© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/11 15. Juli 2011

Expedition in den Tropenwald an der Pleiße
Diskussion um Tierrechte: Der Leipziger „Zoo der Zukunft“ und das Heer seiner Gegner
Lars Braun

Als der erst vierjährige Knut, der berühmteste Eisbär der Welt, im März 2011 im Wassergraben seines Geheges ertrank, mischte sich in die Trauer vieler Tierfreunde auch bittere Kritik. Im Handumdrehen meldeten sich die großen Tierschutzverbände wie Peta und Animal Public mit ebenso harschen wie bekannten Vorwürfen zu Wort. Eisbären, so ihre Klage, seien keine Zootiere. 90 Prozent der in Gefangenschaft lebenden Raubtiere litten unter Verhaltensstörungen.

Kein Wunder, wenn man den natürlichen Aktionsradius der arktischen Bären von 150 Kilometern auf ein paar Quadratmeter reduziert. Daß die Obduktion eine Hirnkrankheit Knuts offenbarte und die These entkräftete, artwidrige Haltung habe das Tier unter Dauerstreß gesetzt, dem es erlegen sei, hat die dicht vernetzte Szene der Zoo-Gegner keineswegs beeindruckt. Denn an den prinzipiellen Mißständen änderte diese konkrete Todesursache für sie nichts.

Das gilt allemal für den umtriebigen harten Kern der weltanschaulich hochgerüsteten Tieranwälte. Deren Manifest „Against Zoos“, zuerst 1985 in Peter Singers Sammlung „In Defense of Animals“ publiziert, verfaßte der New Yorker Sozialphilosoph Dale Jamieson. Zoologische Gärten, so lautet sein Credo, verfestigen das biblische Herrschaftsgebot und stützen damit das hierarchische Bewußtsein des Menschen gegenüber seinen Mitgeschöpfen, für die der menschenrechtliche Gleichheitsgrundsatz aber genauso gelten müsse.

Fundamentalisten wie Singer (JF 23/11) und Jamieson bestreiten dem Menschen daher jedes Recht, Tieren ihre Freiheit zu nehmen. Eine von der Association of Zoos and Aquariums 2007 zur Verteidigung ihrer Klientel gegen militante Tierrechtler erstellte US-Studie, derzufolge Zoos eher das Umwelt- und Naturschutzbewußtsein ihrer Besucher wecken oder positiv beeinflussen, wird vom Singer-Anhang als wenig beweiskräftig abgetan.

Als Alternative zu den abzuwickelnden „Strafanstalten für Wildtiere“ empfiehlt man dort einen Online-Zoo, wie ihn die britische Rundfunkanstalt BBC 2009 eröffnet hat, der virtuelle Naturerlebnisse vornehmlich aus tropischen Regionen vermittelt. Moderatere Tierschützer erkennen hingegen an, daß die Internationale der Zoologischen Gärten seit den achtziger Jahren umdenkt und Konzeptionen zu artgerechterer Haltung umsetzt.

Da es allein in Deutschland aber 800 Zoos gibt, bewerten sie diesen Wandel skeptisch. Zumal nach drei Jahrzehnten die meisten Einrichtungen damit erst am Anfang stünden und im europäischen Rahmen auch davon kaum etwas zu bemerken ist. Und selbst wenn es bald größere Fortschritte geben sollte, so will sich etwa der rührige Düsseldorfer Verein Animal Public eine partielle Abschaffung von Zoos nicht abhandeln lassen. Für Eisbären, Elefanten, Nashörner oder Raubkatzen müsse ein „Haltungsverzicht“ durchgesetzt werden.

Als Vorboten solcher Neuausrichtung begrüßt man die Schließung von Delphinarien in Großbritannien (2004) oder das belgische Verbot von Wildtiervorführungen in Zirkussen (2004). Überhaupt zeichnet sich bei den Zirkustieren vielleicht bald ein Erfolg ab, der für tierschützerische Kampagnen gegen Zoos Hebelwirkung hätte. Die Stadt München verhängte im Januar 2011 ein Vorführungsverbot, das als Anstoß für eine bundesweite gesetzliche Untersagung nach belgischem Muster dienen könnte.

Das CSU-geführte Bundeslandwirtschaftsministerium, das nach Knuts jähem Ende ein Gutachten zur Tierhaltung in Auftrag gab, das unter anderem zur Revision der Eisbärenhaltung riet, dürfte heute allemal bereit sein, gesamtökonomisch bedeutungslose Zirkusunternehmen zu opfern, um sich an der Zoo-Front, einem Milliardengeschäft, und insbesondere dort, wo die Agrarpolitik am heftigsten unter Beschuß steht, in der industriellen Massentierhaltung, wenigstens symbolische Entlastung zu verschaffen.

Mittelbar der Dauerkritik der Tierschützer sind auch die jüngsten, revolutionären Umgestaltungen in einigen deutschen Zoos zu verdanken, über die der Biologe Thomas Willke in Bild der Wissenschaft (7/11) berichtet. So eröffnete am 1. Juli in Leipzig die größte Hallenanlage eines europäischen Zoos. Das „Gondwanaland“ soll auf 16.500 Quadratmetern den Besuchern die Illusion bescheren, Tieren in ihrem heimatlichen Habitat, dem Tropenwald zu begegnen.

Solche „naturnahen“ Inszenierungen in der Nachfolge des New Yorker Bronx-Zoos finden sich hierzulande bisher nur in Hannover, Osnabrück und, mit einer ersten, für Menschenaffen eingerichteten „Erlebniswelt Pongoland“, seit 2003 in Leipzig, das sich jetzt mit seinem tropischen Urwald an der Pleiße an die Spitze der „Zoos der Zukunft“ setzt. Die Leipziger Anlagen wollen den Tieren mehr Platz und den Besuchern das Gefühl geben, in einen exotischen Lebensraum einzutauchen und nicht vor Gehegen mit eingepferchten Kreaturen Mitleid empfinden zu müssen.

„Pflanzendickicht, Düfte, Geräusche und eine geschickte Wegführung“ verhüllen die im Vergleich mit der freien Wildbahn immer noch bescheidenen Dimensionen. Trotzdem markiert das Projekt die radikalste und kostspieligste Abkehr von der herkömmlichen Gitter-, Beton- und Kachel-Tristesse, die etwa noch Knuts einstige Heimat, den Berliner Zoo prägt, den mit 17.000 Tieren artenreichsten der Welt. Der Unterschied zwischen Berlin und Leipzig, so Willke, sei jetzt „gewaltig“. Wie das Beispiel Hannovers mit seinen „Themenparks“ zeigt, komme die neue Tierpräsentation gut an: Obwohl das der teuerste Zoo Deutschlands ist (23 Euro Eintritt), registrierte man 2010 doppelt so viele Gäste wie 1994, vor der Einrichtung der auch „Spiel- und Spaßmöglichkeiten“ anbietenden Hannoveraner „Erlebniswelten“.

Tierschützerische Maximalforderungen nach Abschaffung des Zoos werden durch solche Innovationen aber nicht leiser klingen. Ebensowenig wie man sich in Singers Heerlager dadurch besänftigen läßt, daß immer mehr Zoo-Verwaltungen ihre Gärten als „Arche Noah“ verstehen, aussterbende Tierarten züchten und auch in fernen Tropenzonen Geld und Personal einsetzen, um für die Erhaltung der Artenvielfalt zu kämpfen.

Tropenerlebniswelt „Gondwanaland“: www.zoo-leipzig.de

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