© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/11 17. Juni 2011

Parteiputsch per Zeitungsartikel
Auf dem Weg zur CDU-Chefin: Wie Angela Merkel während der CDU-Spendenaffäre die „alten Männer“ ausschaltete
Hinrich Rohbohm

Es ist der Beginn einer beispiellosen Karriere. Nachdem Angela Merkel am 30. September 1990 ein Vier-Augen-Gespräch mit Helmut Kohl eingefädelt hatte, geht alles ganz schnell. Was auch immer zwischen dem Kanzler der Einheit und der ihm bis dato unbekannten Unscheinbaren Thema war: es verhalf Merkel innerhalb kürzester Zeit zu einem atemberaubenden politischen Aufstieg.

Mit Hilfe von Günther Krause am 2. Dezember 1990 gerade erst Bundestagsabgeordnete geworden, wird sie bereits sechs Wochen später zur Bundesministerin für Frauen und Jugend ernannt. Ein Ressort, auf das Merkel ursprünglich keinen großen Wert legt. So sagt sie Ende Dezember 1990 dem Wehner-Patenkind und Ost-Berlin-Korrespondenten Detlev Ahlers, daß sie an Themen wie Frauen und Familie nicht interessiert sei. Der Journalist behält die Information für sich, eine Veröffentlichung bleibt aus.

Auch Lothar de Maizière setzt sich für sie als Ministerin ein, interveniert beim Kanzler, indem er von einer naheliegenden Besetzung des Ministeriums durch die damalige Bundesministerin für besondere Aufgaben, Sabine Bergmann-Pohl, abrät.

Der hagere, graubärtige Ex-DDR-Minsterpräsident Lothar de Maizère wirkt neben dem großen, wohlbeleibten Einheitskanzler Helmut Kohl klein und unbedeutend. Verfolgt man die Absicht, unterschätzt zu werden, so bietet dieses Erscheinungsbild eine ausgezeichnete Symbolik. Der große glamouröse und reiche Westen neben dem unscheinbaren kleinen und verarmten Osten. Lothar de Maizière wird unterschätzt. Doch hinter den Kulissen der Einheitseuphorie bewirkt er mehr im Sinne der DDR, als gemeinhin angenommen.

Er ist es, der Kohl die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze abringt. Er sorgt dafür, daß die sogenannte „Bodenreform“ in der DDR nicht rückgängig gemacht wird. Und er erreicht, daß die CDU ihre Statuten ändert. Auf dem Vereinigungsparteitag am 1. und 2. Oktober wird dadurch ermöglicht, daß Lothar de Maizière zum alleinigen stellvertretenden CDU-Bundesvorsitzenden gewählt wird. Wodurch er in die Kronprinzenrolle für eine Ära nach Helmut Kohl gerät. Ob man ihm in der Union diese Rolle zugebilligt hätte, darf jedoch bezweifelt werden, denn in der West-CDU hatte er einen äußerst schweren Stand.

De Maizière hegt wenig Sympathien für Kohl, was auf Gegenseitigkeit beruht. Für die West-CDUler entwickelt sich der Rechtsanwalt und ehemalige Vizepräses der Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR zunehmend zu einem unbequemen Widersacher. Nicht zuletzt aufgrund seiner  großen Sympathien für die PDS-Größen Gregor Gysi und Hans Modrow. Letzterer hatte ihn im November 1989 zum stellvertretenden Vorsitzenden des DDR-Ministerrates und Minister für Kirchenfragen ernannt.

Wie später Merkel, sieht de Maizière in Kohl aber auch einen Lehrmeister, von dem er sich Einblicke in die Künste der politischen Machtausübung verspricht. Als im Dezember 1990 die Hinweise auf eine Stasi-Tätigkeit immer erdrückender werden, läßt er seine Ämter als stellvertretender CDU-Bundesvorsitzender und CDU-Landesvorsitzender von Brandenburg ruhen.

Es ist Angela Merkel, die sich noch zwei Jahre später für ihn einsetzt. Als Manfred Stolpe 1992 ebenfalls Stasi-Verstrickungen angelastet werden, fordert sie de Maizières Rückkehr in die Politik. Ihre Begründung: Manfred Stolpe sei ja auch weiter als Ministerpräsident von Brandenburg im Amt geblieben.

Da ist sie bereits als Nachfolgerin Lothar de Maizères stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende. Der Parteitag spricht ihr im Dezember 1991 mit 86 Prozent der Delegiertenstimmen das Vertrauen aus.

Der Plan, auch de Maizières Nachfolge als CDU-Chefin von Brandenburg anzutreten, mißlingt dagegen. Die spätere Kanzlerin unterliegt am 23. November 1991 dem Westkandidaten Ulf Fink in einer Kampfabstimmung mit 67 zu 121 Stimmen.

Als Günther Krause aufgrund der sogenannten Putzfrauen-Affäre stürzt, tritt sie ein weiteres Mal die Nachfolge eines ihrer Förderer an, wird mit 85 Prozent der Stimmen zur CDU-Landesvorsitzenden in Mecklenburg-Vorpommern gewählt.

Wie de Maizière ist sie die Unscheinbare neben dem mächtigen Kohl, dem „Dicken“, wie man ihn hinter seinem Rücken vor allem im linksliberalen Flügel der Union zu nennen pflegt. Merkel hat keinen grauen Bart, wird dafür in den Medien aber schnell zur grauen Maus erkoren. Jesuslatschen, lange, weite Röcke und Prinz-Eisenherz-Frisur sorgen für ein harmloses optisches Erscheinungsbild, das sie auch auf Zureden von Beratern nicht ändern will. Es trägt dazu bei, daß sie zunächst nur als Kohls „Mädchen“ wahrgenommen wird.

