© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/11 10. Juni 2011

Grüne Wunschträume
Die Bayerische Akademie der Wissenschaften diskutierte Zukunftsperspektiven der elektrischen Energie
Wolfhard H. A. Schmid

Beschleunigter Atomausstieg, Zwangseinführung von E10-Benzin und Milliarden für die sogenannte Elektromobilität – Angela Merkels schwarz-gelbe Koalition vollzieht in nicht einmal zwei Regierungsjahren eine schärfere Energiewende als Gerhard Schröder in sieben Jahren Rot-Grün. Und daher überraschte es nicht, daß der Plenarsaal in der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (BAdW) übervoll war, als renommierte Experten über „Zukunftsperspektiven der elektrischen Energie“ diskutierten.

Akademiepräsident Karl-Heinz Hoffmann, bis 2007 Ordinarius für angewandte Mathematik an der TU München, betonte bei seiner Begrüßung aber ausdrücklich, daß es sich um keine politische Veranstaltung handelte – es gehe um Technik der Zukunft und man wolle speziell mit den aus ganz Bayern eingeladenen Schülern zugleich einen Beitrag gegen die Technikfeindlichkeit leisten. Trotzdem bekam man im Laufe des Symposiums den Eindruck, daß bei manchen Ausführungen der Referenten eine zu optimistische Betrachtungsweise ohne Hinweis auf ungelöste Probleme im Vordergrund stand.

Ein Grund dafür könnte die immer größere wirtschaftliche Abhängigkeit der Forschungsinstitute von der Politik sein. Denn wer beispielsweise den Regierungsfetisch Elektroauto kritisch hinterfragt, wird kaum mit Fördermitteln aus den Ministerien rechnen können. Immerhin haben aber alle Referenten mit aufschlußreichem Zahlenmaterial den Ist-Zustand ihres Fachgebiets deutlich gemacht.

Der Energieexperte Ulrich Wagner vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) prognostizierte für die Jahre bis 2050, daß es in Deutschland nur einen geringfügig höheren Energiebedarf geben werde. Speziell der Bedarf für Raumwärme werde sogar abnehmen. In der Stromversorgung könne man aber die politische Vorgabe, den CO2-Ausstoß um 80 Prozent zu senken, wohl nicht erreichen.

Wagner hält aber eine Reduktion um knapp zwei Drittel für realistisch. Die unverzichtbaren Speicherkapazitäten für die unstetigen erneuerbaren Energien (Wind, Sonne) zu schaffen, sei technisch machbar, so der der langjährige Leiter der Koordinierungsstelle der Wasserstoff-Initiative Bayern. Allerdings ließ der Elektrotechnikprofessor die kritischen Standortfragen für Speicher und die Konsequenzen für die Stromvernetzung leider unbeantwortet.

Ulli Arendt von der EWE Energie AG zeigte am Beispiel der Modellregion Cuxhaven die Möglichkeiten einer dezentralen erneuerbaren Stromerzeugung auf. Mit intelligenten Stromzählern (Smart-Meter) oder durch Visualisierung der einzelnen Stromverbraucher könnten Sparpotentiale in Haushalten genutzt und das Problem der schwankenden Stromnetzlast gemindert werden. Er forderte, die dezentrale Stromversorgung (der Konflikt zwischen großen Stromkonzernen und Lokalanbietern war auch ein Thema auf dem CDU-Wirtschaftsrat, JF 23/11) in ein Gesamtsystem zu integrieren. Aber auch Arendt blieb hier die Antwort schuldig, welche Folgen dies für die Laststeuerung des Stromverbundnetzes hat.

Markus Lienkamp, Professor für Fahrzeugtechnik an der TU München, stellte mit Mute ein Fahrzeugkonzept für die städtische Elektromobilität vor. Das in einer Gemeinschaftsarbeit von 20 Lehrstühlen im Wissenschaftszentrum Elektromobilität (WZE) der TU mit Unterstützung von 17 Partnerfirmen entwickelte Fahrzeug wird im September auf der Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) in Frankfurt vorgestellt.

Das Elektroauto ist für den städtischen Großraum vorgesehen, es erreicht eine Geschwindigkeit von 120 km/h, hat eine Reichweite von 100 Kilometern sowie Platz für zwei Personen und zwei Gepäckstücke – bei einem Leergewicht von nur 400 Kilogramm plus 100 Kilogramm für die Lithium-Batterie. Leider ging er nicht näher auf den bisher ungelösten Engpaß bei der Batterieladezeit, Gewicht und Stromleistung ein.

Auf Nachfrage wies er lediglich auf ein Entwicklungsprojekt zwischen VW und dem Batteriehersteller Varta hin, wobei er die Tatsache, daß es trotz weltweiter Dominanz deutscher Automobilhersteller keinen großen deutschen Batteriehersteller mehr gibt, erstaunlicherweise negierte. Auch die Preisfrage ist (der Mute soll nur soviel wie ein Kleinwagen kosten) in der Praxis ungelöst: E-Mobile wie der Nissan Leaf oder Mitsubishi i-MiEV kosten trotz günstiger Großserienfertigung und „Kampfpreisen“ dreimal soviel wie vergleichbare Modelle mit Benzinmotor.

Allem E-Mobil-Optimismus zum Trotz geht Lienkamp von einer jährlichen Steigerung des weltweiten Ölverbrauchs von zwei Prozent aus – was für 2065 den dreifachen Bedarf bedeuten würde. Dies bringt weitere Spritpreissteigerungen. Doch die Verbrennungsmotoren der Zukunft werden nur noch den halben Kraftstoffbedarf von heute haben – etwa durch Leichtbauweise und weniger Zylinder (Down Sizing). Doch in diesem Bereich ist kaum mit staatlichen Forschungsmilliarden zu rechnen.

Harald Lersch von der Ludwig-Maximilians-Universität befaßte sich mit der Frage „Elektrische Energie – Ursache oder Lösung des Klimaproblems?“ Die humorvollen Ausführungen des fernseherfahrenen Astronomieprofessors konnten aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß er mit seinen Thesen nichts wirklich Neues vorstellen konnte.

Als eloquenter Verfechter der Sonnenenergie begründete er die These, der von Menschenhand verursachte CO2-Ausstoß sei die Ursache für den Klimawandel, mit Tausenden von wissenschaftlichen Untersuchungen, die alle zum gleichen Ergebnis gekommen wären. Er folgte damit inhaltlich dem Bericht des Weltklimarates (IPCC) von 2007. Gletscherforscher der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) betrachten Einflüsse auf das Weltklima dagegen differenzierter (JF 37/09). Auch nach Besuch des BAdW-Symposiums blieb die Frage offen, ob all die vorgestellten Technologien für eine erfolgreiche Umsetzung schon wirklich ausgereift sind. Denn so manche Antwort der Referenten auf Fragen aus dem Auditorium ließ viel Skepsis durchscheinen.

Weitere Informationen zur Elektromobilität:  www.ffe.de  www.mute-automobile.de

Foto: Elektro-Kleinwagen Mute: Die Fahrgastzelle besteht aus Aluminium, die Unfallschutz­elemente aus Kohlefaser, geheizt wird mit Bioethanol

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