© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/11 01. Juli 2011

Westliches Ringen um Damaskus
Syrien: Trotz blutiger Unterdrückungsmaßnahmen zeigt sich der Westen gegenüber dem Assad-Regime milde / Angst vor Chaos in Nahost
Günther Deschner

Am Montag dieser Woche kamen in Damaskus 200 Gegner des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad zu ersten Gesprächen über „einen syrischen Weg in die Demokratie“ zusammen. Die Veranstaltung war von den syrischen Behörden genehmigt, doch Regierungsvertreter waren nicht beteiligt. Bekannte Oppositionelle waren eingeladen – unter ihnen auch Michel Kilo, ein bekannter, vom Kommunisten zum linksliberalen Demokraten gewandelter Journalist, der viele Jahre politischer Häftling war.

Schon wird darüber spekuliert, ob sich die Opposition zum Partner für den von Präsident Assad in seiner jüngsten „Reformrede“ vorgeschlagenen „nationalen Dialog“ mausern kann. „Es war die erste derartige Zusammenkunft seit Beginn des Aufstands gegen das syrische Regime“, so die Agentur dapd. „Aktivisten, gegen deren Teilnahme die Behörden Einspruch eingelegt hatten, kritisierten das Treffen als Trick, um Assads Regierung Legitimität zu verleihen.“

Der Vorgang ist symptomatisch: Darüber, was in Syrien vorgeht, gibt es mehr Spekulationen als gesicherte Nachrichten; eine wirklich unabhängige und zuverlässige Berichterstattung aus der „Arabischen Republik Syrien“ existiert seit Monaten nicht mehr. Eindeutig ist nur, daß es seit langem Demonstrationen gegen die Herrschaft von Präsident Assad gibt und daß er darauf mit einer Mischung aus blutiger Repression und Reformversprechen reagiert hat. Immer wieder flammen in den Städten neue Proteste auf – wie zuletzt in Dschisr al-Schughur, nah der türkischen Grenze. Dort soll es zu einem Massaker an Soldaten und Polizisten gekommen sein. Ob dafür „Aufständische“ verantwortlich waren oder ob das Militär an Meuterern, die nicht auf Landsleute schießen wollten, ein Exempel statuiert hat, ist unklar.

Jedenfalls ist es Assads Sicherheitsapparat nicht gelungen, den Widerstand zu brechen. Der Präsident läßt weiter scharf durchgreifen, sein Regime wackelt. Die Zeit drängt, denn sehr lange kann sich das seit George W. Bush als „Schurkenstaat“ etikettierte und sanktionsgeschwächte Syrien den Luxus bürgerkriegsähnlicher Wirren nicht leisten.

Doch Damaskus kann mit einiger Sicherheit darauf zählen, daß – anders als in Libyen – kein militärischer Eingriff von außen zugunsten aufrührerischer Oppositioneller erfolgen wird. Der finanziell angeschlagene „Westen“ ist mit Libyen mehr als genug belastet – und er zögert auch deswegen, weil keiner weiß, was ein Umsturz für die Region bedeutete. Die Furcht vor einer möglichen Instabilität ist Assads stärkster Trumpf, um an der Macht zu bleiben, selbst wenn dies nur mit Gewalt möglich ist.

Hafez al-Assad, Vater des jetzigen Präsidenten und von 1970 bis 2000 an der Macht, hatte trotz wirtschaftlicher und militärischer Probleme die Fäden in der Region so geschickt gesponnen, daß Syrien eine geostrategische Bedeutung erlangte, die andere arabische Staaten nie erreichten. Auch wenn seinem Sohn ein vergleichbares Geschick abgeht, hat sich doch gezeigt, daß der „syrische Knoten“ Stabilität beschert.

Doch unter Baschar al-Assad näherte sich Damaskus – nicht zuletzt unter dem Druck von Washingtons „Schurkenstaat“-Politik – dem Iran an, in dessen Konzept einer „schiitischen Achse“ (JF 43/10) Syrien ein wichtiger Baustein wurde. Sie verläuft von Teheran über den seit Saddam Husseins Sturz von Schiiten regierten Irak bis nach Beirut, wo die libanesische Hisbollah im Januar den sunnitischen Ministerpräsidenten Saad Hariri stürzte.

Das Gegenstück zur schiitischen stellt die dem Westen genehme Achse der sunnitischen Staaten dar – Ägypten, Jordanien und Saudi-Arabien. Ein Politikwechsel in Damaskus würde Irans Gegenspieler Saudi-Arabien und damit die US-Interessen stärken.

Weil Syrien so wichtig ist, will jeder das Regime in Damaskus beeinflussen, sei es mit partnerschaftlichen Ratschlägen, wie es der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdoğan und sein Außenminister Ahmet Davutoğlu erfolglos versuchten, sei es mit Unterstützung auf internationalem Parkett, wie es China und Rußland tun, oder wie die Amerikaner, die es abwechselnd mit Sanktionen und halbherzigen Dialogangeboten probierten. Sie alle folgen der Weisheit des früheren US-Außenministers Henry Kissinger, der Syriens Bedeutung auf den Punkt brachte: Im Nahen Osten könne es „keinen Frieden geben ohne Damaskus“.

Vor allem Erdoğan hatte dem syrischen Staatschef eine Reform-Wende zugetraut, die das schlimmste Blutvergießen hätte vermeiden können. Doch die geringe innenpolitische Elastizität Assads und das demonstrativ brutale Verhalten seiner Sicherheitskräfte an der türkischen Grenze haben Ankara in Verlegenheit gebracht. Der Ton ist kritischer geworden, auch wenn die Tür zu Vermittlungen nicht ganz zugeschlagen ist.

Neben den politischen gibt es auch militärische Gründe, warum der Westen und seine Nato den syrischen Rebellen nicht wie in Libyen zu Hilfe kommen. Gaddafi war seit langem ein Außenseiter in der arabischen Welt. Syrien aber war und ist ein arabisches Kernland. Außerdem gibt es in Syrien keine „befreiten Gebiete“, die militärisch geschützt werden könnten. Und es gibt bisher keine organisierte Widerstandsbewegung, die westliche Regierungen als Gegenpol zu Assad anerkennen, mit der sie verhandeln könnten.

Die verschärften und dennoch wenig wirksamen Sanktionen, die Washington (und danach die EU) gegen Assad und sechs hochrangige Gefolgsleute verhängt hat, sind sogar bei US-Kommentatoren auf Kritik gestoßen, die sie für Obamas „Wahlkampftricks“ halten: „So kann er sich als ein Mann präsentieren, der scharf gegen arabische Diktatoren vorgeht. Er hat Bin Laden getötet und Sanktionen gegen Baschar al-Assad verhängt.“

Auf jene Staaten aber, die sich auf internationaler Ebene noch für Syrien engagieren, allen voran China und Rußland, wirkten Assads Reformversprechen. Ihr Argument, Assad sei „doch bereit, etwas zu ändern“, wurde gestärkt. Doch die Uhr für Veränderungen tickt. Soviel Zeit, wie er schon hatte, wird dem alawitischen Hoffnungsträger nicht mehr bleiben.

Foto: Posieren nach einem blutigen Einsatz in der Rebellenhochburg Deraa: Syrische Soldaten präsentieren Baschar al-Assad (l.) und seinen Vater Hafez

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