© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/11 15. Juli 2011

„O Gott, wir loben und preisen Dich“
Südsudan: Mit seiner Unabhängigkeit versucht das Land der religiös begründeten Unterdrückung zu entfliehen / Kampf um Öleinnahmen
Rainer Rothfuss

Tosender Jubel, „Südsudan Oyee!“ brandete auf, als die kleine Flagge des Sudan eingeholt, die großformatige des Südsudan gehißt und von einem kurzen Windstoß in der drückenden Mittagshitze mächtig ausgebreitet wurde. Aus vorbeifahrenden Schulbussen tönte schon Tage vor dem großen Ereignis der Unabhängigkeitsfeiern die neue Nationalhymne, die Schüler voll Inbrunst auf dem Heimweg übten: „O Gott, wir loben und preisen Dich, für Deine Gnade für Südsudan!“ Sie endet mit den Worten: „Wir grüßen unsere Märtyrer, deren Blut das Fundament unserer Nation gefestigt hat … O Gott, segne Südsudan!“ Enge Vertraute des neuen Präsidenten berichten, daß Salva Kiir sein Amt zur Verfügung gestellt hätte, wenn die Nationalhymne mit Gott im Mittelpunkt nicht vom Parlament angenommen worden wäre. Diese Gefahr für den Präsidenten war nicht groß, die Menschen lieben ihre neue Hymne.

Im südlichen Sudan gab es vor rund 20 Jahren nur zehn Prozent Christen. Heute wird der Anteil der Christen an den rund zehn Millionen Einwohnern auf bis zu 80 Prozent geschätzt. Kirchen wie Regierung sehen im christlichen Glauben eine wichtige Ressource, aus der über ethnische Konfliktlinien hinweg eine neue gemeinsame Identität für das Volk des Südsudan geschaffen werden kann.

Historisch betrachtet trägt Großbritannien die Mitverantwortung dafür, daß der noch zu Kolonialzeiten separat verwaltete animistisch-christliche Süden in Fortschreibung der früheren osmanisch-ägyptischen Fremdherrschaft systematisch marginalisiert und schließlich zwangsweise unter das Diktat eines muslimisch dominierten Einheitsstaats gestellt wurde.

Als der Sudan 1956 aus der Kolonialherrschaft entlassen wurde, gingen in den Wirren des ersten Bürgerkriegs lediglich vier von 800 Regierungs- und Verwaltungsposten an Südsudanesen. Dies, obwohl damals noch 61 Prozent der Gesamtbevölkerung schwarzafrikanischer Herkunft waren. Nach Jahrzehnten des Bürgerkriegs und systematischer Marginalisierung machte die Bevölkerung des südlichen Sudan beim Zensus 2008 nur noch 22 Prozent aus.

Der zweite Bürgerkrieg, der schließlich zur Unabhängigkeit des Südens führte, wurde 1983 entfacht, als die islamistische Zentralregierung das gesamte Volk des künstlichen Staatsgebildes der islamischen Scharia unterwarf. Nach der Eröffnung einer zweiten Bürgerkriegsfront durch die ebenfalls diskriminierten schwarzafrikanischen Muslime der nordwestlichen Region Darfur war der Krieg gegen das eigene Volk im Süden nach 2,5 Millionen Todesopfern sowohl militärisch als auch politisch verloren.

Neben rund vier Millionen Flüchtlingen waren fast 150.000 Schwarzafrikaner in der Zwischenzeit aus ihren Familien herausgerissen und in die Sklaverei verschleppt worden. Diese ist nicht nur historisch über viele Jahrhunderte nachgewiesen, selbst im Jahr 2011 ist sie noch traurige Realität im Sudan. Menschenrechtsorganisationen gehen davon aus, daß noch immer 35.000 schwarzafrikanische Sklaven unter schlimmsten Bedingungen von ihren muslimischen Herren im Norden festgehalten werden.

Als dann im Jahr 2005 der Friedensvertrag mit dem Fahrplan für Referendum und mögliche Unabhängigkeit auf Vermittlung Kenias und Druck der USA zustande gekommen war, entsprach der Entwicklungsstand des Südens steinzeitlichen Bedingungen.

Die interne Kolonialisierung zur Sicherung des Zugangs zu gut dreiviertel aller Erdölreserven des Landes hatte im Sinne einer Raumordnungspolitik unter negativem Vorzeichen ihre verheerenden Früchte gezeigt: Im südlichen Sudan gab es zu dieser Zeit unzählige Landminen, aber keinerlei nennenswerte Infrastruktur. Doch in nur sechs Jahren hat die damalige Staubstadt Juba nun ihre Einwohnerzahl durch rückkehrende Flüchtlinge vervierfacht.

