© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/11 17. Juni 2011

Klimaschutz in der Unterwelt
Streit um Chancen und Risiken der geologischen Kohlendioxid-Speicherung / Neue Ängste wachsen
Peter Schuster

Der Aufruhr um den ICE-Bahnhof Stuttgart 21 oder das Kernenergie-Moratorium der Bundesregierung haben im Ausland wieder die Vorstellung belebt, die Deutschen seien Virtuosen in der Erzeugung kollektiver Ängste und Weltmeister des Irrationalismus. Ein Verdacht, den die Inspektion eines scheinbaren umweltpolitischen Nebenkriegsschauplatzes nährt.

Dabei geht es um das Projekt der unterirdischen Lagerung von Kohlendioxid (Carbon Capture and Storage/CCS), um die Emissionen des sogenannten Treib-hausgases zu reduzieren. Kaum waren aber erste Lagerstätten im Gespräch, formierte sich in den ausersehenen Regionen Widerstand. Von dem sich 2010 jeder Urlauber überzeugen konnte, der durch einen Wald von Protestschildern sein Ferienquartier auf Sylt oder Amrum ansteuerte. Die Bürgerwut hat dort inzwischen gefruchtet: In Nordfriesland, so ruderte die schwarz-gelbe Kieler Koalition zurück, werde die CO2-Einlagerung nicht realisiert. Der Bundesrat bestätigte zudem kürzlich eine Klausel im CCS-Gesetz, die es skeptischen Ländern wie Niedersachen oder Schleswig-Holstein ermöglicht, die unterirdische CO2-Verpressung zu untersagen. Brandenburg und Sachsen, die auf die Verstromung der heimischen Braunkohle hoffen, befürworten hingegen die CCS-Technik.

Vertraut man den Darlegungen des habilitierten Hydrologen Michael Kühn, der am Potsdamer Geoforschungszentrum das Zentrum für CO2-Speicherung leitet, resultiert der Widerstand im hohen Norden und anderswo aus blanker Panikmache (Chemie in unserer Zeit, 4/11). Erfahrungen bei Probebohrungen am Pilotstandort Ketzin nahe Potsdam belegten, daß mit ausgeklügelten Überwachungsmethoden die Gefahren von Speicherleckagen zu meistern seien. Im Ketziner Forschungsmaßstab habe sich die geologische CO2-Speicherung jedenfalls als „sicher und verläßlich durchführbar“ erwiesen. Allerdings will Kühn das „gewisse Restrisiko“ nicht verharmlosen. Entweicht das ungiftige und nicht explosive CO2 aus der Tiefe, vermische es sich zwar schnell mit der Umgebungsluft und werde auf ein ungefährliches Maß verdünnt. Es sei jedoch unbestreitbar, daß es trotzdem bei verschiedenen Ereignissen schon zu Todesfällen kam.

Ebensowenig dürfe man verschweigen, daß sich bei Freisetzungen die Grundwasserqualität verändere – wenn auch das Wasser meistens trinkbar bleibe. Diese die Bevölkerung beunruhigenden Probleme, die für Kühn „handhabbar“ sind, sollten die immensen ökologischen Vorteile der CCS-Technologie indes nicht aufwiegen. Denn von der bis zum Jahrhundertende erforderlichen CO2-Reduktion könne CCS neben Einsparungen, erneuerbarer Energie und Kernenergie ein Viertel übernehmen.

Die potentielle deutsche Speicherkapazität in tiefen salzwasserführenden Grundwasserleitern schätzt die Bundesanstalt für Geowissenschaften auf bis zu 75 Millionen Tonnen CO2 jährlich. Platz böte Deutschlands Unterwelt für etwa 14 Milliarden Tonnen, so daß zwei Jahrhunderte lang eingelagert werden könnte. Reibungslos umsetzbar sei das CCS-Konzept jedoch erst, wenn mehr „Aufklärung“ die Bevölkerung beruhige und die Kosten präziser abzuschätzen seien. Oder vielleicht ist CO2 bald zu schade zum Wegpressen: Forscher des Schweizer Paul Scherrer Instituts haben einen Reaktor entwickelt, der mittels Solarenergie und dem Katalysator Zeroxid aus Wasser und CO2 Syngas produziert, die Grundlage für flüssige Treibstoffe.

Foto: Braunkohlekraftwerk in Weisweiler: Niedersachen und Schleswig-Holstein wollen unterirdische Kohlendioxidverpressung untersagen

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