© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/11 01. Juli 2011

Steigbügelhalter für die Chinesen
Rasante Entwicklung im Bahnbau und weltweite Exporterfolge bedrängen Europas Marktführer
Joachim Feyerabend

Es ist das alte Lied: Europäische Konzerne liefern das Know-how, leisten Steigbügelhilfe und wenig später sehen sie sich auf den internationalen Märkten einer ernstzunehmenden Konkurrenz gegenüber, die hohe Qualität zu geringeren Preisen anbietet und sie damit sogar aus dem Feld schlägt. Paradebeispiel in jüngster Zeit: Chinas Eisenbahnbauer streben die Weltmarktführung an, sie drängten bereits den einst mit führenden Hersteller Siemens aus dem Führungstrio.

Während der Dax-Konzern noch vor wenigen Jahren nach Bombardier Transportation (Berlin) und Alstom (Frankreich) auf Platz drei in der Welt rangierte und die Chinesen beim Aufbau ihrer Industrie unterstützte, rollt das Land der Mitte inzwischen dem ehemaligen Sponsor und Geschäftspartner davon. Die chinesischen Staatsunternehmen China South Locomotive & Rolling Stock Corp (CSR) und China North Locomotive & Rolling Stock Industry Group (CNR) belegen Platz 3 und 4 und verwiesen Siemens auf Rang 5. CSR und CNR erzielten dabei ein Umsatzvolumen von mehr als 5,5 Milliarden Euro.

Inzwischen haben die beiden an der Börse von Schanghai notierten Firmen ein Auftragspolster von etwa neun Milliarden Euro. Es handelt sich also beileibe um keine Nischenindustrie, denn weltweit setzt die Branche der Bahnbauer jährlich 130 Milliarden Euro um. Stolz verkündet der Chefingenieur des chinesischen Eisenbahnministeriums, He Huawu, daß die Technologien seines Landes längst besser und komplexer seien als die der europäischen Wettbewerber, also Deutschlands ICE und Frankreichs TGV.

Bewährtes Rezept Pekings ist die Kooperation auf breiter Front mit allen führenden Herstellern, dann der zügige Ausbau der eigenen Industrie und Ingenieursleistung. Beispielsweise baut Bombardier gegenwärtig etwa 80 Hochgeschwindigkeitszüge vom Typ „Zefiro“ in Kooperation mit CSR. Siemens Verkehrstechnik in Erlangen produziert mit der chinesischen CNR 140 Superschnellzüge des Typs „Velaro“ auf der Basis des ICE 3, lieferte Signal- und Steuerungstechnik.

Davor waren bereits 60 Einheiten und 600 Güterlokomotiven zusätzlich geordert worden. Die japanische Firma Kawasaki plant mit CSR einen dem eigenen bewährten Shinkansen nachempfundenen Schienenblitz. Weitere Gemeinschaftsprojekte bei der Herstellung von S- und U-Bahnen, im Schienenbau und in der Signaltechnik sind ebenfalls am Laufen. Inzwischen beteiligen sich die Chinesen und Japaner (darunter auch Hitachi) sogar an Ausschreibungen in Europa, etwa in England und Frankreich.

Die größten Erfolge erzielen die neuen chinesischen Wettbewerber aber in der Dritten Welt und den Schwellenländern. Exporte in den Kongo, Lieferungen an die kubanische Staatsbahn wurden abgeschlossen, ebenso Lieferungen mit Brasilien vereinbart. CSR allein heimste bis Ende 2010 Auslandsaufträge über 550 Millionen Euro ein. Das sind zehn Prozent des Umsatzes. Weitere Kontrakte bestehen mit dem Nahen Osten, mit Zentral-, Süd- und Südostasien, mit 13 Ländern Afrikas und mit Ozeanien. An die Saudis wurden 50 Loks und 125 Güterwagen geliefert.

Auch Libyen heuerte für eine Ost-West- und eine Nord-Süd-Strecke die Eisenbahnbauer aus dem Reich der Mitte an. Das reiche Singapur steht ebenso auf der Kundenliste wie Vietnam, Kambodscha oder sogar Simbabwe. 210 Güterwagen gingen nach Australien und Hongkong. Mit Indien wurde ein Kontrakt über U- und S-Bahnzüge abgeschlossen. Sie sollen Gurgaon Cyber City, das indische Silicon Valley, an die Hauptstadt Delhi anbinden. Malaysia vergab Aufträge im Wert von 440 Millionen Euro nach Peking.

