© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/11 08. Juli 2011

Pankraz,
der Weißenhof und das Weltkulturerbe

Noch einmal gutgegangen: Die Unesco hat in ihrer diesjährigen Ernennungsrunde, was Deutschland betrifft, nur die Fagus-Werke in Alfeld, nicht aber, wie von den deutschen Stellen erbeten, auch die Stuttgarter Weißenhofsiedlung zum „Weltkulturerbe“ erklärt. Das war zwar ästhetisch unklug, indes, es war immerhin human gedacht.

Sowohl die Fagus-Werke als auch die Weißenhofsiedlung sind potthäßlich, aber in den Fagus-Werken werden wenigstens nur Schuhleisten produziert, da läßt sich die Häßlichkeit halbwegs ertragen. In der Weißenhofsiedlung hingegen wohnen Menschen, und die wohnen mehr schlecht als recht. Ihre Wohnzeilen stehen unter Denkmalschutz, deren billige Materialität wird regelmäßig restauriert, obwohl die Bewohner lieber heute als morgen etwas mehr altmodische, neutechnische Gediegenheit und Bequemlichkeit hätten.

Geschützt und restauriert wird hier nicht Urbanität, sondern schlimmste Anti-Urbanität, ein „Raum“, der längst nicht mehr zu einem der Moderne angemessenen Leben da ist, sondern zur Erinnerung an eine – wie sich nun wirklich, für jeden erkennbar, herausgestellt hat – im Grunde lebensfeindliche, gleichmacherische und auf Minimalbedürfnisse programmierte Ideologie, die sogenannte Bauhaus-Kultur, deren pompös arrangiertes Vorzeige- und Propaganda-Objekt die Weißenhofsiedlung 1927, zur Zeit ihrer Errichtung, sein sollte.

 Natürlich stimmt es: Das Bauhaus hat sich weltweit durchgesetzt und prägt inzwischen weitgehend das Bild unserer Städte, vor allem das der wie Lava sich ausbreitenden Riesenmetropolen mit ihren Vororten, Banlieues, Favelas, Plattenbausiedlungen. Das Bauhaus war die Antwort auf die Bevölkerungsexplosion, es half, Massen billig unterzubringen, es markierte selbst das Massenzeitalter mit seiner tristen Rechteckigkeit, seiner Fassadenglätte und industriellen Baustoffhuberei. Es war unser Schicksal, das wir nun tragen müssen.

Bedeutet das aber, daß wir es es auch lieben, hegen und ausdrücklich zum „Kulturerbe“ erklären müssen? Nicht jede Erbschaft ist bekanntlich erfreulich, man kann zum Beispiel Schulden erben und ein ganzes Leben daran leiden. Muß so etwas extra glorifiziert und andauernd restauriert werden? Die ursprüngliche Absicht der Weltkulturerbe-Bewegung war das nicht. Nicht das Massenhafte und Gleichmacherische sollte „vererbt“, also bewahrt und sorgfältig gepflegt werden, sondern das Außerordentliche und Köstliche.

Der Begriff des „kulturellen Erbes“ (héritage) geht, wie uns Historiker belehren, auf Henri-Baptiste Grégoire, Bischof von Blois im 18. Jahrhundert, zurück und war gemeint als kritische Reaktion auf die von den „Aufklärern“ so aufdringlich vorgezeigte Abräumgesinnung. International-politisch kodifiziert wurde er viel später in der Haager Konvention vom 14. März 1954 zum Schutz von „Kulturgütern“ (berühmte Kirchen, Bibliotheken usw.) bei bewaffneten Konflikten. Seine zivile Erweiterung erfuhr er schließlich 1960 beim Bau des Assuan-Staudamms in Äyypten, als die weltberühmten Tempel von Abu Simbel durch die heranrauschenden Nilfluten bedroht wurden und die Unesco zur Rettung der überdimensionalen Pharao-Statuen aufrief.

Ihre Bemühungen mündeten damals in der Schaffung einer „Weltkulturerbekonvention“ und in der Schaffung einer Unesco-Sonderabteilung in Paris, die künftig ähnliche Rettungsfälle wie Abu Simbel benennen und rechtzeitig Alarm schlagen sollte. Es ging also nicht um simple Erinnerung an irgendwelche historischen Großereignisse, sondern ausdrücklich um „Kultur“, um die Rettung und Bewahrung von architektonischen Schönheiten und Kulturwundern.

Freilich ging es auch um Geld. Die Rettung von Abu Simbel hatte hundert Millionen damaliger US-Dollars gekostet; etwa die Hälfte der Gelder war aus Spenden von Kulturfreunden aus aller Herren Länder gekommen. Heute beläuft sich das Kapital, über das die Weltkulturerbe-Behörde in Paris disponieren kann, auf Milliarden. Kein Wunder, daß ein solcher Honigtopf alle möglichen Geldausgeber magisch anzieht und alljährlich unzählige Kommunalvertreter, Schloßkustoden, Altbauviertelsanierer und Tourismusexperten in Paris Schlange stehen, um einen Weltkulturerbetitel zu ergattern.

Es ist darüber eine Art Säkularisierung der Weltkulturerbe-Objekte eingetreten. Wurden früher vorwiegend Kathedralen, Dome und Tempel beziehungsweise deren Überreste ausgezeichnet, so traten immer mehr höchst profane, auch durchaus unansehnliche, ja dämonische Gestalten hinzu, in Deutschland etwa die Völklinger Hütte, die Oberharzer Wasserwerke, die Grube Messel in Hessen und eben jetzt die Schuhleistenfabrik Fagus in Alfeld. Den Höhepunkt (oder soll man sagen: Tiefpunkt?) bildete aber vor einigen Jahren die Ernennung der Baracken des ehemaligen Konzentrationslagers Auschwitz zum Weltkulturerbe!

Pankraz möchte nicht mißverstanden werden: Historische Erinnerungsstätten sind wichtig, und unter den Bedingungen der heutigen Verbildlichung von allem und jedem genügt es offenbar nicht mehr, der bloßen Erinnerungskraft der Schrift und der von Videowänden nicht unterstützten Rede zu vertrauen. Anschauung muß her! Wir leben nun einmal im Zeitalter des Kinos, des Fernsehens und  der allumfassenden Musealisierung auch noch der banalsten Alltagsgegenstände und -vorkommnisse. Aber muß das alles auch noch zu einem  „Weltkulturerbe“ hochgemotzt werden?

 Es ist einfach schade um diese schöne Idee des Weltkulturerbes. Aus ursprünglich angepeilter Pflege des ästhetischen Sinns und der Erhaltung des Gelungenen und Wohlgeratenen ist – man muß es so sagen – eine ganz „normale“ Erinnerungskultur geworden, wie sie eben heute üblich ist und faktisch allerorten betrieben wird. Gut tun wird ihr das auf Dauer nicht. Aber vielleicht war die Pariser Weigerung, die Stuttgarter Weißenhofsiedlung trotz deutschen Drängens zum Weltkulturerbe zu ernennen, ein erstes Zeichen der Rückbesinnung.

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