© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/11 10. Juni 2011
Alternative Islamgeschichte Aus muslimischer Sicht ist der Koran die Niederschrift der wörtlichen Offenbarungen, welche Allah dem Propheten Mohammed zwischen 610 und 632 nach Christus zuteil werden ließ; dies schließt logischerweise aus, daß ältere textliche Vorstufen existieren. Daher sieht die traditionelle Islamwissenschaft ihre Aufgabe auch nicht darin, das Heilige Buch des Islam entstehungsgeschichtlich oder anderweitig historisch-kritisch zu interpretieren. Das gleiche gilt für den Umgang mit der muslimischen Literatur über Mohammed, welche im 9. und 10. Jahrhundert, also zwei- bis dreihundert Jahre nach den postulierten Ereignissen, auf der Basis einer angeblich äußerst zuverlässigen mündlichen Überlieferung entstand. Vielmehr wird nach folgendem Prinzip verfahren: Alles, was aus der Gahiliyya, also der vermeintlichen „Zeit der Unwissenheit“ vor der ersten Offenbarung, stammt, bleibt unbeachtet – dahingegen behandelt man den Koran und die Berichte über die Taten und Worte des Propheten als Quelle unumstößlicher „Gewißheiten“. Ein solch naiver Glaube an die Wahrhaftigkeit von kerygmatischen Geschichten kann freilich nicht das Paradigma einer modernen westlichen Islamwissenschaft sein, denn für diese muß schließlich dieselbe Grundregel gelten wie für jede andere ernstzunehmende Wissenschaft: Contra facta non valet argumentum (Gegen Fakten gilt kein Argument). Oder noch dezidierter gesagt: Die Wahrheit steht über dem Glauben. Und wahr ist eben zum Beispiel, daß eine sichere und wie im Falle des Islam auch noch höchst detaillierte mündliche Überlieferung von historischen Fakten über zwei bis drei Jahrhunderte schlichtweg in den Bereich des Unmöglichen fällt; wie Ethnologen mittlerweile nachgewiesen haben, kommt es spätestens nach 60 Jahren zu gravierenden Entstellungen. Außerdem kann die Frühgeschichte des Islam auch nicht von Arabisten und Islamwissenschaftlern alleine erforscht werden, denn die Komplexität der Vorgänge beziehungsweise der überlieferten Zeugnisse erfordert eine Mitbeteiligung von Sprachfachleuten anderer Richtungen sowie Historikern, Archäologen, Numismatikern, Epigraphikern und so weiter. Diese Interdisziplinarität findet man im Saarbrücker Institut zur Erforschung der frühen Islamgeschichte und des Koran (kurz Inarah genannt). Dessen wohl prominentestes Aushängeschild ist Christoph Luxenberg, der Autor des 2000 erschienenen Buches „Die syro-aramäische Lesart des Koran“, in dem erstmals detailliert nachgewiesen wird, daß die Heilige Schrift der Muslime nicht auf einer mündlichen arabischen Überlieferung basiert; ebenso kam es zu keiner Erstverschriftung des Korans zur Zeit des dritten Kalifen Utmān (also zwischen 650 und 656). Statt dessen muß man von einem Ur-Koran in einer aramäisch-früharabischen Mischsprache, festgehalten mit syrisch-aramäischen Schriftzeichen, ausgehen. Desgleichen kann die Region, in der dieser Ausgangstext entstand, auch keinesfalls die Arabische Wüste gewesen sein. Zum ersten war diese durch ein weitgehend analphabetisches und auf jeden Fall „bildungsfernes“ nomadisches Milieu geprägt. Zum zweiten finden Mekka und Medina, die vermeintlich zentralen Stätten der Geschichte des frühen Islam, im Koran selbst nur ganze vier Mal Erwähnung – und das auch noch in einem äußerst mehrdeutigen Kontext, der vollkommen offenläßt, ob es sich hier tatsächlich um arabische Siedlungen handelt. Zum dritten deutet die sprachliche Prägung des Korans eindeutig auf eine Herkunft aus der Stadt Merw in Chorasan (heute Südturkmenistan) hin. In diesem multikulturellen Schmelztiegel an der Seidenstraße lebten damals neben Arabern und Angehörigen anderer Völker auch zahlreiche Aramäisch sprechende ostsyrische Christen, welche sich gegen eine Entwicklung auflehnten, die heute als