Seit dem mit 97 Prozent Wahlbeteiligung und 99 Prozent Zustimmung erfolgreichen Referendum vom Januar 2011 zur Befreiung aus der Unterdrückung des Nordens ist in Juba ein unvergleichlicher Bauboom losgebrochen. Die Stadt verändert mit jedem Tag ihr Gesicht, und die Menschen scheinen durch die Aussicht auf dauerhaften Frieden ungeahnte Kräfte zu entwickeln. Juba erhält Teerstraßen mit Gehwegen, solar betriebene Straßenlaternen, öffentliche Mülleimer – teilweise sogar zur Wertstofftrennung. Die Regierung des fruchtbaren Landes, in dem bislang nicht einmal 20 Prozent der früheren agrarischen Nutzfläche bebaut werden, hat als Motto ausgegeben, innerhalb von zwei Jahren die Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln zu erlangen und mittelfristig zum „Brotkorb Afrikas“ zu werden.

Die Weichen sind gestellt, wäre da nicht der unberechenbare Nachbar im Norden. Der vor 22 Jahren an die Macht geputschte islamistische Diktator Umar al-Baschir, der erste noch amtierende Staatschef, gegen den wegen Völkermords ein Haftbefehl beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag vorliegt, läßt derzeit im Angesicht von UN-Friedenstruppen und unter Einsatz seiner Luftwaffe einen weltweit kaum beachteten Genozid an den schwarzafrikanischen Bewohnern der Nubaberge nördlich der neuen Grenze vollziehen.

Auch die erdölreiche Region Abyei, der das Referendum zur Unabhängigkeit entgegen dem Friedensabkommen vorenthalten worden war, wurde erst im Mai durch die Truppen Khartums eingenommen und die schwarzafrikanische Bevölkerung weitgehend vertrieben.

Vor diesem Hintergrund setzt die Bereitschaft des Südsudan zur Vergebung und zur Gestaltung einer friedlichen Zukunft Zeichen. So ließ es sich Präsident Kiir trotz der Überfälle entlang der noch nicht festgelegten Grenze nicht nehmen, den Befehlshaber Umar al-Baschir bei der Unabhängigkeitserklärung mit allen Ehren zu empfangen. Überhaupt will der Südsudan die Unvereinbarkeit starrer moderner Staatsgrenzen mit den traditionellen Wanderungsbewegungen der arabischen Viehhirten des Nordsudan aufheben und eine „weiche Grenze“ schaffen. Entsprechend soll die Grenze zum Norden dauerhaft für die rund eine Million Rindernomaden, die jährlich zur Regenzeit ihre Weidegründe im Süden aufsuchen, offen bleiben. Doch gerade aus eben dieser Bevölkerungsgruppe der Misseriya rekrutierten sich die Milizen, die in den Jahrzehnten des Bürgerkriegs mit Unterstützung Khartums ethnische Säuberung und Versklavung betrieben hatten und die aktuell erneut von Khartum bewaffnet werden.

Denn der Forderung al-Baschirs zufolge hätten die zahlreichen muslimischen Nomaden über die Zukunft der Erdölregion Abyei mit abstimmen sollen. Kein Wunder, daß es Salva Kiir vorzog, zunächst lieber den Süden ohne Abyei sicher in die Unabhängigkeit zu führen.

Al-Baschir droht regelmäßig mit der Blockierung der Pipeline, die das Erdöl aus dem Süden in die Raffinerien und den Hafen Port Sudan im Norden bringt und somit 98 Prozent der Einnahmen des jungen Staates sichert. Um nicht dauerhaft erpreßbar zu bleiben, hat Südsudan bereits den Auftrag für den Bau einer eigenen Raffinerie öffentlich ausgeschrieben. Pläne für Alternativrouten zum Exportieren des Erdöls per Nilschiffahrt und Pipeline über Kenia zum Indischen Ozean sind in Vorbereitung. Je vollständiger die Kappung der einseitigen und unkalkulierbaren Abhängigkeiten vom Norden und die Anbindung an die kulturell und politisch näherstehenden Nachbarstaaten in Ostafrika gelingen wird, desto besser und sicherer für den aufstrebenden Südsudan. Ende Juli sichert sich das junge Land zunächst einmal die finanzpolitische Souveränität durch eine eigene Währung und eine unabhängige südsudanesische Zentralbank.

 

Prof. Dr Rainer Rothfuß ist Juniorprofessor für Geographische Konfliktforschung an der Universität Tübingen.

Foto: Start als Staat: „Unsere Identität ist südlich und afrikanisch, nicht arabisch und islamisch.“ Unter diesem Motto feierten Hunderttausende die Unabhängigkeit des neuen Landes

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