© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/11 15. Juli 2011

Kein Ausstieg unter dieser Nummer
Studentenverbindungen: In Göttingen hat der AStA ein Beratungstelefon für Mitglieder von Korporationen ins Leben gerufen Michael Trautmann Ehrung der Woche Roter Gruß aus Kiel
Hans-Joachim von Leesen

Seit dem Streit um die Aufnahmekriterien der Deutschen Burschenschaft auf ihrer Verbandstagung Mitte Juni in Eisenach (JF 26/11) weht den Verbindungen in der Öffentlichkeit wieder ein schärferer Wind ins Gesicht.

Doch an vielen Universitäten gehören Anfeindungen längst zum Alltag. Seit einigen Wochen bietet etwa in Göttingen der Allgemeine Studentenausschuß (AStA) unter dem Motto „Falsch verbunden“ ein Beratungstelefon für Verbindungsstudenten an. Dort können sich Korporierte, die „aussteigen“ wollen, beraten lassen. Die eigens an der Universität verteilten Werbeflugblätter warnen in diesem Zusammenhang vor „Leistungsdruck und elitären Anforderungen, Schwulenfeindlichkeit, Alkoholismus, undemokratischen hierarchischen Strukturen“ in den Korporationen. Unterschiede zwischen den rund 50 unterschiedlichen Göttinger Verbindungen machen die Initiatoren dabei nicht.

In der vergangenen Woche zogen die Initiatoren eine erste Bilanz. Demnach wurde das Telefon „häufig in Anspruch genommen“ und einige Anrufer erfolgreich beraten. „Aufgrund eines Aufrufs einiger Korporierter gab es auch beleidigende und karikierende Anrufe“, teilt der AStA mit. Es sei den Initiatoren dabei bewußt, daß es auch fingierte Anrufe gegeben haben könnte. „Da jedoch keine Möglichkeit besteht, die Ernsthaftigkeit der Anrufenden zu prüfen, wurde bei allen Telefonaten, die nicht offensichtlich vorgetäuscht waren, ausführlich beraten“, heißt es fast trotzig.

Daß eine solche Kampagne tatsächlich Erfolg hat und einen Verbindungsstudenten zum „Ausstieg“ bewegt, darf bezweifelt werden. Bei vielen Verbindungsstudenten sorgen derlei Aktionen eher für Belustigung: Auf der Internetplattform Facebook bestehen entsprechende „Aussteigergruppen“ fast ausschließlich aus gutgelaunten Verbindungsstudenten.

Vorbild für die Göttinger Kampagne ist das 2007 gegründete Aussteigerprogramm „Presence“ in Leipzig. „Ernsthafte Nachfragen von jemandem, der aussteigen wollte, gab es allerdings nie“, sagte der Antirassismusreferent des Leipziger Studentenrates, Kasimir Wansing, der taz. Von Zweifeln an dem Göttinger Projekt möchte AStA-Mitglied Patrick Michaelis dennoch nichts wissen. „Das ist schon ernst gemeint“, sagte er bei der Vorstellung des Telefons. Kritik kommt dagegen vom Göttinger Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS). Der AStA verschwende studentische Gelder, um Probleme zu lösen, die es nicht gebe, sagte der RCDS-Vorsitzende Fynn Göttsche.

Kritiker der Aktion verweisen zudem darauf, daß der AStA die Interessen aller Studenten zu vertreten hat. Aus dieser Sicht scheint das durch Studiengebühren finanzierte Projekt überzogen, schließlich ist nur ein kleiner Teil der Studenten Mitglied einer Verbindung. Eine weitere Frage ist, ob eine solche Kampagne überhaupt rechtmäßig ist, denn sie setzt Verbindungen mit gefährlichen Sekten oder extremistischen Gruppen gleich.

Flankiert wird das Göttinger Aussteigerprogramm von der Vortragsreihe „Studentenverbindungen in Geschichte und Gegenwart“. Schon beim ersten von fünf Vorträgen mit dem griffigen Titel „Studentenverbindungen in Deutschland und Göttingen – Ein kritischer Überblick aus antifaschistischer und feministischer Sicht“ Ende Mai zeigte sich das Konfliktpotential. Es waren etwa 120 Personen anwesend, gut 80 von ihnen Verbindungsstudenten oder Sympathisanten. Die Veranstaltung verlief zunächst friedlich. Als dann einem Verbindungsstudenten im Streit um Fotoaufnahmen ein Mobiltelefon entrissen wurde, kam es zum Handgemenge. Mehrere linke Besucher vermummten sich und zogen, präpariert mit Quarzsandhandschuhen, den „Unruhestifter“, der eigentlich nur sein Telefon zurückverlangt hatte, nach draußen. Daraufhin verließen alle Korporierten den Saal, und der Hausmeister brach die Veranstaltung ab. Rund 20 herbeigerufene Polizisten mußten schließlich den Abzug der Verbindungsstudenten sicher. Fazit: zwei verletzte Korporierte.

Das Aussteigertelefon ist montags von 11 bis 12 Uhr unter der Nummer 05 51 / 39 22 268 zu erreichen.

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