© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/11 24. Juni 2011

Lauter Schicksalsfragen
Konservatismus: Das Studienzentrum Weikersheim will mit seinem neuen Präsidenten Harald Seubert an alte Erfolge anknüpfen
Andre Freudenberg

Das Studienzentrum Weikersheim (SZW) zählt zu den wenigen konservativen „Denkfabriken“ in diesem Land. Doch die Probleme, die das freiheitlich-konservative Lager häufig hat, machen auch vor „Weikersheim“ nicht halt, wie der Jahreskongreß am vergangenen Wochenende gezeigt hat: Die Teilnehmerzahlen sind deutlich geringer als noch vor zehn Jahren, junge Menschen nur spärlich vertreten.

Hinzu kommt, daß das Studienzentrum turbulente Zeiten hinter sich hat und die Verbindungen etwa zur CDU in Baden-Württemberg weitgehend abgerissen sind. Seit der im Jahr 2007 geführten Debatte um die Trauerrede des damaligen Ministerpräsidenten Günther Oettinger (CDU) für Weikersheim-Gründer Hans Filbinger, die mit dem Austritt Oettingers aus dem SZW endete, wurde der Einfluß der CDU immer geringer, heute ist er kaum noch vorhanden.

Statt dessen versucht das Studienzentrum, sich mit einer unabhängigen konservativen Position ins Gespräch zu bringen. Die Finanzierung erfolgt dabei ausschließlich durch Spenden – Zuschüsse durch öffentliche Institutionen wie die Bundeszentrale für politische Bildung gibt es seit 2000 nicht mehr. Auch das Land hat den Geldhahn schon lange zugedreht. Negative Auswirkungen des Regierungswechsels in Baden-Württemberg sind zumindest in dieser Hinsicht also nicht zu befürchten.

Nun bemüht sich das Studienzentrum um einen neuen Aufbruch. Hoffnung wird dabei vor allem in die neue Führungsspitze um Harald Seubert gesetzt. Der 44 Jahre alte Professor für Kulturphilosophie wurde vergangenen Freitag einstimmig zum neuen Präsidenten gewählt. Zur anschließenden Tagung unter dem Motto „Freiheitlich-konservative Politik in Deutschland heute“ waren 50 Teilnehmer in die Orangerie des Weikersheimer Schlosses gekommen. Den Referenten gelang es, in ihren Vorträgen zumeist eine ausgewogene und teilweise tiefschürfende Analyse der derzeitigen Lage zu bieten; offen blieb freilich, welche konkreten Handlungsoptionen sich daraus ergeben könnten.

Der Staatsrechtler Karl Albrecht Schachtschneider war vom Tagungsort so angetan, daß er spontan vorschlug, den „Geist von Weikersheim“ nach Berlin zu verlagern. Er sprach über die „Bürgerlichkeit des Bürgers“ und mußte feststellen, daß der „Bürger“ als Rechtssubjekt im Staatsrecht kaum eine Rolle spiele: „Eine Lehre des Bürgers gibt es nicht im öffentlichen Recht.“ Analog dazu finde auch die Bürgerbeteiligung lediglich auf kommunaler Ebene statt. Gerade in „Schicksalsfragen“ werde der Bürger zum „Objekt“ degradiert. Allein das vom Bürgertum getragene „republikanische Prinzip“ garantiere jedoch die politischen Freiheit.

Der ehemalige brandenburgische Innenminister Jörg Schönbohm (CDU), zugleich SZW-Präsidiumsmitglied, nahm in seiner Rede zur „politisch-geistigen Situation“ Stellung. Er setzte sich mit der Frage der deutschen Identität auseinander und forderte ein selbstbewußteres Deutschland, das auch ein verläßlicherer Partner sei: „Die europäischen Nachbarn haben uns mehr vertraut als wir uns selber.“ Er ging auch auf den Jahrestag der Entscheidung des Bundestages für den Berlin-Umzug ein. Das Votum für Berlin sei eine Entscheidung für eine „repräsentative Hauptstadt“ und ein „wichtiger Schritt zur Selbstvergewisserung“ gewesen. Der General a.D. vermied es jedoch, so deutlich wie sein Vorredner auf aktuelle (Fehl-)Entwickungen einzugehen. Ein junger Teilnehmer nannte seine Lageanalyse denn auch „beschönigend“.

Hart mit der aktuellen Bildungspolitik ins Gericht ging der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus. Er konstatierte, daß in Deutschland ein „Alarmismus“ vorherrsche, der sich dem „Diktat von Statistiken“ unterwerfe. Für ihn offenbart dies einen „Verlust von Selbstachtung“ zugunsten europäischer Gleichmacherei. Linke Bildungspolitiker tappten in die „Egalitätsfalle“. Ihnen sei Leistung und Vielfalt suspekt. Dagegen sei „schulische Vielfalt der Einfalt haushoch überlegen“, und die Gesamtschulen würden sich allenfalls durch „durchschlagende Erfolglosigkeit“ hervortun. Innerhalb der Parteien, so Kraus, gebe es kaum noch bildungspolitische Unterschiede: Im Saarland und in Hamburg setze die CDU „lupenreine grüne Schulpolitik“ um. Spätestens hier zeigte sich den Teilnehmern der Tagung, daß eine konservative Denkfabrik heute vielleicht nötiger ist denn je.

www.studienzentrum-weikersheim.de

Foto: Tagungsort Schloß Weikersheim: Der Kontakt zur CDU ist weitgehend abgerissen

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