© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/11 01. Juli 2011

„Nur! Für! Geld!“
Die Seele ist ein Dschungel: Der zweite Teil mit Talkshow-Auftritten des genialisch-verrückten Schauspielers Klaus Kinski ist auf DVD erschienen
Harald Harzheim

Kein Zweifel, Nietzsches Selbstbeschreibung „Ich bin kein Mensch, ich bin Dynamit“ (Ecce homo) ist auch auf Klaus Kinski anzuwenden. Dessen Energie sprengte  nicht nur Leinwände und Buchdeckel, sondern wirbelte auch komatöse Fernseh-Talkshows auf. Letzteres bewiesen die auf DVD gesammelten „Kinski Talks“ vor einem halben Jahr (JF 9/11). Jetzt folgte „Kinski Talks 2“: Deren Spannung liegt nicht in der Frage, ob Kinski die jeweilige Talkshow zur Eskalation treibt (das tut er sowieso). Nein, interessant ist, wie er es jedesmal schafft. Und da zeigt auch der zweite Teil neue Varianten ...

Man könnte glauben, ein sadistischer TV-Redakteur hätte sich das ausgedacht: 1985 konfrontierte man in „Zeit zu zweit“ die damals 20jährige Jungmoderatorin Désirée Nosbusch mit dem Talkshow-Schreck Klaus Kinski. Natürlich ignorierte der Weltstar auch diesmal die TV-Trinität „nett – langweilig – unverbindlich“, ließ den Instinkten freien Lauf: Mal brüllt er vor Wut, mal legt er seinen Kopf in Frau Nosbuschs Schoß, als wolle er die Pietà zitieren. Zuletzt überkommen ihn Zärtlichkeitsanfälle: Er wälzt sich mit Frau Nosbusch im Gras, als wäre er ihr Liebhaber. Natürlich kann einem die Interviewerin leid tun, die ängstlich und nervös Fragen stellt, ohne zu wissen, welche Extremreaktion folgt.

Anderseits läßt sich Kinskis Spiel auch als Protest deuten: Ist das unverbindliche TV-Blabla nicht auch eine Form von „Gewalt“? Hat er nicht recht, wenn er oberflächliche Höflichkeit und Pseudo-Interesse als „Aggression“ interpretiert? „Ihr wißt ja gar nicht, wie aggressiv ihr seid!“ schreit er die Nosbusch an. Die wunderte sich natürlich, war sie doch so nett und zurückhaltend. Zu tief steckte die junge Luxemburgerin im Konventionssumpf, der sie mit einer Karriere belohnte. Man ahnt: Es hätte dem Provokateur Kinski durchaus imponiert, wenn Frau Nosbusch das Interview einfach abgebrochen hätte. Daß sie ihm aber jede Demütigung „verzieh“, das Gespräch fortführte, als wäre nichts gewesen, solche „Professionalität“ steigerte seinen Furor nur noch. Immerhin hatte er für den Dreh das tosende Meer als Kulisse ausgewählt, sein Symbol der Freiheit. Vor diesem Hintergrund sorgte Nosbuschs Mangel an Selbstachtung für unerträglichen Kontrast. Manchmal scheint es, daß Kinskis Aggression gar nicht ihr galt, sondern dem Auftraggeber, dem Bayerischen Rundfunk. Und vielleicht verstanden dessen Redakteure die Botschaft sogar: Die Talk-Serie „Zeit zu zweit“ wurde nach dieser Folge sofort eingestellt ...

Nicht weniger rahmensprengend erwies sich der Radikaldarsteller in der NDR Talkshow von 1985. Abwechselnd stellte er sich schlafend, pöbelte wild herum oder theamatisierte den „schönen Po“ von Moderatorin Alida Gundlach. Die fragte ihn, warum er bevorzugt „Bösewichter“ spiele. Kinskis Antwort: „Wir sind doch alle Mörder.“  Außerdem: „Im Film zahlen die viel Geld dafür“, und überhaupt sei diese Frage „sinnlos“. Frau Gundlach aber hakt nach, hofft, ihm eine zusätzliche Motivation zu entlocken. Da rastet der Star aus: Man solle ihm endlich glauben, daß er Filmrollen nicht nach künstlerischen Kriterien auswähle. „Nur! Für! Geld!“ spiele er. „Ich bin eine Hure. Da ist nichts Obszönes dabei.“

Und doch waren auch eskalationsfreie Interviews mit Kinski möglich. Das bewies der US-Dokumentarfilmer Jay Miracle mit „Dinocittà“ (1986). Der begleitete den Star mit Handkamera beim Spaziergang über ein Studiogelände. Selbst nicht im Bild, lieferte Miracle lediglich Stichworte, zu denen Kinski überschäumend assozierende (Wut-)Monologe abspulte: Er verachte „diesen ganzen Kult um die Regisseure“, die sich meist wie Lehrer benähmen, deren angemaßte Autorität ihn schon als Jugendlicher provozierte. (Während der Schulzeit habe er seine Lehrer regelmäßig verprügelt.)

Nicht minder ekelt er sich vor Filmstudios, die ihre Arbeiter vierzehn Stunden pro Tag schuften lassen, sie damit zu Skaven degradierten. Selbst die Alltagssprache sei von Anmaßung und Doppelmoral durchseucht: So fände jeder Vorwände, Mitmenschen zu töten, aber keiner sage: „Ich bin ein Killer.“ Ebenso schienen ihm unzählige Worte wie „Respekt“ oder „Ehrfurcht“ als bedeutungsleer, glitten ihm „wie Seife“ aus der Hand. Sein eigenes Temperament beschrieb er als italienisch. Außerdem liebe er das „wahre Amerika“, wo man keinen Kult um sich mache, sondern nach der Devise lebe: „Just do it“, inszenier’ dich nicht, geh’ uns nicht auf den Keks. Natürlich schwärmte der 62jährige wieder von der Jugend: Sie besäße die Schönheit jener, deren Seelen noch nicht gestorben sind.

Kurzum, Kinskis Bedarf nach Freiheit, sein Haß gegen jede Form von Einschränkung war derart groß, daß er mit sämtlicher Konvention (bis hin zur Sprache) brechen mußte. „Ich will nicht das Opfer sein von dem, was die Leute anerkennen“, erklärte er Désirée Nosbusch. Deshalb interessiere ihn weder Lob noch Kritik. Kultur, Kunst, Lehrer erfüllten ihn mit Abscheu. Und als Affektmensch wußte er: „Die Seele ist ein Dschungel.“

Eine solche Existenz aber ist nur als Solitär möglich, macht jedoch jede dauerhafte Liebe und Bindung unmöglich. Ein Preis, der ihn in bezug auf seine Töchter Pola und Nastassja sowie seinen Sohn Nanhoï Nikolai besonders schmerzte. Mit allen dreien hatte er zuletzt keinen Kontakt mehr.

DVD: Kinski Talks 2. Deutsche Grammophon Literatur, 2011, Laufzeit etwa  139 Minuten, 17,99 Euro

Foto: Klaus Kinski in „Dinocittà“ (1986): „Ich will nicht das Opfer sein“

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen