© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/11 10. Juni 2011

Brückentechnologie für Zeitungsverlage
Zeitung auf Abruf: Haucht eine Geschäftsidee dem angeblich todgeweihten Zeitungsmarkt neues Leben ein?
Lion Edler

Zwanzig Minuten muß sich der Käufer in der „Press&Books“-Buchhandlung am Zoologischen Garten in Berlin gedulden, dann ist es vollbracht: Zwei internationale Tageszeitungen, die in den Kiosk-Regalen nicht zu finden sind, liegen ausgedruckt vor ihm. „Newspaper on demand“ nennen die Unternehmer dieses Projekt. Zeitung auf Abruf.

Immer leistungsfähigere Drucktechnik macht es möglich. Im Buchgeschäft ist es seit Jahren üblich, bei Kleinstauflagen nur noch genau so viele Bücher zu drucken, wie gerade gebraucht werden. Aber geht das auch mit Zeitungen?

Es geht. Das Schweizer Unternehmen Valora Retail (380 Filialen im Bahnhofsbuchhandel) bietet seinen Kunden viele internationale Zeitungen bereits am Erscheinungstag am Kiosk an – von China Daily bis zum New Zealand Herald. Bisher war das aus logistischen Gründen nicht möglich. Jetzt kann theoretisch die Los Angeles Times zeitgleich mit dem Straßenverkauf in Kalifornien auch in Kaiserslautern gelesen werden.

Über 1.000 Titel aus mehr als achtzig Ländern stehen beim Presse- und Buchhändler am Bahnhof Zoo zur Auswahl. Der Kunde sucht sich die gewünschte Ausgabe zunächst aus einer alphabetischen Liste aus und sagt dem Verkäufer die entsprechende Nummer.

Am Bahnhof Zoo schaut der Verkäufer selbst erst einmal etwas irritiert: Wie geht das noch mal? Zu selten kommt es vor, daß jemand dieses mediale Nischenangebot in Anspruch nimmt. Die Käufer seien eine überschaubare Größe, sagt er.

Das liegt wohl auch an den Preisen. Neue Zürcher Zeitung kostet fünf Euro statt 3,10, die Vorarlberger Nachrichten vier Euro statt 1,40. Bei allen Produkten bewegt sich der Preis zwischen vier und sechs Euro und damit deutlich über dem normalen Kaufpreis. Der Verkäufer überreicht die beiden Zeitungen, die im A3-Format in einem Umschlag liegen. Erstaunlich ist die ansprechende Bildqualität: Die erste Seite ist farbig, während auf den restlichen Seiten nur Schwarzweißbilder zu sehen sind.

Zeitungen auf Abruf sind nicht für den Massenmarkt gemacht. Trotzdem wollen Valora Retail und der kanadische Lizenzhändler Newspaper Direct, der weltweit 1.860 Zeitungstitel aus 94 Ländern im Angebot hat, expandieren. Im laufenden Jahr sollen fünfzig neue Stationen in Deutschland und der Schweiz hinzukommen. Die jüngste wurde soeben in Bremen eröffnet.

In Kürze soll „Newspaper on demand“ auch in den von Grossisten belieferten Kiosken angeboten werden, vor allem bei Händlern mit internationalen Lesern. Dort sei das betriebswirtschaftliche Risiko überschaubar, sagt Jörg Blümel, Geschäftsführer der PoD Holding, die das Projekt als Tochterunternehmen von Newspaper Direct vermarktet. Denn selbst wenn es nur ein Randprojekt ist: Bereits bei 120 verkauften Zeitungen pro Monat ließen sich die Investitionskosten amortisieren. Sie bestehen hauptsächlich aus den Mietgebühren für den benötigten Digitaldrucker in Höhe von monatlich 332 Euro. Hinzu kommen lediglich überschaubare Kosten für Internetzugang, Computer und Tast-Bildschirm, die ohnehin meistens vorhanden sind.

Schon seit 2001 versucht die PoD Holding, das Produkt in Hotels anzubieten, dort sei es jedoch „zu stiefmütterlich“ behandelt worden. Erst mit dem Vertrieb in Presseläden kam 2008 der Durchbruch. Nach Ansicht vieler Medienwissenschaftler kann das Projekt jedoch nur in kleinem Rahmen funktionieren. Zwar liege ein Vorteil in den geringeren Kosten für das Unternehmen, denn die teure Lagerhaltung könne gesenkt werden und die übriggebliebenen Exemplare müssen nicht an den Verlag zurückgeschickt werden, erläutert die Dortmunder Zeitungsforscherin Gabriele Toepser-Ziegert. Doch wer sich für aktuelle Nachrichten interessiere, der werde das über das Internet tun, und „wer Lektüre für die Bahnfahrt suche, hält sich an die ganz normalen Zeitungen, selbst wenn die internationalen Titel zeitlich verzögert angeboten werden“, zitiert die Netzseite medienmonitor.de Toepser-Ziegert.

Das Unternehmen will denn auch nichts darüber sagen, ob sich das Projekt rentiert. Valora Retail verrät nur, wie es zum Erscheinen der Zeitungen kommt: Die Verlage schicken ihre Druckdaten auch an Newspaper Direct im kanadischen Vancouver. Dort werden die Zeitungen auf das A3-Format verkleinert, falls nötig. Dies ist etwa bei dem Nordischen und dem Rheinischen Format sowie bei dem Sonderformat der New York Times der Fall, während das sehr verbreitete Tabloid-Format nicht angepaßt werden muß. Anschließend kauft Valora Retail dann die Zeitungsdateien von dort ein, um sie auf die Computersysteme in den Kiosken zu laden.

Foto: Produktinnovation: Von China Daily bis zum New Zealand Herald sind 1.000 Zeitungen pünktlich verfügbar

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