© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/11 10. Juni 2011

Los von Rom!
Vor 50 Jahren bekundeten Südtiroler Aktivisten südlich des Brenner mit Anschlägen gegen Strommasten und faschistische Denkmäler ihren Widerstandsgeist gegen die Unterdrückungspolitik Italiens
Martin Schmidt

Mit einem Schlag hatte sich die Lage in Südtirol radikal verändert, nachdem in der „Feuernacht“ vom 11. auf den 12. Juni 1961 etwa vierzig Hochspannungsmasten gesprengt, große Elektrowerke ausgeschaltet und die Stromlieferung zur Bozner Industriezone und den oberitalienischen Wirtschaftszentren unterbrochen worden waren. Die verantwortlichen Aktivisten des „Befreiungsausschusses Südtirol“ (BAS) und ihre Helfer in Österreich und der Bundesrepublik Deutschland wollten mit der koordinierten Aktion in der Herz-Jesu-Nacht vordergründig das stark italienisierte Industriegebiet um die Provinzhauptstadt lahmlegen. Eigentlich ging es ihnen aber darum, ein Zeichen gegen die rasch fortschreitende post-„faschistische“ Italienisierung des Landes zwischen Brenner und Salurner Klause insgesamt zu setzen.

Die bewußt nur gegen Sachen, nicht gegen Menschen gerichtete Gewalt der sogenannten „Bumser“ markiert einen tiefen Einschnitt in der Südtiroler Nachkriegsgeschichte, der bis heute die Gemüter erhitzt und den Lauf der Ereignisse nachdrücklich veränderte. Weitgehend unumstritten sind die historischen Zusammenhänge. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde im Pariser Abkommen von 1946 sowie im ersten Autonomiestatut von 1948 die Gleichstellung der italienischen und deutschen Sprache, die Wiedereinführung des deutschsprachigen Schulunterrichts sowie die Gleichbehandlung bei der Stellenvergabe öffentlicher Ämter festgelegt. In der Praxis blieb das Deutsche allerdings weiterhin dem Italienischen untergeordnet und italienische Bewerber wurden bei der Stellenvergabe bevorzugt.

Bereits 1948 war die zugesicherte Verwaltungsautonomie durch die Bildung der Region „Trentino-Südtirol“ ausgehöhlt worden, in der die italienische Mehrheit den Ton angab. Die ebenfalls 1946 vereinbarte Rückwanderung der etwa 75.000 Südtiroler, die nach 1939 für das Deutsche Reich „optiert“ und den italienischen Staat verlassen hatten, wurde verschleppt, so daß nur ungefähr 22.000 heimkehrten. Am 27. April 1961 beschloß der Senat in Rom sogar ein Gesetz, das die Ausbürgerung ehemaliger Optanten aus Südtirol vorsah, sofern diese sich auf politische unliebsame Weise betätigten.

Am 17. November 1957 kamen auf einer Kundgebung in Sigmundskron rund 35.000 empörte Tiroler zusammen, nachdem der italienische Arbeitsminister Giuseppe Togni am 1. Oktober ein Telegramm an den Bürgermeister von Bozen geschickt hatte, in dem er ihm die Bewilligung der Gelder für den Bau von 5.000 weiteren Wohneinheiten allein in dieser Stadt mitteilte (bis dato waren in ganz Südtirol seit Kriegsende 4.100 Sozialwohnungen errichtet worden, von denen nur 216 an deutsche und ladinische Bewohner gingen).

In diese Zeit reicht auch die Entstehung des BAS zurück, als dessen Führungsfigur der Frangarter Gemischtwarenhändler Sepp Kerschbaumer hervortrat. Erste Anschläge auf die Otto-Huber-Kaserne in Bozen und die Bahnoberleitung in Siebeneich sind für 1956 dokumentiert, weitere für das Folgejahr. Ansonsten beschränkte sich die Tätigkeit der Untergrundbewegung damals noch weitgehend auf Flugblatt-aktionen gegen die Zwangspolitik des „demokratischen Italiens“, das die Italienisierungsstrategie der faschistischen Zeit nahezu bruchlos – mit weitgehend den gleichen Gesetzen und Verordnungen sowie nicht selten mit dem selben, nur oberflächlich gewendeten Personal – fortsetzte. Tatsächlich lag der italienische Bevölkerungsanteil 1961 bereits bei 34,3 Prozent gegenüber 2,9 Prozent im Jahr 1910 und etwa 22,6 Prozent Ende 1944.

Die BAS-Aktivisten griffen zu immer radikaleren Maßnahmen. Als Vorspiel zur „Feuernacht“ gab es Anschläge auf im Bau befindliche Zuwanderer-Wohnblocks und einige hochsymbolische Orte. An einem monströsen Mussolini-Denkmal in Waidbruck ging ebenso eine Sprengladung des BAS hoch wie an der Villa des faschistischen Senators Ettore Tolomei, des „Urvaters“ aller Italienisierungsmaßnahmen in Südtirol. Diese Aktionen wurden von der überwältigenden Mehrheit der angestammten Bevölkerung mit Genugtuung aufgenommen. Entsprechend groß war die Solidarität, nachdem als Reaktion auf die Feuernacht in kurzer Zeit etwa 150 Südtiroler – das Gros von ihnen Widerstandskämpfer, daneben aber auch völlig unbeteiligte Personen – in Haft gerieten.

