© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/11 08. Juli 2011

Gaddafis willkommene Sklavenarmee
Libyen: Der Krieg behindert den Menschenschmuggel aus Schwarzafrika/ Schleuser beklagen fehlende Hilfe
Billy Six

Eine düstere Atmosphäre. Auf dem nächtlichen Heimweg ins rebellenbeherrschte Adschdabiya gibt der 21jährige Fahrer Nasser seine Lebensgeschichte preis. „Mit meinem Toyota-Geländewagen kann ich nicht nur die Asphaltstraße entlang des Mittelmeeres benutzen, sondern vor allem auch die Weiten der Wüste erobern.“ Seit sechs Jahren arbeite er bereits im sogenannten Familiengeschäft – dem Menschenschmuggel. Zu Problemen mit der libyschen Staatsgewalt sei es nicht gekommen, im Gegenteil, die Polizei habe sogar vier Wagen kostenfrei zur Verfügung gestellt. Ein Lächeln huscht dem kräftigen Libyer im arabischen Dschalabija nicht einmal übers Gesicht. Erst recht nicht, als er mitbekommt, daß einer der Mitfahrer das Gesagte übersetzt. Für die Ohren ausländischer Journalisten ist das Thema offenbar nicht bestimmt.

 Al Awaynat ist ein kleines Nest inmitten der menschenleeren Sahara. Von hier und über den 300 Kilometer westlicher gelegenen Tschad-Kontrollpunkt Sarah sind nach Angaben des Libyschen Revolutionsrats bisher 60 Prozent aller Migranten aus Schwarzafrika nach Libyen eingereist. „Auf Lastwagen – mit je 50 bis 100 Passagieren“, so der 52jährige Junis Ahmed. Er ist nun einer der neuen Zuständigen für die Grenzsicherung – als Kommunikationskoordinator. Der perfekt Englisch sprechende Petroingenieur kennt die Wüste wie seine Westentasche. „Das Problem ist, daß wir es beim Tschad mit einem bettelarmen und gescheiterten Staat zu tun haben. Was den Sudan betrifft, so können die Behörden die Wanderungsbewegung nur schwer von ihren eigenen Völkerschaften unterscheiden.“ Der Hauptgrund, so Junis, sei jedoch die libysche Regierung selbst. „Glaubt nicht, daß irgendein Vorgang in diesem Land ohne das Wissen von Muammar al Gaddafi stattgefunden hat.“ Als „König der Könige von Afrika“ habe er sich in der Rolle gefallen, schwarzafrikanischen Wirtschaftsflüchtlingen die Hand zu reichen. Sie seien willkommen gewesen, um in den „Revolutionsgarden“ des Diktators mitzuwirken oder sich in Billigarbeiten das Geld für eine Überfahrt nach Europa zu verdienen. Was Junis nicht sagt: Für einen Libyer galt es bis zum Februaraufruhr als unwürdig, bei der Straßenreinigung oder auf Baustellen zu arbeiten.

Mit neuen Finanzmitteln ausgestattet, sei es für die sonst rechtlosen Männer nicht schwer gewesen, einen weiteren Schlepper zu finden – die Eintrittskarte in den Westen. Mit Fischerbooten seien sie von den west-libyschen Städten Sliten und Suara in Nacht-und-Nebel-Aktionen über das Mittelmeer Richtung Norden aufgebrochen. Eine nicht ungefährliche Italien-Überfahrt. An Reisen von der Cyrenaika Richtung Griechenland habe dagegen kein Interesse bestanden. Niemand wolle vom Regen in die Traufe – ein bissiger Witz. „Gaddafi hat früh erkannt, daß er aus der Sache Kapital schlagen kann – indem er Europa erpreßt.“

In der Tat wurde Libyen ab dem Jahr 2003 von den Staaten der Europäischen Union immer stärker als Partner im Kampf gegen die illegale Einwanderung verstanden. Geld und Ausrüstung flossen reichlich. „Aber nur in Muammars Privattaschen“, sagt Rebellenvertreter Junis bissig.

 In Zahlen kleiden kann das Ausmaß der Wanderungsbewegung aber auch er nicht. Dafür wäre die libysche Staatspolitik zu abgeschottet gewesen. „Was wir aber wissen ist, daß alle Einreisenden im Südosten aus Sudan, Tschad und dem Horn von Afrika in der Oasenstadt Al Kufra gesammelt wurden.“ Mit libyschen Transporteuren sei es dann zur Küste gegangen. Die Migration aus Westafrika (Nigeria, Niger, Mali, Guinea) habe über die Niger-nahe Grenzstation Gatrun ins Sammellager Sabha stattgefunden – 40 Prozent aller Fälle. Die von Beduinen organisierte arabische Migration aus Ägypten und Algerien sei für Europa nicht von Relevanz – aber dennoch illegal. „Wir haben derzeit nur 30 Fahrzeuge, um die Südgrenze zu schützen.“ Mustafa Abdul Dschalil, der Chef der Übergangsrates in Bengasi, habe ihm aber bereits zusätzliche Unterstützung zugesagt. Vielleicht aus Italien, das am meisten unter den Flüchtlingsströmen leidet.

 So bleibt nur eine Frage offen: Wann können sich ausländische Reporter selbst ein Bild machen? „Derzeit nicht“, so Oberst Mohammed Imsalaty, der vor den Gefahren für Leib und Leben warnt. Er ist zuständig für die Rebellen an der libyschen Südfront, wo es offenbar hitziger zugeht als in den Medien gemeinhin bekannt. Zeugenaussagen und Filmmaterial bestätigen Kämpfe in Ölfeldern und Oasen. In den besprochenen Transitstätten al Awaynat, Sarah, Kufra und selbst Gatruun im west-libyschen Feszan wehe aber bereits die Halbmond-Flagge der Revolution. Ein Aufstand der lokalen Stämme, heißt es.

„Sei gewiß, daß wir keine Schleuser über die Pisten mehr durchlassen“, so der Militär in ruhigem, aber bestimmtem Ton. Die auf Lampedusa gelandeten Afrikaner seien bereits vor dem Aufstand am Mittelmeer gewesen – und würden nun als Rache des Diktators Richtung Italien geschickt. Damit sei aber Schluß, sollte sich die Rebellion landesweit durchsetzen. „Wir sind freundliche Menschen und wollen Frieden mit unseren Nachbarn.“

Foto: Gestrandete Migranten in Misrata: Als Billigarbeiter und „Revolutionsgarden“ gern gesehene Gäste Gaddafis stehen sie nun vor dem Nichts

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