© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/11 17. Juni 2011

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Grüne Freude, schwarzes Leid
Marcus Schmidt

Den Parteien laufen seit Jahren die Mitglieder davon. Allen Parteien? Nein, die Grünen erleben angesichts ihres beispiellosen Aufschwungs in den vergangenen Monaten auch einen Mitgliederansturm. „Unsere Mitgliederzahl wächst enorm“, sagte Grünen-Geschäftsführerin Steffi Lemke in der vergangenen Woche der Mitteldeutschen Zeitung, ohne freilich genaue Zahlen zu nennen. Diese dürften aber die Grenze von 55.000 mittlerweile locker durchbrochen haben.

Auch wenn sich die Grünen damit bei der Mitgliederzahl noch lange nicht mit den Volksparteien SPD und CDU messen können – auf die Richtung kommt es an. Und die zeigt bei SPD und CDU seit Anfang der neunziger Jahre kontinuierlich nach unten. Das Konrad-Adenauer-Haus mußte vor einigen Wochen sogar vermelden, daß die Zahl der Parteigänger unter die magische Grenze von 500.000 gefallen ist. So wenig wie seit 1973/74 nicht mehr. Und dabei ist die aktuelle Mitgliederstatistik eigentlich überhaupt nicht mit der aus den siebziger Jahren vergleichbar. Denn in dieser waren naturgemäß nur die CDU-Mitglieder in der Bundesrepublik verzeichnet und nicht die der Block-CDU in der DDR. Zieht man die derzeit 47.555 Mitglieder der Union in Mitteldeutschland ab, ist der Mitgliederschwund der CDU im Vergleich mit den siebziger Jahren also noch viel dramatischer.

Hält der Trend an – und davon kann angesichts des derzeitigen Zustands der Partei ausgegangen werden – dürfte die CDU mit weniger als 430.000 Mitglieder in das Bundestagswahljahr 2013 gehen. Diese Entwicklung ist für die Partei um so besorgniserregender, als daß der Organisationseinbruch in der CDU und ihren Gliederungen in der Parteizentrale noch immer nicht grundlegend analysiert worden ist. Gleichzeitig hat man es versäumt, rechtzeitig eine Unterstützerdatenbank anzulegen, um der Massenflucht etwas entgegenzusetzen, heißt es selbstkritisch aus dem Konrad-Adenauer-Haus. Dort tröstet es übrigens die wenigsten, daß die Entwicklung bei der SPD noch dramatischer ist und zahlreiche traditionsreiche Ortsverbände längst nur noch auf dem Papier bestehen.

Auch der Jubel darüber, daß man die SPD – die 1976 immerhin mehr als eine Million Genossen hatte – bereits im Jahr 2008 als mitgliederstärkste Partei abgelöst hat, ist verflogen. Dieser „Erfolg“ wurde schnell unter der Rubrik „Not siegt über Elend“ verbucht.

Bei den Grünen macht man sich derzeit ganz andere Gedanken. Denn hier gilt es, die Neumitglieder in die Partei und ihre Strukturen zu integrieren. Ein anspruchsvolles aber nicht unlösbares Problem, glaubt die Bundesgeschäftsführerin. Bei aller Euphorie sollten die Grünen aber gewarnt sein. Wenn die Erfolgswelle der Partei einmal auslaufen sollte, könnte sich auch die Mitgliederentwicklung wieder umkehren. Etwa, wenn die Partei nach der kommenden Bundestagswahl wieder an der Regierung beteiligt werden sollte. In den Zeiten von Rot-Grün zwischen 1998 und 2005 sank die Zahl der Mitglieder von 51.000 zeitweise auf 43.000.

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