© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/11 24. Juni 2011

CD: Béla Bartók
Behutsame Formbildung
Sebastian Hennig

Die Aufnahmen von Béla Bartóks Orchesterwerken durch das RIAS-Symphonie-Orchester unter Ferenc Friscay zwischen 1951 und 1953 sind ein Festival der ungarischen Musik und ein Treffen der Landsmannschaft der emigrierten Künstler. Denn Friscay lud zu seinen Konzerten besonders gern Solisten ein, welche, gleich ihm, die Budapester Musikhochschule absolviert hatten.

Béla Bartók war dort seit 1908 als Professor für Klavierspiel tätig. Friscay wurde im Alter von sechs Jahren als Schüler aufgenommen, mit fünfzehn debütierte er bereits als Dirigent. Der Violinist Tibor Varga und die Pianisten Géza Anda, Andor Foldes und Louis Kentner gewährleisten eine authentische und doch spannungsvoll-heterogene Interpretation ihrer musikalischen Muttersprache.

Für die Gesangspartien bediente der Dirigent sich der damals noch unstrapazierten Gestaltungskraft von Dietrich Fischer-Dieskau und von Helmut Krebs. In dieser Wahl drückt sich einerseits Fricsays Bewunderung der deutschen Gesangskultur aus, andererseits zeigt sie, wie wichtig es ihm war, mit der Handlungsdramatik den deutschen (Radio-)Hörer direkt zu treffen.

Friscay ist zugleich der künstlerische Ausbilder des RIAS-Orchesters, dem er seit 1949 als Chefdirigent vorstand. Er holte noch im Antrittsjahr viele Musiker der Staatsoper in sein Orchester und verschaffte ihm hohes künstlerisches Ansehen. Er war einer der ersten Dirigenten, der gezielt Rundfunk und Schallplatte zur Etablierung seiner künstlerischen Vorstellungen einsetzte, noch bevor Herbert von Karajan die Medienpartnerschaft auf die Spitze trieb.

Es überwiegen unter den vorliegenden Aufnahmen die Studio-Produktionen. Die Gesamteinspielung der Orchesterwerke Bartoks, die vermutlich angestrebt wurde, kam nicht zum Abschluß. Und nicht alle Bänder haben sich im Rundfunkarchiv erhalten. Zu den Aufnahmen, die in den sechziger Jahren aus wirtschaftlichen Gründen gelöscht wurden, gehörte eine Einspielung von „Herzog Blaubarts Burg“. Es wird deutlich: wir nähren uns von Überbleibseln einer künstlerisch vitalen Zeit, die noch verschwenderisch mit ihren geistigen Schätzen umgehen konnte.

Von den zwei Konsequenzen, die man aus dem Vermächtnis der „klassischen Moderne“ ziehen kann: experimentelle Formzergliederung als Programm und behutsame Formbildung aus dem zersetzen Material einer gestörten Weltsicht, vertritt Friscay die erste. Die spätere intellektuell forcierte Bartók-Komplett-Einspielung von Pierre Boulez bildet das Gegenstück dazu.

Das Frühwerk ist mit der Rhapsodie für Klavier und Orchester (1904) und den „Deux Portraits, Op 5“ vertreten. Zwei Ansichten einer Person: In weitschwingenden Bögen wird das Ideal gekennzeichnet. Ein wildes Presto in einem Fünftel der Zeit zeigt anschließend die groteske Verzerrung. Dr. Jekyll und Mr. Hyde auf Ungarisch. Die Tanz-Suite wurde für ein Festkonzert zum 50. Jubiläum der Zusammenlegung der Städte Ofen und Pest zu Budapest komponiert. Das 3. Klavierkonzert ist eines der letzten Werke, die Bartok vollendete. Die Uraufführung lag gerade einmal vier Jahre zurück, als es Fricsay 1950 mit dem Pianisten Louis Kenter und dem RIAS-Orchester dem Berliner Publikum im Titania-Palast zu Gehör brachte.

Ferenc Fricsay dirigiert Béla Bartók Audite Mus (Edel) www.edel.com

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