Große Hoffnungen ruhten auch auf der Ankündigung von US-Präsident Barack Obama, Milliarden für den Aufbau eines Hochgeschwindigkeitsnetzes auszugeben. Doch wegen der dramatischen Haushaltslage wird es wohl auf absehbare Zeit bei der bestehenden Strecke Boston–New York–Washington bleiben.

Dafür entwickelt sich der Binnenmarkt der Volksrepublik fast dramatisch aufwärts. Mit 1,5 Milliarden beförderter Passagiere und 3,3 Milliarden Tonnen Fracht nimmt China – bezogen auf die Transportmenge – in der Welt den ersten Platz ein. Das bereits bestehende Schienennetz von 70.000 Kilometern soll auf 120.000 Kilometer erweitert werden. Darunter werden 16.000 Kilometer als zweispuriges Schnellbahnnetz für etwa tausend Expreßzüge (viermal soviel wie in Deutschland) gebaut.

Noch 1949 umfaßte das Eisenbahnnetz gerade mal 22.000 Kilometer und das Glanzstück war die Dampflok „Mao Tse-tung“, im Eisenbahnmuseum von Peking zu besichtigen. Heute schickt das rote Riesenreich mit dem CRH 380A, dem ersten, angeblich vollkommen eigenständig entwickelten Hochgeschwindigkeitszug auf die Schienen – den Rekordhalter für serienmäßige Triebwagenzüge. Er erreichte im Test 486 Stundenkilometer. Eine technische Glanzleistung war zudem der Bau der fast 2.000 Kilometer langen Bahnstrecke nach Tibet über das Dach der Welt in durchschnittlich 4.000 Metern Höhe.

Die Fahrtzeit mit dem Expreßzug Hexe (Harmonie) von Peking ins 888 Kilometer entfernte, einst deutsche Tsingtau (Qingdao) dauert statt 13 nur noch fünf Stunden. An der ICE-Trasse Berlin-München wird seit 1991 gearbeitet – frühestens 2017 soll sie durchgehend befahrbar sein. Die 1.318 Kilometer lange Distanz zwischen Peking und Schanghai wird mit einer Höchstgeschwindigkeit von 350 Stundenkilometern in vier Stunden bewältigt. Damit sind auch die Hoffnungen deutscher Firmen auf eine früher ins Auge gefaßte Transrapid-Strecke zwischen den beiden Zentren Makulatur.

 

Hochgeschwindigkeit in China

Die erste Hochgeschwindigkeitsstrecke auf dem Gebiet der heutigen Volksrepublik China ging schon 1934 in Betrieb: Zwischen der Hafenstadt Dalian und Hsingking (der Hauptstadt des von Japan kontrollierten Mandschukuo) verkehrte der „Ajia-gō“ (Asien-Expreß), vollklimatisiert und gezogen von den über 130 km/h schnellen Stromliniendampfloks vom Typ „Pashi-7“, einer japanisch-mandschurischen Koproduktion. 1943 mußte der Betrieb auf der 701 Kilometer langen Strecke kriegsbedingt eingestellt werden. Nach der Machtübernahme der Kommunisten war für vier Jahrzehnte an Schnellverkehr nicht zu denken. Erst nach Aufnahme des wirtschaftlichen Reformkurses wird seit den neunziger Jahren das chinesische Schienennetz zügig ausgebaut und modernisiert. Im regulären Fahrplanbetrieb ist seit 2010 die Verbindung Schanghai–Hangzhou mit maximal 350 km/h die schnellste Bahnstrecke der Welt. Der chinesische Bahnexport verfolgt auch strategische Ziele: moderne Hochtechnologie für den Westen, preiswerte Bahntechnik für arme Länder – im Austausch für Rohstoffe.

Foto: Chinesischer Superexpreß CRH 380A: Die einstige Mandschukuo-Hauptstadt Changchun (Hsingking) ist das Zentrum der neuen Bahnindustrie

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