Hellenisierung des nahöstlichen Christentums bezeichnet wird. Augenfälligster Ausdruck derselben war die Anerkennung der Beschlüsse des Konzils von Nizäa sowie weiterer griechischer Konzilien durch die syrische Großkirche, beginnend 410 mit der Synode von Seleukia-Ktesiphon. Diese Beschlüsse liefen auf eine Abkehr vom bisher verfochtenen unitarischen Monotheismus und auf die Übernahme der Lehre von der Zweieinigkeit von Gott und dessen Sohn beziehungsweise von der Dreifaltigkeit hinaus. Und genau in diesem Punkt verweigerten sich die Christen in Merw: sie sahen in Jesus weiterhin nichts anderes als einen Gottesknecht oder Gesandten Gottes. Zugleich hielten sie es für notwendig, ihr nunmehr dissidentes Glaubensbekenntnis niederzuschreiben. Das geschah vermutlich ab 553. In diesem Jahr nämlich wurde in Merw ein Bistum der syrischen Großkirche gegründet, was zur Folge hatte, daß die hellenischen Lehren nun auch hier – weit im Osten – an Boden gewannen. So entstand also zur Mitte des 6. Jahrhunderts ein dezidiert monotheistisches Textkorpus vor- beziehungsweise antinizenischer Machart, der zunächst keinen Namen trug, aber später als Koran bekannt werden sollte. Der Ur-Koran war somit keine Gründungsurkunde einer neuen Religion, sondern das religiöse Credo einer peripheren christlichen Bewegung mit abweichender Gottesauffassung und Christologie, daherkommend als Vermischung von Aussagen des Alten und Neuen Testaments, der Apokryphen und der orthodoxen ostsyrischen Theologie mit neuplatonisch-gnostischen Ideen sowie einzelnen zoroastrischen, mani-chäischen und buddhistischen Glaubenssplittern. Andererseits blieb die koranische Bewegung nicht sonderlich lange christlicher Natur. Hierfür war der Einfluß arabischer Herrscher verantwortlich, welche das politische Vakuum füllten, das nach dem Kollaps des sassanidischen Königtums ab 650 entstand – an erster Stelle zu nennen Abd al-Malik, dessen Siegeszug nach Westen übrigens genau im besagten Merw begann. Unter diesem und anderen arabischen Potentaten kam es um das Jahr 800 herum zu einer Loslösung der koranischen Bewegung vom altsyrischen Christentum. Dabei wurde der gemischtsprachige Text des Ur-Korans komplett ins Arabische transkribiert, was dazu führte, daß massenhaft „dunkle Stellen“ entstanden, welche sich dem nur Arabisch Sprechenden seitdem nicht mehr zweifelsfrei erschließen. Dies liegt zum einen daran, daß die zahllosen aramäischen Worte einfach nur mittels anderer Schriftzeichen festgehalten, aber nicht übersetzt wurden. Zum anderen war die zunächst verwendete arabische Schrift im höchsten Maße defektiv, das heißt, sie kannte weder Vokalzeichen noch diakritische Zeichen zur unmißverständlichen Darstellung der vielen uneindeutigen Konsonanten. Deshalb kamen die ersten Koranfassungen in arabischer Schrift als äußerst rudimentäre Textskelette daher, welche allerlei differierende Lesungen erlaubten. Ansonsten erhielt die angeblich neue und autochthone Religion der Araber nun die Bezeichnung „Islam“, das heißt „Übereinstimmung mit der Schrift“, also dem Ur-Koran. Damit war es allerdings nicht getan, denn es mangelte ja ebenfalls noch an einem ureigenen islamischen Gründungsmythos, zu dem der Koran aufgrund seiner Herkunft keinerlei belastbare Belege beisteuern konnte. Diesem Desiderat wurde durch folgenden raffinierten Kunstgriff abgeholfen: Im Nahen Osten war es seinerzeit Usus, das syrisch-aramäische Gerundivum „Mahmet“ („Der zu Preisende“) als Epitheton für Jesus zu verwenden – dies taten zunächst auch die arabischen Herrscher des 7. und 8. Jahrhunderts, wobei die arabisierte Form von „Mahmet“ „Muhammad“ lautete. Frühester, aber beileibe nicht einziger Beleg hierfür ist eine Münze aus dem Jahre 687, auf der Jesus ganz explizit als „muhammadun rasul allah“ („Der zu preisende Gesandte Gottes“) bezeichnet wird. Im weiteren Verlauf wurde