© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/11 24. Juni 2011

Westliches Internetgespenst
Wenn eine „Lesbe“ ein Mann ist und eine „Syrerin“ ein Amerikaner, dann liegt „Damaskus“ in Schottland
Günther Deschner

Da war Jelena Lecic, ein in London lebendes Model aus Kroatien, doch „sehr verwundert“, als sie sich vor einer Woche selbst aus dem Guardian entgegenlächelte. Der Zeitung entnahm sie, daß sie eine lesbische Bloggerin namens Amina Araf Abdallah sei – vor ein paar Tagen erst brutal verhaftet und verschleppt in der syrischen Hauptstadt Damaskus. So hatte es die angebliche Cousine der syrisch-amerikanischen Aktivistin auf deren Blog „A Gay Girl in Damascus“ (dt. „Ein lesbisches Mädchen in Damaskus“) geschrieben.

Während eines Fernsehauftritts bei der BBC stellte das Model klar, sie sei weder eine syrische Bloggerin, noch kenne sie eine Person namens Amina Araf. Sie sei verärgert, daß ihr Konterfei als „lesbische oppositionelle Muslima“ um die Welt gehe. Aber sie empfinde Sympathie für die junge Frau, „die sich so mutig gegen die Diktatur auflehnt“.

623.000mal war das populäre Blog seit März angewählt worden. Plötzlich war Amina Arraf die Stimme und das Gesicht des Aufstands in Syrien. Sie sprach über Erotisches, Alltägliches und vor allem Politisches. Offen kritisierte sie die Zustände unter Präsident al-Assad. Die Geschichte ihrer angeblichen Festnahme durch „Assads Schergen“ hatte zu internationaler Empörung und der Bildung einer Facebook-Gruppe „Befreit Amina Abdallah“ geführt, die amerikanische Huffington Post und viele andere Medien berichteten darüber. Der US-Nachrichtensender MSNBC konnte unter Berufung auf „Insider“ sogar berichten, „die Kidnapper sollen zum Geheimdienst der regierenden Baath-Partei gehören“. Als die „Verschleppte“ wieder auftauchte, führte CNN ein E-Mail-Interview mit der vermeintlichen Oppositionellen.

In Deutschland sorgte sich am 8. Juni auch bild.de um die syrische „Augenzeugin“ Und selbst die Süddeutsche Zeitung sprach von einer „wertvollen Quelle über die Geschehnisse in Syrien“ – doch niemals hatte ein Journalist sie persönlich gesprochen oder gar getroffen.

Überall in der Welt wurde gerätselt, wer sich hinter dem Blog verbirgt. Daß sich arabische Aktivisten durch ein Pseudonym und ein falsches Gesicht schützen, ist üblich. Die Geschichte galt als symptomatisch für die Umstände in Syrien, wo Blogger schon für weniger verhaftet werden.

Nun aber stellte sich nach Recherchen des Guardian heraus: Die „Lesbe“ ist ein Mann, die „Syrerin“ ein Amerikaner, das „Damaskus“ der Berichterstattung liegt in Schottland. Die „authentische Zeugin des brutalen Vorgehens der Schergen des Dikators Assad“ ist nicht „Amina Araf“, sondern ein männliches Internetgespenst, der amerikanische Politikstudent Tom MacMaster, der an der Universität Edinburgh seine Diplomarbeit schreibt. Seine Figur, sagte er, sei „Fiktion“, die Aussagen über die Verhältnisse in Syrien stimmten aber. Er habe „News rausbringen“ wollen, „um die aktuellen Ereignisse im Brennpunkt zu halten“.

Inspiriert worden sei er auch durch Facebook-Seiten wie „The Syrian Revolution 2011“. Deren Administrator ist Fida ad-Din Tarif as-Sayyid Isa, ein 26jähriger Sunnit im Exil. Entsprechend religiös gefärbt ist der Tenor der Seite, und auch an konfessionellen Seitenhieben auf die alawitische Gemeinschaft, der die in Syrien herrschende Familie Assad angehört, mangelt es nicht. Mit rund 200.000 Anhängern hat die mit Koranzitaten und melodramatischen Musikeinspielungen bestückte Seite ein sehr großes Publikum.

Vielen Beobachtern wie der Schweizer Medienexpertin Madeleine Donati kommt es beunruhigend vor, wie der Tenor der die arabischen Umwälzungen begleitenden Blogs „mit der politischen Agenda der US-Regierung konform geht“. Seit das politische Potential der „Freiheit des Internets“ erkannt wurde, versuchten die USA, das Monopol auf dessen Förderung zu halten. Ein mit Technologie-Giganten wie Facebook, Twitter und maßgeblichen Medien verwobener „ideologischer Kokon“ sei entstanden, der Unabhängigkeit, Pluralismus, Dezentralisation – oder: Freiheit – zunehmend unberücksichtigt lasse. Arabische „Cyberdissidenten“ seien „sexy“ und in diesen Wochen seien sie gerade im Fall des von ausländischen Medien isolierten Syrien gefragt – aber nur, solange sie nicht zu „syrisch“ sind: „Zu Wort kommen nur die, die dem Westen das erzählen, was er hören will – und was er unkompliziert nachvollziehen kann.“

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