© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/11 08. Juli 2011

Orientalische Intrigen
Wiederaufführung von Johann Christian Bachs tragischen Oper „Zanaida“
Sebastian Hennig

Weder erblühte die Musikerdynastie Bach erst mit dem Thomaskantor, noch erlebte sie in dessen Werk ihren größten zeitlichen Triumph. Weitreichenden Ruhm vermochte der Musiker des 18. Jahrhunderts nämlich nur durch die Opernbühne zu erringen. Für deren betörende weltliche Pracht war im protestantischen Milieu allerdings kein Zuspruch zu finden.

1757 wechselte Johann Sebastian Bachs Sohn Johann Christian zur katholischen Konfession. Eine kultische Indifferenz und produktiver Ehrgeiz mögen ihn angetrieben haben. Auch der große Archäologe Johann Joachim Winckelmann erlangte die nötige Protektion erst als Katholik in Rom. Der Bach-Sohn wurde durch den Einfluß des Grafen Agostino Litta zweiter Organist am Mailänder Dom. Sodann trat er als Opern-Autodidakt in Turin in die Fußstapfen von Johann Adolph Hasse.

Gleich mit den ersten Werken stand er auf der Höhe der damaligen Opernkunst, die er schon bald mit ganz eigenen Ideen bereichern sollte. Der Erfolg am Teatro S. Carlo in Neapel war der eigentliche Ritterschlag für den damaligen Opernkomponisten. Auf dieser Ruhmesbahn lockt ihn 1762 die Spielleitung für eine Saison an die King’s Opera in London, wo er den Rest seines Lebens verbrachte.

Dort fand er im Vergleich mit Italien mindere Kräfte vor, denen er gleichwohl erfolgreich zwei Opern auf die Stimmen und den Leib schneiderte. Dabei wußte er die Vorzüge der Sängerin Anna Lucia de Amicis so herauszustellen, daß sie auf der Rolle der Zanaida ihre Karierre begründete. Bach setzte zuerst Klarinetten und Tenoroboen ein und bewirkte durch dieses Zusammenspiel von Holz- mit Blechbläsern eine besondere Klangfülle.

Dem damaligen Erfolg von „Zanaida“ war es zu verdanken, daß sich immerhin die Ouvertüre und Abschriften einiger der Arien als „Favorite Songs“ erhielten. Vor einigen Jahren ist nun die verschollene Notenhandschrift von „Zanaida“ wieder aufgetaucht. Der Eigentümer stellte nicht nur diese Partitur zur Verfügung, sondern lieh seine Musikaliensammlung für zehn Jahre dem Leipziger Bacharchiv.

Der musikalische Erfindungsreichtum des Londoner Bach setzte sich unmittelbar in Mozarts Opern und Konzerten fort. Als der achtjährige Amadeus mit seinem Vater in London weilt, empfängt er musikalische Eindrücke durch Bach junior, die seinem späteren Opernschaffen die Richtung geben. Die Opera Fuoco unter Leitung von David Stern brachte im Rahmen des Bach-Festes nach 250 Jahren das Stück wieder auf die Bühne.

Das Goethe-Theater in Bad Lauchstädt ist ein besonderer Ort. Die Sitzplätze auf den langen Bankreihen unter dem schlichten Tonnengewölbe sind auf der Lehne durchnummeriert, ganz wie in der Kirche. Während die Bläser präludieren, erreichen die Damen Streicher die Seitentüren über den Saal den Orchestergraben. Überall wird mit den Programmheften die knapper werdende Luft bewegt. Hier drin wird es schnell sehr warm von den Menschenleibern.

Das Premierenpublikum ist fast zur Hälfte anglophon. Die andere Hälfte stellen zu gleichen Anteilen die weitgereisten Opernliebhaber und natürlich die unermüdlichen sächsischen Bildungsbürger. Der Vorhang hebt sich über einer Szene am Hafen. Die handgemalten Kulissen sind ganz dem sentimentalen Bühnenzauber des 18. Jahrhunderts verpflichtet. Die Mutter des Herrschers von Persien bestärkt die Tochter des türkischen Gesandten in deren Liebe zu ihrem Sohn Tamasse. Eifer- und Herrschsucht gefährden den Völkerfrieden, der durch die Heirat des Persers mit der türkischen Prinzessin Zanaida besiegelt werden soll. Herausfordernd wippt der mächtige Kamm der Straußenfedern auf dem Haupt der Roselane (Chantal Santon Jeffery). Osiras (Camille Poul) goldenem Turban sind einige schwarze Hahnenfedern angeheftet. Die Kostüme von Claire Planchez entstanden mit Unterstützung des Zentrums für Barockmusik in Versailles.

Die historische Bühnenmaschine in Bad Lauchstädt ist ein Glücksfall. Sie gestattet einen Szenenwechsel bei offenem Vorhang. Wie von Geisterhand drehen die Kulissen ab und geben im Nu den Blick auf andere Räume frei.

Durch eine akzentuierte Gestik wird der an Handlung arme Fortgang etwas spannender. Alle Sänger sind in diesem Sinne auch hervorragende Poseure für so manches lebendige Gemälde. Die so sinnbefreit sinnlich schmückenden Kostüme lassen jede Drehung und Umstellung der Szenerie zu einem Augentheater werden. Die grazile Pantomime findet ihren Halt im üppigen Kostüm.

Die exemplarische Würde dieser Geschichte ist auch ohne Allegorien und Metaphern offensichtlich. Zweimal schlichtet die türkische Prinzessin Zanaida (Sara Hershkowitz) eine Messerstecherei, zunächst als der Gesandte die eigene Tochter bedroht. Großartig die Zorn-Arie des Mustafa (Pierrick Boisseau). Und dann als er den Tyrannen Tamasse angreift. Dieser wird so erst des Edelmutes der Prinzessin inne und empfindet nun doch die erwünschte Liebe für seine Retterin. Das gute Ende, als eine Art prästabilierte Harmonie im Sinne von Leibniz, ist unabdingbar für die Opera seria. Hier bleiben keine Brüche unverheilt.

Eine Aufzeichnung der Vorstellung sendet der Mitteldeutsche Rundfunk am 9. Juli um 20.05 Uhr.

Foto: Sara Hershkowitz als Prinzessin Zanaida (Mitte links) und Clémentine Margaine als Persien-Herrscher Tamasse (Mitte rechts) mit ihrem Gefolge: Die grazile Pantomime findet Halt im üppigen Kostüm

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen