© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/11 08. Juli 2011

„Verfassungsbruch begangen“
Euro-Rettung I: Schlagabtausch bei der mündlichen Verhandlung beim Bundesverfassungsgericht
Hinrich Rohbohm

Das Interesse ist sehr groß. Als Bundesverfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle am vergangenen Dienstag Punkt 10 Uhr in Karlsruhe die mündliche Verhandlung in Sachen „Griechenland-Hilfe“/„Euro-Rettungsschirm“ eröffnet, ist im Besucherraum und auf der Pressetribüne jeder Platz besetzt. Zusätzliche Stühle werden von Gerichtsbediensteten herangeschafft, um dem starken Andrang gerecht zu werden. Es herrscht wildes Gedränge.

Eine Gruppe um den ehemaligen BDI-Präsidenten Hans-Olaf Henkel hatte sogar versucht, per Antrag auf einstweilige Anordnung ihre Ladung vor das Verfassungsgericht zu erzwingen. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) ist höchstpersönlich zum Verhandlungsauftakt erschienen. Und mit ihm eine ganze Schar weiterer hoher Regierungsbeamter aus den Bundesministerien, Vertreter der Landesregierungen und der Bundesbank sowie mehrere Bundestagsabgeordnete.

Der Grund für die selbst für das Bundesverfassungsgericht ungewohnt hohe Aufmerksamkeit hat es in sich. Die Professoren und Euro-Gegner Karl Albrecht Schachtschneider, Wilhelm Hankel, Joachim Starbatty und Wilhelm Nölling klagen ebenso wie der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler gegen den Euro-Rettungsschirm. Ihnen angeschlossen hat sich der ehemalige Thyssen-Chef Dieter Spethmann.

Sie werfen der Bundesregierung schwere Rechtsbrüche vor. „Fundamentalnormen der europäischen Währungsverfassung“ seien verletzt worden, betont etwa der Freiburger Verfassungsrechtler Dietrich Murswiek, der als Prozeßvertreter von Gauweiler das Wort ergreift. „Der Vertrag von Lissabon war eindeutig: Keine Rettungsaktionen“, bringt er den Prozeßbeteiligten in Erinnerung. Zudem fehle es dem Rettungspaket an der nötigen Legitimation, weil der Bundestag aus einer Zwangssituation heraus gehandelt habe. Bundeskanzlerin Angela Merkel habe das Parlament unter Druck gesetzt, indem sie auf eine Entscheidung innerhalb nur weniger Tage drängte, weil sonst Europa untergehe. „Sie haben Verfassungsbruch begangen und sind darauf auch noch stolz“, teilt Murswiek in Richtung Bundesregierung und Finanzminister Schäuble aus, der während der Verhandlung immer wieder unruhig hin- und her rückt, den Kopf schüttelt, nervös in seinen Akten blättert.

 „Unser System war nicht ausreichend auf die Krise vorbereitet“, räumt der Bundesfinanzminister ein, der trotz allem weiter von einer „europäischen Erfolgsgeschichte“ spricht. Die Finanzkrise sei nicht vorhersehbar gewesen, Deutschland profitiere von der Europäischen Union, der Euro sei stabil, betont Schäuble, der ruhig, aber mehrfach mit belegter Stimme spricht. Die Mitgliedsstaaten würden auch zukünftig „Herren der Verträge“ bleiben. Jedoch komme mit der EU neben einer horizontalen Gewaltenteilung des Bundes eine vertikale Gewaltenteilung hinzu.

„Eine Erpressung des Parlaments hat es nicht gegeben“, sekundiert der CDU-Bundestagsabgeordnete Siegfried Kauder dem Minister und betont die Unabhängigkeit des Bundestags. „Das Parlament hält sich eine Regierung und nicht die Regierung ein Parlament“, meint der Bruder von Unionsfraktionschef Volker Kauder. Zudem sei es unzutreffend, bei der Europäischen Währungsunion von einer Transferunion zu sprechen, einen Europäischen Finanzausgleich gebe es nicht, ist der Anwalt und Vorsitzende des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages überzeugt.

„Niemand hat von Erpressung gesprochen, sondern von Druck“, stellt Karl Albrecht Schachtschneider dagegen klar. „Ich weiß nicht, ob allen der Ernst der Lage bewußt ist“, meint der Staatsrechtler, der im Zusammenhang mit den Rettungsmaßnahmen von einem „über die Verfassung gestellten Notstandsregime“ spricht. „Es geht um die Grundlagen unseres freiheitlichen Gemeinwesens“, so Schachtschneider weiter, der unter den ungehaltener werdenden Blicken Schäubles betont, daß die Klage der Versuch sei, die „Verfassung der Freiheit zu verteidigen“.

Mitkläger Joachim Starbatty gibt sich unterdessen während einer Verhandlungspause betont optimistisch. „Schäuble hat ausschließlich ökonomisch argumentiert, das war ein Ökonomiereferat“, sagt der emeritierte Volkswirtschaftsprofessor der JF. Eine ökonomische Debatte aber ist genau das, womit sich das Bundesverfassungsgericht nicht beschäftigen möchte.

So betonte Verfassungsgerichtspräsident Voßkuhle gleich zu Beginn der Verhandlung, daß die Politik entscheiden müsse, wie die Schuldenkrise bewältigt werden könne und nicht die Rechtsprechung. Das Bundesverfassungsgericht habe hingegen die Grenzen auszuloten, die das Grundgesetz der Politik setzt. Die zu verhandelnden Verfassungsbeschwerden würden lediglich drei Fragen betreffen: Welche verfassungsrechtlichen Vorgaben müssen Bundesregierung und Bundestag bei der Übernahme von Gewährleistungen für Kredite im Rahmen des Europäischen Finanzstabilisierungssystems beachten? Sind diese Vorgaben bei Erlaß des Finanzstabilitätsgesetzes und des Euro-Stabilisierungsmechanismus-Gesetzes beachtet worden? Und zuletzt: Kann der einzelne Bürger diese Vorgaben im Wege der Verfassungsbeschwerde durchsetzen? Das Urteil wird voraussichtlich im Herbst gesprochen.

Foto: Euro-Kläger Starbatty (l.) und Nölling : „Schäuble hat ausschließlich ökonomisch argumentiert“

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