© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/11 01. Juli 2011

Die Union beerdigt die Hauptschule
Bildungspolitik: Mit ihrem Kurswechsel in der Schulpolitik stelltdie CDU die Geduld ihrer Anhänger erneut auf eine harte Probe
Ansgar Lange

Die bayerische Schwesterpartei sandte ein Donnergrollen nach Berlin. Als Kommentar zum neuen Schulkonzept der CDU fielen böse Worte wie „Gouvernantenstaat“ und „Retro-Pädagogik“. Was war geschehen? Ein Antragsentwurf des Vorstands für den CDU-Parteitag im November sieht vor, daß das Schulsystem der Zukunft zweigliedrig ausfallen soll. Neben dem Gymnasium soll es nach dem Willen der Parteioberen, denen der Deutsche Lehrerverband flugs eine „Sozialdemokratisierung und Vergrünung“ der Bildungspolitik vorwarf, nur noch eine Oberschule geben. Diese würde dann Haupt- und Realschule vereinen.

Kritiker beklagen, mit dem langfristigen Verzicht auf die Hauptschule werde weiteres konservatives Tafelsilber der CDU verschleudert. Dies sieht CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe, der den einstimmigen Beschluß des Bundesvorstandes zum neuen Bildungskonzept verteidigte, natürlich anders: „Wir wollen das differenzierte, auf Leistung und Durchlässigkeit und Chancengleichheit setzende Bildungssystem demographiefest und zukunftssicher machen.“ Ob diese Aneinanderreihung von Worthülsen und Schlagwörtern die Unterscheidbarkeit der schulpolitischen Konzepte der Parteien stärken wird, darf bezweifelt werden. „Wer die Linken und wer die Konservativen sind, das zu unterscheiden, ist in der Schulpolitik der deutschen Parteien beinahe unmöglich geworden“, kommentierte die Welt.

Die oberste Instanz der Schulpolitiker jeglicher Couleur ist der „Elternwille“. Zwar interpretieren die Parteien diesen ominösen Willen durchaus unterschiedlich – je nachdem, wie er ins eigene ideologische Konzept paßt. Fakt ist aber, daß die Hauptschulen ein massives Imageproblem haben. Die eigentliche Kernschule ist in den vergangenen Jahren als eine Art „Schule für die Doofen“ schlechtgeredet worden. Dabei rekrutierten hier früher vor allem handwerkliche Berufe ihren Nachwuchs.

Auf den ersten Blick mag es verwundern, daß die Union noch vor wenigen Jahren für die Rettung der Hauptschulen stritt und diese nun abschaffen will. „Die Hauptschule muß in der gesellschaftlichen Wahrnehmung aufgewertet werden.“ Dieser Satz ist elf Jahre alt. Er entstammt den bildungspolitischen Leitsätzen, die die CDU im Jahr 2000 in Stuttgart beschlossen hat. Allerdings hat sich die gesellschaftliche Wirklichkeit seit damals radikal verändert, argumentieren die schulpolitischen „Reformer“.

Im nordrhein-westfälischen Remscheid etwa beträgt der Schülerrückgang an den Hauptschulen seit 2001 stolze 31 Prozent. Die CDU nimmt diese Zahlen zur Kenntnis. Ob sie die richtigen Schlüsse daraus zieht, daran melden unter anderem Schulpolitiker aus NRW Zweifel an. So verwies Thomas Sternberg, schulpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im Düsseldorfer Landtag, im „Deutschlandradio“ darauf, daß im bevölkerungsreichsten Bundesland noch 200.000 Schüler auf die Hauptschule gehen – genauso viele Schüler besuchten die angeblich so nachgefragte Gesamtschule. Manche halten es daher für Augenwischerei, wenn man den Eltern suggeriert, daß die Gesamtschule besser sei als die Hauptschule und zu höheren Bildungsabschlüssen führe. In der Theorie sollte eine Gesamtschule zwar aus drei ungefähr gleichen Teilen bestehen: einem Gymnasialzweig sowie einem Haupt- und Realschulzweig. Doch nehmen wir wieder das Beispiel Remscheid. Nur zwei von rund 160 Schülern, die keinen Platz an den beiden Remscheider Gesamtschulen fanden, verfügen über eine Gymnasialempfehlung. Die meisten der abgewiesenen Schüler hatten eine Haupt- oder Realschulempfehlung. Sozialdemokraten und Grüne nutzen diese Zahlen zum Trommeln für eine dritte Gesamtschule. Dabei wären die genannten Schüler an einer Haupt- oder Realschule aufgrund ihrer Leistungsfähigkeit viel besser aufgehoben.

Die Geschwindigkeit, mit der die CDU nun auch alte schulpolitische Grundsätze über Bord wirft, verunsichert die Parteibasis. Als der nordrhein-westfälische CDU-General Oliver Wittke auf einem Kreisparteitag davon sprach, man habe im Landtagswahlkampf „wider besseres Wissen für ein dreigliedriges Schulsystem“ gekämpft, führte dies zu einigem Grummeln. Denn bei aller politischen Wendigkeit heißt dies doch im Kern, daß man die Wähler belogen hat. 

Im Saarland wurde bereits vor kurzem eine Verfassungsänderung von CDU, FDP, Grünen und der Linkspartei beschlossen. Sie soll den Abschied von der Hauptschule erleichtern und die Einführung der Gemeinschaftsschule ermöglichen. Mit dem Verzicht auf die Hauptschule dürfte auch ein Verzicht auf verstärkte Berufsorientierung einhergehen – und mit der Förderung der Gemeinschaftsschule vielleicht sogar der Weg in die Einheitsschule. Dann wäre das neue Schulkonzept der CDU eine Art Sargnagel für das Gymnasium.

Foto: Hauptschulklasse: Abschied vom dreigliedrigen Schulsystem

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