© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/11 24. Juni 2011

Internet
Die neuen Blockwarte
Dieter Stein

Das hat George Orwell in seinem ahnungsvollen Roman „1984“ nicht vorhergesehen: daß die Menschen dereinst nicht von einem totalitären System voll überwacht werden, sondern daß sie dies – nichtstaatlich organisiert – heute zu Millionen freiwillig selbst übernehmen. Das Internet wurde als technisches Mittel zur dezentralen Vernetzung von Großrechnern von Wissenschaftlern und Forschungseinrichtungen eingeführt und hat sich seit den neunziger Jahren durch den Siegeszug der PCs explosionsartig entwickelt: Über zwei Milliarden Internetanschlüsse werden aktuell gezählt. Was zunächst als demokratisches Medium gefeiert wurde, an dem jeder mitwirken kann, entfaltet immer stärker seine Janusköpfigkeit.

Fielen manche Jugendsünden oder andere Spuren, die ein Mensch im Laufe des Lebens hinterließ, in der Vor-Internet-Zeit früher oder später mildem Vergessen anheim, so häuft das exponentiell seine Speichermenge vermehrende Netz auf ewig die letzten Info-Schnipsel zu Erinnerungsgebirgen auf, gegen die jene von der DDR hinterlassenen Stasi-Aktenberge sich niedlich ausnehmen. Auf Samtpfoten fängt das Internet jede schriftliche Regung, jede Äußerung, jede private Beobachtung auf und liefert sie dem Schlund von Milliarden Nutzern aus.

Und die Bürger füttern das unersättlich Daten fressende Tier Internet immer bereitwilliger mit Privatem. Über 500 Millionen Nutzer zählt inzwischen weltweit das soziale Netzwerk Facebook, auf dem sich schon Schüler mit privatesten Bildern und Äußerungen entblößen. Die Suchmaschine Google erfaßt Facebook-Einträge an prominentester Stelle, und für Personalleiter gehört es heute zum Standard, einen Bewerber dort auf kritische „Fundstellen“zu durchleuchten.

Die Internet-Enzyklopädie Wikipedia ist ein Teil dieses Phänomens: Google wirft die von einer anonymen Nutzergemeinde erstellten und permanent scheinbar demokratisch überarbeiteten Einträge stets an erster Stelle unter dem Signum enzyklopädischer Neutralität aus. Inzwischen verlassen sich, wie Kenner bestätigen, Mitarbeiter von Ministerien, des Bundespresseamtes, von Presseabteilungen großer Konzerne, ja auch die meisten Journalisten fast blindlings auf die Einträge bei Wikipedia. Dabei hat sich einst als selbstkorrigierend konzipierte Datenbank gerade in politischer Hinsicht zu einem Super-Pranger entwickelt, dessen sich ein konzertiert vorgehendes, eng vernetztes Kartell linksgerichteter Administratoren (siehe Seite 7) bemächtigt hat, um Artikel über konservative, rechte Politiker, Medien, Institutionen mit den jeweils ungünstigsten Wertungen belasten. Die Auswirkungen sind für Betroffene mittlerweile verheerender als eine Erwähnung im Verfassungsschutzbericht, die Gegenwehr wiederum juristisch erheblich schwerer. Ein Skandal.

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