© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/11 24. Juni 2011

Geschichte als moralisches Strafgericht
Die Kultur des Denunziatorischen
(dg)

Wer nach 1980 eine höhere Schule in Deutschland durchlief, ist heute überzeugt, in der moralisch besten aller möglichen Welten zu leben. Er hat dieses Hochgefühl freilich mit dem Verlust an historischem Bewußtsein bezahlt. Denn über die Vergangenheit halte er nur noch „moralisch Gericht“, wie der Rechtswissenschaftler Bernhard Schlink (HU Berlin) aus seinen Erfahrungen mit diesem Studententypus folgert (Merkur, 745-2011). Frühe gymnasiale Einübung in die moralische Selbstgewißheit des „guten Demokraten“ unterwerfe Geschichte Maßstäben, denen die „Menschen damals“ nie gerecht werden können. Das gilt vor allem natürlich für die Geschichte zwischen 1933 und 1945. Diese routinierte Praxis der Aburteilung, ohne Einfühlung in frühere Lebensmuster, habe eine „Kultur des Denunziatorischen“ geschaffen. Sie präge Schule, Universität und eine Medienwelt, die denunziatorische Kampagnen als „Höhepunkte aufklärerischen Journalismus“ verkaufe. Dem unter solchen Konditionen bereits auf DDR-Ebene abgesunkenen geistigen Niveau gilt dabei nicht einmal Schlinks Hauptsorge. Schlimmer erscheint ihm, daß das Denunziatorische bei der nächsten Generation zum Überdruß an der Vergangenheitsbewältigung, den „Furchtbarkeiten des Dritten Reiches“ führen könnte.  www.online-merkur.de

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen