): Georges Sorel en son temps, Paris 1985

Armin Mohler: Georges Sorel. Erzvater der Konservativen Revolution, Bad Vilbel 2000

Der zweite Band des „Staatspolitischen Handbuchs“ aus der Edition Antaios, Schnellroda, behandelt 164 „Schlüsselwerke“ von 133 Autoren, von denen wir mit freundlicher Genehmigung zehn in einer JF-Serie vorstellen. In dieser Woche ist es Georges Sorel: „Über die Gewalt“ (frz.  Réflexions sur la violence, Paris, 1908), erstmals 1928 im Universitätsverlag Wagner, Innsbruck, erschienen.

Georges Sorel: Über die Gewalt. Übersetzt von Alexander Bolz. Alexander Bolz Verlag & Medien, Lüneburg, Albech 2007, 290 Seiten, 25 Euro

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