© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/11 17. Juni 2011

Malerei der Selbstherrlichkeit
Inspiration durch den Genius der Mode: Bilder von Tamara de Lempicka in Rom
Sebastian Hennig

Vor hundert Jahren wurde das Nationaldenkmal in Rom eingeweiht. In der Basis jener gigantischen Treppenskulptur aus blendend weißem Brescianischen Marmor befindet sich das Museum des Risorgimento. Dort wird in einigen Räumen derzeit unter der Schirmherrschaft des italienischen Staatspäsidenten eine „Königin der Moderne“ inthronisiert.

Tamara de Lempicka (1898–1980)war eher eine Party-Prinzessin, die sich der Malerei bediente, um in die glanzvollen Gesellschaftskreise vorzudringen, und ihre mondänen Bilder waren die Fanfaren und Standarten, um ihre persönliche Erscheinung zu verkündigen, die das eigentliche Hauptwerk darstellte. Aber durch diese repräsentative Ausrichtung figurierte sie zumindest in ihrer Glanzzeit als eine Herrscherin, wenn nicht der Moderne, so doch der Mode.

Schattenhaft erschließt sich das gleich eingangs in zwei kurzen Filmsequenzen. Eine zeigt die Diva perfekt arrangiert in „Un bel atelier moderne“. Nur kurz ist sie in einem fast klinisch reinen Interieur beim Zeichnen zu sehen. Ihr Friseurtisch ist ein Laboratorium der Schönheit, umstanden von einer Phiolen-Kolonne. Zur Tafel schreitet sie dann wie der Priester an den Altartisch. Ein asiatischer Lakai legt ihr vor.

Intimer ist ein Schmalfilm, der sie mit der Freundin Ira Perrot in Versailles zeigt. Gerade weil er spontan entstanden und laienhaft ist, tritt die exhibitionistische Koketterie noch unmittelbarer hervor: Jede Bewegung vollzieht sich in ständigem Bewußtsein des Kameraauges. Beziehungsreich taucht im Hintergrund die berühmte Marmor-Diana auf.

Das Exaltierte ist ein rebellischer Reflex auf die Erlebnisse des russischen Bürgerkrieges. Nach der Vertreibung aus der großbürgerlichen Lebenssphäre war die junge Frau gehalten, ihre Fähigkeiten zu kultivieren, da ihr Mann nicht genug zum Unterhalt verdiente. Sie besann sich auf den Kunstunterricht, den sie als Mädchen als Teil der Universalerziehung genossen hatte, und setzte in Paris ihre Studien unter anderem bei Maurice Denis und André Lhote fort. Das Ergebnis war eine kurze und unübersehbare Schaffensblüte, während der sich Zeitgeist, Fähigkeit und Ehrgeiz kreuzten und verstärkten.

In Paris wurde 1920 auch die Tochter Kizette geboren. Vor einer kubistisch vereinfachten Hafenlandschaft im weißen Faltenrock und Strümpfen, mit goldblondem Pagenkopf lagert das lesende Mädchen auf einem der raffiniertesten Gemälde der Ausstellung.

Ihre große Zeit erlebte die Lempicka im Paris der Zwischenkriegszeit. Durch die Wirren im Osten gab es einen kräftigen Zustrom an slawischen Künstlern, der dem Kunstleben dieser Jahre eine eigene exotische Färbung verlieh und dann wieder in den Osten zurück wirkte. Zum zehnten Jahrestag der staatlichen Unabhängigkeit Polens wurde sie zu einer Ausstellungsbeteiligung nach Posen eingeladen. In einem Raum sind die Skulpturen und Gemälde des Kreises polnischer Künstler ihres Pariser Umfeldes ausgestellt.

Die dekorativen und kubistischen Elemente, die schon Konventionen waren, verwendet sie unbefangen für ihre Malerei. Der kühle und artifizielle Charakter der damaligen Mode gelangt in ihren besten Bildern zu unerreichter Ausprägung. Uraltes und sehr Kurzlebiges steigern sich zu Bildwelten, in denen der damalige Zeitgeist haltbar angereichert ist. Die kristallinische Klarheit der Porträts verweist auf die alten flämischen Meister, was durch die religiöse Symbolik noch verstärkt wird, zum Beispiel bei einer „Blauen Jungfrau“ und einer „Mutter Oberin“. Die kleinen Täfelchen sind in Rahmenleisten eingezimmert, die breiter als die Bildflächen ausfallen.

Eine schlüssige Einordnung in den Bildraum gelingt bei den überschaubaren Darstellungen nicht immer gleich gut. Es ist wie mit einem alten Kavalleristen, der auf eigenen Beinen kaum noch schreiten kann, aber auf dem Pferderücken unüberwindlich ist. Sobald die Szenerie tänzerisch und affektiert wird, sitzt auch alles am rechten Ort. Auch die grellen und kontrastreichen Farben wirken angemessen. Die komplizierteren Motive vereinfachen die Entscheidung durch eine Vielzahl an Größenverhältnissen. Die Akte der „Schönen Rafaela“ in atemberaubenden Verkürzungen sind souveräner absolviert als die Stilleben und Einzeldarstellungen, die stets etwas verloren im Viereck stehen. Ohne Inspiration durch den Genius der Mode will hier nichts gelingen. Telefonhörer, Motorradkappen und Uniformtressen sind die Attribute eines Lebens mit Stil.

Die Malerin hat später nie mehr zurückgefunden zu der überspannten Selbstverständlichkeit der besten Bilder. Ihre Versuche, Anschluß an die gegenstandlose Nachkriegsmalerei zu finden, sind in der Ausstellung nicht vertreten. Die wenigen Spätwerke wirken wie unbeholfene Fälschungen und laienhafte Experimente, wie Freizeit-Malerei. Die Hand ist aus der Übung gekommen. Es wird deutlich: Tamara de Lempicka war keine Malerin, die sich entwickelt, sondern ein Phänomen, das fast schlagartig erscheint und wieder verfließt. Nachdem der farbige Nebel der zwanziger und dreißiger Jahre dahin war, wäre es auch grotesk gewesen, zwanghaft diese Art der Malerei losgelöst von ihrem Umfeld weiterzuführen.

Die Ausstellung „Tamara de Lempicka – Die Königin der Moderne“ ist bis zum 10. Juli im Complesso del Vittoriano, Via San Pietro in Carcere (Fori Imperiali), in Rom zu sehen. www.exibart.com

Foto: Tamara de Lempicka, Kizette in Pink: Kristallinische Klarheit

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