dieses christologische Prädikat dann aber aus seinem Bezug zu Jesus gelöst und auf eine arabische Phantasiegestalt übertragen, eben den Propheten „Mohammed“, den angeblichen Begründer des Islam. Mohammed hat also niemals gelebt und alle später konstruierten Viten des Propheten wie natürlich auch die Ha-dithen, in denen die vermeintlichen Aussprüche des Religionsstifters überliefert sind, dienten zuallererst dem Zweck, seine fehlende Historizität und die christliche Herkunft des Islam zu verschleiern. Der Befund, daß die islamischen Texte nicht als Geschichtsquelle taugen, weil sie keine Berichte über tatsächliche historische Ereignisse enthalten, sondern zielgerichtet in die Welt gesetzte Mythen, wurde durch die Inarah-Forscher in diversen Monographien sowie fünf umfangreichen Aufsatzbänden mit vielerlei Beispielen untermauert. Dennoch scheiden sich an ihm die Geister. Kritiker der Inarah-Gruppe, wie die Berliner Islamwissenschaftlerin Angelika Neuwirth und ihr Adlatus Michael Marx, halten beflissen an den widerlegten muslimischen Fiktionen fest und verbreiten zugleich die Botschaft, daß es moralisch verwerflich, fachlich unangemessen und politisch unklug sei, dem Islam konsequent mit historisch-kritischen Methoden zu Leibe zu rücken. Deshalb steht ihr auf 18 Jahre angelegtes Corpus-Coranicum-Projekt, in dessen Verlauf eine Edition der wichtigsten Koran-Handschriften des 1. Jahrhunderts der islamischen Zeitrechnung entstehen soll, unter einem ganz expliziten Vorbehalt: Quellenkritisches Vorgehen dürfe niemals dazu führen, daß dem Islam die theologische und kulturelle Eigenständigkeit abgesprochen werde. In Kenntnis der Positionen der beiden Seiten fällt es nicht schwer zu erraten, welche Partei für wert befunden wurde, Gelder der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zu erhalten: das ergebnisoffen arbeitende Inarah-Team oder die einer dogmatischen Islamophilie verfallene Corpus-Coranicum-Truppe? Natürlich die letztere, was die bohrende Frage aufwirft, seit wann es eigentlich zu den Aufgaben eines säkularen Staates gehört, Forschungen zu finanzieren, welche unter dem strikten Primat der religiösen Unbedenklichkeit stehen. Doch nicht nur die Förderpraxis der DFG schreit zum Himmel. Genauso skandalös ist, wie schnell hierzulande islamwissenschaftliche Karrieren an unbequemen Forschungsergebnissen scheitern können. So bezahlte Günter Lüling seine sachlich korrekte Identifizierung einiger Koransuren als altchristliche Poesie mit immerhin 19jähriger Arbeitslosigkeit. Desgleichen sollte auch zu denken geben, daß es sich bei „Christoph Luxenberg“ um ein Pseudonym handelt, weil der betreffende Autor seinen Klarnamen lieber geheimhalten möchte. Wie berechtigt eine solche Vorsichtsmaßnahme ist, beweist das Schicksal des Libanesen Samir Kassir: Der propagierte ebenfalls die Notwendigkeit, den Koran vor dem Hintergrund der christlichen Spätantike zu erforschen, und fiel dann einem Autobombenanschlag zum Opfer. Tatsache ist weiterhin, daß die Inarah-Forscher unter ebenso intensiver wie ostentativer Beobachtung seitens islamistischer Gruppen des In- und Auslands (darunter der Türkei) stehen, deren teilweise hetzerische Internetseiten Bände sprechen. Wo bleibt da eigentlich die vielgepriesene Wissenschaftsfreiheit – eines der Grundrechte, welche die „Zivilgesellschaft“ doch sonst so vehement gegen vermeintliche Angriffe aus anderen Richtungen zu verteidigen pflegt.
Dr. Wolfgang Kaufmann, Jahrgang 1957, war von 2000 bis 2010 Lehrbeauftragter an einer sächsischen Universität und ist heute als freier Historiker und Honorardozent tätig. Sein Buch „Das Dritte Reich und Tibet“ erschien 2010 in 2. Auflage. Foto: Muslimischer Halbmond im christlichen Kreuz: Die Inarah-Forscher untersuchen den Koran mit historischen-kritischen Methoden und stellen dadurch religiöse Dogmen in Frage |