Doch dieser Eindruck täuscht. Wie de Maizière beobachtet sie Kohl genau, beginnt, von ihm zu lernen. Und Merkel lernt schnell. Zunächst kaum spürbar ändert sie das Profil der CDU.

Als Bundesministerin für Frauen und Jugend setzt die Pfarrerstochter in der Frage des Schwangerschaftsabbruchs die Fristenlösung mit Beratung durch, eine abgeschwächte Form des bisherigen DDR-Rechts. 248 Abgeordnete der CDU/CSU-Fraktion klagen gegen das neue Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht. Merkel gehört nicht dazu.

Kostenlose Bereitstellung von Verhütungsmitteln an Frauen unter 21 Jahren, Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz ab dem dritten Lebensjahr, die Verabschiedung des zweiten Gleichberechtigungsgesetzes sowie das Frauenförderungsgesetz weisen eine ähnliche politische Handschrift auf. Eine, die eher im rot-grünen Lager Beifall auslöst, als in der Union.

Als Bundesumweltministerin macht  sie sich für den Klimaschutz stark, verpflichtet Deutschland 1995 auf der von ihr geleiteten Berliner Klimakonferenz zum größten Einzelbeitrag bei der Reduzierung von Treibhausgasen. Am Zustandekommen des Kyoto-Protokolls 1997 hat sie maßgeblichen Anteil. Ein Jahr vor der rot-grünen Machtübernahme und der daraus resultierenden Einführung der von der Union heftig kritisierten Ökosteuer fordert Merkel bereits eine kontinuierliche Anhebung der Steuern auf Energie.

Gegenüber Kohl verhält sie sich zunächst loyal. Als sich 1998 dessen Ende als Bundeskanzler abzeichnet, beginnt sie ihre Kontakte zu Wolfgang Schäuble  zu intensivieren. Mit Erfolg. Schäuble wird nach der verlorenen Bundestagswahl zum neuen CDU-Chef gewählt, Merkel macht er zur Generalsekretärin. Schon zu diesem Zeitpunkt und nicht erst nach der Spendenaffäre geht die promovierte Physikerin auf Distanz zu Kohl, spricht bereits vor der Wahl gegenüber Journalisten davon, daß die „Dominanz der alten Männer“ in der CDU überwunden werden müsse. Doch noch gibt der Pfälzer – jetzt in der Funktion als CDU-Ehrenvorsitzender – trotz des personellen Wechsels in der Union den Ton an.

Dann beginnt die CDU-Spendenaffäre. Der Vorwurf: Die Union habe über Jahre hinweg verdeckte, sogenannte schwarze Konten betrieben. Ein Umstand, über den die Stasi seit langem bestens informiert war. Jahrelang hatte sie zu DDR-Zeiten CDU-Finanzexperten abgehört. Für die schon nach einem Jahr stark taumelnde rot-grüne Bundesregierung hätte der Skandal zu keinem günstigeren Zeitpunkt kommen können. Lenkt er doch Medien und Wähler vom katastrophalen Fehlstart der Schröder/Fischer-Regierung ab.

Auch Merkel profitiert, kann sich als unbelastete Aufklärerin zum neuen Hoffnungsträger der Union profilieren. Für sie beginnt jetzt der offene Angriff auf Kohl. Ein entscheidendes Datum ist dabei der 22. Dezember 1999. Der Tag, an dem Angela Merkel einen Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) veröffentlicht. Die Initiative für den Artikel geht nicht von der Zeitung aus. Es ist Merkel, die sich persönlich in der Redaktion meldet und einen von ihr selbst verfaßten Beitrag zum Spendenskandal anbietet. Die FAZ ist mit der Veröffentlichung einverstanden, erhält fünf Minuten später per Fax den bereits geschriebenen Artikel.

Mit diesem Schachzug gelingt Merkel ein vierfacher Coup: Kohls Demontage und Rücktritt vom Amt des Ehrenvorsitzenden; der endgültige Bruch des Altkanzlers mit seinem Kronprinzen Schäuble, den sie über den geplanten Artikel im Unklaren läßt und den Kohl nun wiederum verdächtigt, den Artikel lanciert zu haben; Schäubles Anfang vom Ende als CDU-Vorsitzender, weil nun dessen der Öffentlichkeit zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannte Spendenannahme ins Gespräch kommt, über die Merkel bereits im Bilde war. Und zuletzt ihre eigene Profilierung als unbelastete Aufklärerin.

So bricht Anfang des Jahres 2000 die komplette CDU-Elite weg. Durch die rapide sinkenden Umfragewerte verliert Volker Rühe zudem die sicher gewonnen geglaubte Landtagswahl in Schleswig-Holstein, womit er als neuer möglicher Parteivorsitzender  ausscheidet. An der Unionsspitze bleibt nur noch Merkel übrig, die, flankiert von einer auffällig wohlwollenden medialen Berichterstattung, am 10. April 2000 auf dem CDU-Bundesparteitag in Essen wie ein rettender Strohhalm im Spendenstrudel mit einem Traumergebnis von 96 Prozent zur neuen CDU-Chefin gewählt wird. 

Foto: Helmut Kohl verläßt frühzeitig die Spenden-Pressekonferenz (30. November 1999): Im Zuge der Affäre muß der CDU-Ehrenvorsitzende endgültig die politische Bühne verlassen

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