Der italienische Staat verstärkte seine Polizei- und Militärpräsenz massiv und konnte dennoch nicht verhindern, daß nur einen Monat später in der sogenannten „kleinen Feuernacht“ wiederum Stromleitungen gekappt wurden. Viel fataler wirkte es sich aus Sicht der Machthaber allerdings aus, daß aus den Gefängnissen zahlreiche Folterberichte herausgeschmuggelt und teils öffentlich gemacht werden konnten. Sepp Kerschbaumer gehörte zu den besonders Gequälten. Er verstarb am 7. Dezember 1964 mit nur 51 Jahren in der Haftanstalt von Verona. Der erst 28jährige Franz Höfler kam ebenfalls in seiner Zelle um, und viele der eingekerkerten Südtiroler trugen bis an ihr Lebensende gesundheitliche Schäden davon.

Die Verantwortlichen in Rom sahen sich plötzlich einem erheblichen öffentlichen Druck ausgesetzt, als große österreichische wie bundesdeutsche Zeitungen und Zeitschriften schonungslos über das „Folter-Unrecht“ berichteten. Auch die Vereinten Nationen beschäftigten sich noch im Jahr 1961 erneut und diesmal nachdrücklich mit der Südtirol-Problematik. Die italienische Politik konnte letztlich nicht anders als die ursprüngliche Absicht aufgeben, den Widerstand der Südtiroler gewaltsam zu brechen. Fortan verfolgte man eine Strategie von „Zuckerbrot und Peitsche“, die zunächst zur Einsetzung der sogenannten „Neunzehner-Kommission“  führte, deren Vorschläge schließlich in das 1969 vereinbarte und 1972 in Kraft gesetzte „Autonomie-Paket“ mündeten.

Der mit allen Wassern gewaschene Polit-Fuchs Silvius Magnago, der ursprünglich als Mann des „Wiedervereinigungsflügels“ an die Spitze der Südtiroler Volkspartei (SVP) gelangt war, hatte den mit der Feuernacht in Gang gebrachten Kollisionskurs als unverantwortliches Risiko für die Zukunft der Südtiroler gebrandmarkt und eine gezielte Veröffentlichung von Folterbriefen ebenso abgelehnt wie jedwede Unterstützung von Angehörigen der zu „Terroristen“ herabgewürdigten Inhaftierten. Mit zeitlichem Abstand mußte dann auch der von manchen als übervorsichtiger Beschwichtigungspolitiker krisitisierte Magnago auf der Landesversammlung seiner Partei 1976 in Meran eingestehen, daß die gewaltsamen Widerstandsformen des BAS wesentlich zur Durchsetzung der „Paket-Lösung“ beitrugen. Und den meisten der „Bumser“ blieb es vergönnt mitzuerleben, wie spätestens seit den siebziger Jahren die Politik der kulturellen Entfremdung ihren Höhepunkt überschritten hatte und der italienische Zuwandereranteil stetig zu sinken begann.

Von bekannten BAS-Vorkämpfern wie Sepp Kerschbaumer, Jörg Klotz, Luis Amplatz oder Franz Höfler zeugen bis heute Straßennamen in Innsbruck, Bezeichnungen von Schützenkompanien oder detailgenaue Bücher wie die 2009 erschienene Dokumentation von Helmut Golowitsch „Für die Heimat kein Opfer zu schwer. Folter – Tod – Erniedrigung: Südtirol 1961–1969“.

Jahrzehntelang war die Diskussion über die Hintergründe und die historisch-politische Bewertung der „Feuernacht“ auf Sparflamme betrieben worden. Verschiedenste Legenden wurden kolportiert, die Weiterentwicklung des Befreiungsausschusses geriet zum Objekt undurchsichtiger Geheimdienstoperationen, und die in Bozen tonangebende SVP mied die für sie heikle Thematik. Mittlerweile scheint die Wahrnehmung jedoch, zumindest in Südtirol selbst, immer mehr von Unaufgeregtheit einerseits und Anerkennung des Mutes und der Absichten der radikalen Idealisten des BAS andererseits geprägt zu sein. Selbst an den Schulen und anderen Bildungsstätten werden die Ereignisse wieder intensiver behandelt, manchmal sogar unter Heranziehung von Zeitzeugen, die zu Opfern der italienischen Repressionen geworden waren.

Foto: In der „Feuernacht“ gesprengter Strommast bei Bozen, „Bumser“ in Aktion (kl. Foto), Kundgebung von Sigmundskron 1957 (oben), gesprengtes Mussolini-Denkmal bei Waidbruck: Rom setzte nach 1945 die Italienisierungspolitik der faschistischen Zeit bruchlos fort

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