© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/11 15. Juli 2011

Lockerungsübungen
Beeinträchtigtes Wohlbefinden
Karl Heinzen

Das Amtsgericht München hat einem deutschen Ehepaar wegen eines Reisemangels, durch den sein Urlaub in Ägypten getrübt worden war, einen Entschädigungsanspruch in Höhe von 34,35 Euro zuerkannt. Die Richterin schloß sich damit der Auffassung der Kläger an, daß ein Sketch, dessen Zeuge sie im Rahmen einer in ihrem Hotel angebotenen Animationsveranstaltung geworden waren, derart geschmacklos ausgefallen sei, daß er als Beanstandungsgrund gewertet werden könne. In dieser Aufführung hatten die Darsteller Grußformeln verschiedener Nationen aufs Korn nehmen wollen. Als typisch deutsche Variante präsentierten sie dabei zwei im Stechschritt marschierende Personen, die den Arm hoben und „Heil“ riefen. Das Gericht erkannte an, daß den Klägern dadurch der Eindruck vermittelt wurde, als Gäste nicht willkommen zu sein.

So gering die Entschädigung in diesem Fall auch ausfiel, dürfte das Urteil für Touristikunternehmen letztlich die Folge haben, daß ihr Geschäftsmodell grundsätzlich in Frage gestellt ist. Wann immer sie für deutsche Kunden Reisen organisieren, müßten sie nämlich dafür Sorge tragen, daß diese am Urlaubsziel nicht mit der nationalsozialistischen Vergangenheit konfrontiert werden, da sie sich für diese schämen und fürchten, mit ihr identifiziert zu werden. Dies ist jedoch in der Praxis nicht zu gewährleisten. Wer will verhindern können, daß Touristen im Hotelzimmer den Fernseher einschalten und ihnen eine Sendung präsentiert wird, die das in deutschem Namen begangene Unrecht zum Thema hat? Wer will ferner ausschließen können, daß in diesem Hotel auch Gäste aus Nationen abgestiegen sind, die einst NS-Opfer waren, und es abends beim Glas Wein zum peinlichen Plausch über diese dunkle Zeit kommt?

Aus dem Urteil des Amtsgerichts München könnten zudem weitere folgenreiche Schlußfolgerungen gezogen werden. Es bringt zum Ausdruck, daß eine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus das Wohlbefinden beeinträchtigt. Dies dürfte insbesondere dann anzunehmen sein, wenn durch sie der Eindruck erweckt wird, Deutsche hätten sich heute für das, was einst geschah, zu verantworten. Die gesamte „Vergangenheitsbewältigung“ wäre damit als Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des einzelnen zu werten und folglich verfassungswidrig.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen