© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/11 15. Juli 2011

Geistige Leere des Ajatollah-Regimes
Iran: Der Richtungsstreit zwischen Präsident Ahmadinedschad und Staatsoberhaupt Chamenei offenbart Zeichen einer Staatskrise
Günther Deschner

Im Iran zeichnet sich ein Machtkampf zwischen Präsident Mahmud Ahmadinedschad und Staatsoberhaupt Ajatollah Ali Chamenei ab. Laut Verfassung ist die Rollenverteilung geregelt: Der Präsident ist für die Tagespolitik, für Wirtschafts-, Außen-, Sicherheits- und Sozialpolitik zuständig. Ali Chamenei ist Staatsoberhaupt und hat als „oberster religiöser und politischer Führer“ in Grundsatzfragen das letzte Wort. Nach der umstrittenen Präsidentenwahl 2009 hat er zum Beispiel entschieden, die Betrugsvorwürfe an die Adresse Ahmadinedschads seien haltlos – und er hat damit dessen politisches Überleben gesichert. Um so erstaunlicher, daß es zwischen orthodoxem Klerus und Ahmadinedschad kontroverse Standpunkte gibt, deren Zuspitzung zur Staatskrise der Islamischen Republik Iran führen könnte.

Nach außen sichtbar wurden die Konflikte bereits im April, als Ahmadinedschad den Geheimdienstminister Heydar Moslehi schaßte – und als Staatsoberhaupt Chamenei ihn wieder einsetzte – und damit den Regierungschef brüskierte. Elf Tage blieb Ahmedinedschad damals den Kabinettssitzungen fern, die Regierungsarbeit reduzierte er auf ein Minimum. In einer bizarren Erklärung legte der „oberste Führer“ dem Präsidenten nahe, entweder die Rückkehr des Geheimdienstministers zu akzeptieren oder seinen eigenen Rücktritt zu erklären.

Bereits im Mai der nächste Schlagabtausch: Parteigänger Chameneis im iranischen Parlament erzwangen eine Untersuchungskommission, die den Verbleib von umgerechnet 1,5 Milliarden Euro klären soll, die kurz vor der Präsidentenwahl 2009 aus der Staatskasse abgeflossen waren. Die Opposition behauptete damals, Ahmadinedschad habe mit diesem Geld Stimmen gekauft. Rechnungshofberichte sollen zeigen, daß damals an etwa neun Millionen Menschen kleinere Barbeträge, kurz vor den Wahlen auf dem Land auch gratis Lebensmittel verteilt worden waren.

Als Ahmadinedschad im selben Monat in die heilige Stadt Ghom reiste, sei – wie der britische Guardian berichtete, die Stimmung eisig gewesen: keine jubelnden Massen mehr und vor allem die Weigerung der Großajatollahs, ihn zu empfangen. Auch als Redner am Grab von Khomeini am 4. Juni war der Präsident nach seinem Streit mit Ali Chamenei erstmals nicht eingeladen.

Bei dem Zwist der beiden mächtigsten Männer im Iran geht es jedoch um mehr als nur um eine Personalie oder Petitessen der Tagespolitik. Er enthüllt einen Richtungsstreit über die politische Entwicklung Irans, die Unfähigkeit der geistlichen Nomenklatura, neue und konsensfähige politische Gestaltungsziele zu entwerfen. Wie gefährlich diese geistige Leere für das Regime werden kann, hat ein Mann gemerkt, der zu einer von den Ajatollahs gefürchteten und gehaßten Figur aufgestiegen ist: Esfandiar Rahim Maschaei, der Stabschef und Berater von Präsident Ahmadinedschad. Er gilt als der Erfinder der Losung „Zuerst Iran!“ und wirbt mit großem Erfolg für eine „Rückbesinnung“ auf Größe, Glanz und Tugenden des Iran in der Geschichte, womit „vor der Islamisierung“ gemeint ist. Ahmadinedschads Plan, Meshaei für die nächsten Präsidentschaftswahlen in Stellung zu bringen, zu denen er selbst nicht mehr antreten kann, scheint erst einmal gescheitert zu sein. Aber bis 2013 ist es noch eine Weile, und Chamenei ist ein alter, kranker Mann. Das Ringen geht also um die Aufteilung von Macht und Ressourcen „danach“.

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