© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/11 15. Juli 2011

Unerhörte Prager Pläne
Sudetendeutsches für die Vermächtnisgeneration
Werner Becker

Niemand verließ empört das Atrium. Anders als bei Erika Steinbach, die im Herbst 2010 mit dem zarten Hinweis, daß der Vertreiberstaat Polen bereits vor dem 1. September 1939 mobil gemacht habe, die Klausur der Unionsfraktion in helle Empörung versetzte, bewahrte selbst der Gesandte-Botschaftsrat Tschechiens, Milan Coupek, Fassung. Dabei dürfte das, was der ehemalige bayerische Landtagspräsident, Johann Böhm, in seiner Eröffnungsrede zur Ausstellung „Die Sudetendeutschen – eine Volksgruppe in Europa“ über die Vertreibungspolitik sagte, in den Ohren des Prager Gesandten viel ungeheuerlicher klingen: Nicht auf das Ergebnis des Zweiten Weltkrieges, sondern auf die chauvinistischen Pläne auf dem Prager Slawenkongreß 1848 gehe letztlich die Vertreibung der Deutschen 1945 zurück.

Böhm erwähnte in seinem historischen Überblick der Deutschen in Böhmen und Mähren auch den tschechischen Minister Alois Rasín, der im November 1918 zu sudetendeutschen Verhandlungspartnern freimütig sagte: „Das Selbstbestimmungsrecht ist eine schöne Phrase – jetzt, da die Entente gesiegt hat, entscheidet die Gewalt.“

Daß die Ausstellung vergangene Woche im Foyer der Bayerischen Vertretung Berlin vor ausgesuchten Gästen, unter anderem auch BdV-Präsidentin Erika Steinbach, eröffnet wurde, lag nahe. Emilia Müller, Staatsministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten, wurde in ihrer Begrüßungsrede auch nicht müde, „den vierten Stamm Bayerns“ zu rühmen. Besonderen Wert lege sie darauf, „das Wissen der Erlebnisgeneration an die Vermächtnisgeneration weiterzugeben“. Da die Zeitzeugenära langsam zu Ende gehe, seien Ausstellungen wie diese zur historischen Tradierung notwendig. Die Sammlung des Journalisten Konrad Badenheuer aus insgesamt 144 Schautafeln, die auch im Katalog zur Ausstellung wiedergegeben werden, fand seit 2007 bereits in 25 verschiedenen Orten des Freistaates statt und zählte über 25.000 Besucher. Über das frühe Mittelalter, den Dreißigjährigen Krieg und die beiden Weltkriege zeichnet Badenheuer die aktuell – auch in Tschechien – entflammte Diskussion über die Vertreibung der Deutschen nach.

www.sudeten-by.de 

Konrad Badenheuer: Die Sudetendeutschen. Eine Volksgruppe in Europa. Sudetendeutscher Rat, 3. verbesserte Auflage, München 2011, broschiert, 144 Seiten, 19,90 Euro

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