© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/11 15. Juli 2011

CD: R. Schumann
Raunen statt Rede
Jens Knorr

Wenn sich ein Komponist des 19. Jahrhunderts das Prädikat Romantiker verdient hat, dann zuerst Robert Schumann (1810–1856), in dessen Leben sich Politik und Kunst, Musik und Dichtung, Könnerschaft und Dilettantismus, Genie und Wahnsinn in abenteuerlicher Weise verschränken. Und zuletzt sein Ende in der Nervenheilanstalt Bonn-Endenich: bipolare Störung, Syphilis im Endstadium – der standesgemäße Abgang für ein deutsches Genie. So richtet sich neben dem künstlerischen immer auch ein voyeuristisches Interesse auf die Werke der Spätzeit. Oder soll man schreiben: Verfallszeit?

Unter Leitung von Georg Grün hat der Kammerchor Saarbrücken, den Grün 1990 gegründet hat, mit der Deutschen Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern Schumanns Requiem op. 148 von 1852, die Ballade für Solisten, Chor und Orchester „Der Königssohn“ op. 116 von 1851 und das „Nachtlied“ von 1849 eingespielt.

Seinen dritten Versuch in der Gattung Requiem hat der Protestant Schumann als Gegenmodell zu dem berühmten Mozartschen konzipiert. Die Uraufführung hat er nicht mehr erlebt. Wie seine andern großdimensionierten Werke zerfällt auch dieses in eine Folge lyrischer Bildchen. Der Perspektivenwechsel allerdings ist radikal, das Totengedenken verweltlicht und privatisiert, nunmehr nicht der Frieden mit Gott auszuhandeln, sondern die Lebenden mit ihren Toten zu versöhnen. Schumanns vier Balladen für Solostimmen, Chor und Orchester begründeten eine veraltete Gattung neu. In der ersten von drei Balladen nach Gedichten von Ludwig Uhland erringt ein drittgeborener Königssohn Königreich, Königin und Staatsvolk und gibt der alten rostigen Krone neuen Glanz; ein Poet, was sonst, versöhnt sich mit seinem Volk, und das Reich der Poesie bricht an. Das „Nachtlied“ auf ein Gedicht von Friedrich Hebbel ist die experimentellste der drei eingespielten Kompositionen. Im Übergang vom Wachen in den Schlaf erscheinen musikalische Form entgrenzt, die Gestalt des Schläfers in Chorstimmen aufgelöst, Tag- und Nachtwelt im Schläfer versöhnt.

„Rede Künstler, töne nicht!“ möchte man den Interpreten in den Nachhall hineinrufen, den ihr Tun am Ort der Aufnahme, der Trierer Abteikirche St. Maximin, verursacht. Verliebt in Chorklang um des Chorklangs willen, gilt dem Chordirigenten das Werk wohl schon als eingelöst, wenn Chor, Orchester und Gesangssolisten (Sibylla Rubens, Ingeborg Danz, Christoph Prégardien, Adolph Seidel, Yorck Felix Speer) nur schön versöhnt zusammen klingen. Nichts dagegen, nur verkehren sich das Mittel zum Zweck und der Zweck zum Mittel, wenn die Stücke lediglich die Folie abgeben, vor der eine erreichte Chor- und Orchesterkultur ausgestellt wird. Romantisches Raunen ersetzt verbürgerlichte Klangrede, Stimmungen ersetzen Absichten. Klänge verschwimmen ineinander und verdämmern im Vagen, und alles kommt breit und bräsig daher und nicht vom Fleck. Das geht gegen Schumanns Intentionen.

Stellt vorliegende Einspielung nun die Schwächen der Kompositionen bloß, oder ist sie einfach nur inadäquat? Ein Stück hört sich wie das andere an und alle drei Stücke, mit Verlaub, wie eingeschlafne Füße.

Robert Schumann: Requiem. Der Königssohn. Nachtlied Hänssler Classic CD 93.270 www.haenssler-classic.de

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