© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/11 15. Juli 2011

Der Flaneur
Irische Sehnsucht
Felix Springer

Ich versacke in einem Irish Pub. Die Luft ist veratmet und guinnessgetränkt, das wenige Licht schleicht vorsichtig ums Mobiliar und am düsteren Fenster prasselt noch immer der Sommerregen auf die betäubte Welt. Neben der Theke wird irische Musik gespielt, deren lebendige Töne durch gleichmäßiges Stimmengewirr und klirrende Gläser nur verfremdet zu mir hinüberdringen.

Der Sänger ist ein kräftiger, gedrungener Mann mit Vollbart, wachem Blick und sparsamer Mimik. Seine Sprache hat diesen irischen Dialekt, der die langen Wortmelodien des Gälischen nie ganz losgeworden ist. Stark und leidenschaftlich besingt er die Schönheit seiner grünen Heimat; das Banjo beklimpert dazu Dublins Natursteingassen. Die Flöte illustriert dem Barpublikum die belebende Kraft des Shannon und die Mundharmonika spielt den wuchtig streichelnden Küsten­atem, der im Hafen von Galway die rostigen Kutter auf und ab wiegt.

Das Durcheinander der Stimmen nimmt wenig Notiz von der Musik und paßt sich dennoch in den Rhythmus ein. Es wird angestoßen, ich kippe mir den schon schaumlosen schwarzen Saft in den Hals und knalle das Glas aufs Thekenbrett. Der Ire besingt jetzt die Schönheit der irischen Mädchen. Ich glaube ihm kein Wort, will aber trotzdem mal hinfahren. Die Zapfanlage gurgelt, die Theke glimmt in feuchtem Schimmer, der bärtige Ire spult sein ganzes Programm ab und erzählt mir all die nebligen Geschichten.

Während ich in den graugrünen Bildern versinke, kann ich die Fensterläden seines Geburtshauses gegen den Westwind klappen hören. Zum Schluß bittet er das Schicksal mit schon brüchiger Stimme um einen langen Frieden für seine Heimatstadt Belfast. Ich will heim und zahle. Draußen vor der Tür wünscht mir der schon lang ergraute Wachmann einen guten Heimweg. Ich klopfe ihm zum Abschied auf die schlaffe Schulter und gehe meinen Weg durch die windige Dunkelheit.

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