© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/11 10. Juni 2011

Diktatur der Bürokraten
Hans Magnus Enzensberger über die Europäische Union
Markus Brandstetter

Die Normensammlung der Europäischen Union umfaßt 150.000 Seiten und wiegt soviel wie ein Golf. Sie regelt alles: von der gesunden Ernährung über Kruzifixe in Schulzimmern bis zum Wäscheaufhängen im Freien und der richtigen Zimmerbeleuchtung. Die etwa 40.000 EU-Bürokraten wissen alles, können alles, bestimmen alles. Allein die Verwaltung kostet im Jahr achteinhalb Milliarden Euro; doppelt soviel wie der Etat der Stadt München. Entstanden ist eine byzantinische Bürokratie, deren Regelungswahn nur einen Grund hat: Macht und immer noch mehr Macht. Treffend faßt der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger in seinem jüngsten Essay zusammen: „Jede Ausdehnung ihrer Kompetenzen verspricht der Institution mehr Macht, mehr Geld und mehr Planstellen.“

Normen, Sanktionen, Eingriffe, Hilfsgelder, der Ankauf griechischer Schrottanleihen – all dies und noch viel mehr wird hinter verschlossenen Türen entschieden. Nicht von gewählten Abgeordneten, sondern von Bürokraten. Gewaltenteilung gibt es faktisch keine. Auf EU-Ebene haben administrative Verfahren die Demokratie längst ersetzt. Der Europäische Gerichtshof urteilt unbekümmert in die einzelnen Nationalverfassungen hinein. Widerspruch wird als Querulantentum und antieuropäische Einstellung gebrandmarkt.

Der EU-Haushalt 2011 sieht einen Etat von 127 Milliarden Euro vor. Zwanzig Prozent davon zahlt Deutschland. Fast die Hälfte von allem geht an landwirtschaftliche Großbetriebe, der Rest in Regionalförderung und die Eigenverwaltung. Zukünftig wird jedoch deutlich mehr in Hilfen für Griechenland, Irland, Portugal und Spanien fließen müssen, denn die EU haftet de facto für jedes Mitgliedsland unbegrenzt – und sei dieses noch so zahlungsunfähig. Damit werden wir wohl leben müssen, schließt Enzensberger, und zitiert Hannah Arendt, die bereits vor dreißig Jahren gesagt hatte: „Die Herrschaft von Menschen und Gesetzen wird durch jene von Büros und Computern ersetzt.“

Fazit: Ein bissiger, aber luzider Essay, der, konzentriert auf siebzig Seiten, einige Lebenslügen der amtierenden politischen Klasse schonungslos aufdeckt.

Hans Magnus       Enzensberger: Sanftes Monster Brüssel oder Die Entmündigung Europas. Suhrkamp Verlag, Berlin 2011, broschiert, 73 Seiten, 7 Euro

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