© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/11 17. Juni 2011

Pankraz,
J.-C. Juncker und der verschleppte Konkurs

Ist in der Politik wirklich alles erlaubt, was im „normalen“ bürgerlichen Leben, beispielsweise im Wirtschaftsleben, verboten ist, gegen das Gesetz verstößt, mit sofortigen Sanktionen belegt wird? Man mag das schwerlich glauben, auch wenn die serlöse politologische Literatur diesen Schluß vielfach nahelegt.

Politik ist nichts weiter als Lug und Trug, Mord und Totschlag – das sagen ja keineswegs nur die sogenannten Stammtischstrategen, sondern auch viele hochberühmte Schriftsteller und Nachdenker, von Epikur bis Emil Cioran. Sich aus der Politik herauszuhalten, galt seit der Antike vielerorts als höchste Lebenskunst und erstrangige Tugend. Einer der Großmeister der Philosophie der Politik, Machiavelli, konstatierte gar, sich politisch zu verhalten heiße, von allen Tugenden, vom Guten überhaupt, bewußt Abschied zu nehmen, sich dem Bösen zu verschwägern, auch und gerade, wenn man es gut meine.

Ob es die europäischen Regierungen mit ihrer gegenwärtigen Finanzpolitik gut meinen, steht in den Sternen, fest steht hingegen, daß sie sich seit Monaten hochkrimineller Handlungen schuldig machen und dabei völlig ungeniert gegen Gesetze verstoßen, die sie sich selbst gegeben haben. Gemeint sind die „Eurokrise“ und wie man ihrer Herr zu werden versucht, die ungeheuerlichen Finanzspritzen für potentielle Bankrottländer der Gemeinschaft, die sogenannte Transferunion, welche zur Zeit installiert wird.

Griechenland hätte nach Auskunft sämtlicher Experten längst Insolvenz anmelden müssen, doch der Konkurs wird mit Hilfe der EU planmäßig verschleppt. Dabei ist Konkursverschleppung in allen der beteiligten Staaten eine schwere Straftat, die im „normalen“ Wirtschaftsleben schlimmste Folgen nach sich zieht. Insolvenz an sich ist kein Verbrechen, vielmehr ein Moment im Wirtschaftsleben, mit dem man jederzeit rechnen muß. Insolvenzverschleppung hingegen ruft unnachsichtig den Strafrichter auf den Plan, und niemand hat Mitleid mit dem Verschlepper.

Alle wisssen: Ein Konkurs kann auf anständige Weise in Ordnung gebracht werden, ganze große Staaten, Argentinien etwa oder Rußland, haben schon Konkurse hinter sich gebracht und sind letzlich gestärkt daraus hervorgegangen. Konkursverschleppung ihrerseits aber bedeutet, daß ein Faß ohne Boden geöffnet wird und sich ein ökonomischer Abwärtsstrudel bildet, der immer neue Opfer in sich hineinreißt. Statt eines Endes mit Schrecken entsteht ein Schrecken ohne Ende, nichts wird beruhigt, nichts wird konsolidiert, der Dauereffekt, der entsteht, ist eine Mischung aus gegenseitigem Mißtrauen und gemeinsamer Hysterie.

Man kann sich immer nur wieder darüber wundern, mit welcher Unverfrorenheit die EU-Politiker zu Werke gehen. Schließlich verstoßen sie nicht nur permanent gegen die Gesetze des Rechtsstaats, sondern auch gegen die Regeln von Maastricht, die sie höchstselbst bei Einführung des Euro aufgestellt haben. Da hieß es klipp und klar, daß kein Mitglied der Währungsunion für die nationalen Verbindlichkeiten eines anderen aufkommen dürfe. Aber wie sagte schon Columbus, als ihn ein altmodischer Indianerhäuptling an ein von ihm gegebenes Versprechen erinnerte? „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern!“

Womit wir wieder bei der Machiavelli-These wären, daß die politischen Methoden insgesamt zum Reich des Bösen gehören, welche auch die „guten“ Politiker anwenden müssen; es komme nur darauf an, zu welchem Zwecke die Methoden angewendet würden. Die EU-Politiker ignorieren Gesetze und Verabredungen, operieren zudem wider jeden Expertenrat, gegen jedes Gebot wirtschaftlicher Vernunft. Aber sie meinen es doch so gut! Sie wollen „Europa retten“. Nun gut, aber dürfen sie sich deshalb wirklich alles erlauben?

Die Antwort lautet schlicht und ohne jeden Abstrich: Nein. Politik, gerade dem Rechtsstaat verpflichtete und demokratisch organisierte Politik, ist kein rechtsfreier Raum, und noch weniger ist sie ein erfahrungsfreier Raum, in dem irgendwelche am Schreibtisch ausgedachten Generalvisionen oder  -utopien gegen jegliche wissenschaftliche Einsicht herbeiregiert und „verwirklicht“ werden dürfen. Wer so etwas dennoch inszeniert, der stiftet eben nur schwärendes Mißtrauen und hysterische Dauerpolemik zwischen den Völkern und Nationen.

Vielleicht sollte man, bevor man wieder einmal eine utopische Chimäre durchs mediale Dorf jagt, erst einmal präzise danach fragen, ob Europa gerettet werden will und, wenn ja, vor wem. Ein Europa à la Brüssel, wie es sich Konkursbetrüger und notorische Geldvernichter vorstellen, hat  nicht die geringste Chance, jemals von den europäischen Völkern und Nationen akzeptiert zu werden. Ein Europa als Transferunion läßt sich nur errichten, indem man seine Völker und Nationen regelrecht vernichtet, sie absurden Bürokratien ausliefert und wehrlos macht gegen das Eindringen fremder, totalitärer Kulturen.

Das wissen übrigens auch die europäischen Geisteseliten, außer den schon erwähnten Wirtschaftsexperten auch die Künstler, die Poeten, die Erhnologen, die Ethologen und andere ernstzunehmende Lebenswissenschaftler. Viele von ihnen schweigen zur Zeit noch, wenden sich angewidert ab oder schütteln bloß die Köpfe. Aber geistiger Zuspruch für die politischen Insolvenzverschieber nebst ihren medialen Gehilfen bleibt aus, er existiert bei Lichte betrachtet gar nicht. Die von Brüssel arrangierte Transferunion gleicht einer Dame ohne Unterleib, der sie auch noch wesentliche Teile des Gehirns herausoperiert haben.

Machiavelli hatte einst als prächtiges Beispiel eines Politikers, der das Böse anwendet, um das Gute zu erreichen, den schönen, eiskalten Renaissance-Engel Cesare Borgia, Herzog von Urbino, herausgestellt. Dieser dachte keinen Augenblick seines Lebens daran, etwas aufzuschieben, das getan werden mußte, am wenigsten eine Insolvenz. Aber weder Jean-Claude Juncker noch Wolfgang Schäuble sind irgendwie borgialike.

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