© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/11 22. Juli 2011

„Wo soll das noch enden?“
Sechs von 239 Bundestagsabgeordneten der CDU/CSU verweigern ihre Zustimmung zur Griechenlandhilfe und zum Euro-Rettungsschirm. Der ehemalige sächsische Justizminister und heutige Haushaltspolitiker Manfred Kolbe ist einer von ihnen.
Moritz Schwarz

Herr Kolbe, Sie haben Ihre Zustimmung zur Griechenlandhilfe verweigert und wollen voraussichtlich auch gegen den Euro-Rettungsschirm ESM stimmen, über den der Bundestag nach der Sommerpause entscheiden wird. Warum?

Kolbe: Diese Rettungsschirmpolitik widerspricht allem, wofür CDU und CSU traditionell im Kern stehen: der Marktwirtschaft mit ihrer Eigenverantwortung.

Inwiefern?

Kolbe: Wie ein roter Faden zieht es sich durch alle Rettungsmaßnahmen der Bundesregierung seit 2008, von der Banken- bis zur Euro-Rettung: die Leugnung der marktwirtschaftlichen Eigenverantwortung. Der Ausgang des Systemstreits 1989 hat gezeigt, daß die Marktwirtschaft dem Sozialismus überlegen war. Und warum? Weil Marktwirtschaft auf Eigenverantwortung basiert, während der Sozialismus diese im Kollektiv hat verschwimmen lassen. Eigenverantwortung bedeutet einerseits, daß wer Erfolg hat, auch das Recht haben muß, die Früchte seines Erfolgs zu genießen und beispielsweise Geld zu verdienen. Andererseits gehört zur Marktwirtschaft aber auch, daß man das Risiko verantworten und Verluste bis zur Insolvenz tragen muß. Und diese marktwirtschaftliche Eigenverantwortung haben wir in der Bankenkrise erstmals verleugnet: Wir haben damals einer Branche, die jahrelang bestens verdient hat, ohne jede Eigenbeteiligung massiv mit Steuergeldern ausgeholfen. Das gleiche geschieht nun bei der Euro-Rettung. Der Wirtschaftsprofessor Stefan Homburg hat das ja unlängst im Spiegel schön aufgespießt.

Er habe griechische Staatsanleihen gekauft, weil er fest auf die unendliche Dummheit der Bundesregierung vertraue, Griechenland weiter zu stützen.

Kolbe: Eben. Damit untergraben wir die Marktwirtschaft, weil wir ihr Grundprinzip der Eigenverantwortung verleugnen.

Inzwischen hat sich die Bundeskanzlerin mit Präsident Sarkozy auf eine Beteiligung der Banken geeinigt. Warum überzeugt Sie das nicht?

Kolbe: Die Beteiligung ist äußerst dürftig, um es vornehm auszudrücken. Und was als Gegenleistung gezahlt wird, ist auch noch nicht ganz raus. Das geht vielleicht gar in Richtung eines guten Geschäfts für die Banken. Nein, ich halte von diesem „freiwilligen“ Beitrag nichts. 

Wörtlich haben Sie Ihrer Kanzlerin öffentlich „Etikettenschwindel“ vorgeworfen.

Kolbe: Weil es einen echten freiwilligen Beitrag der Banken gar nicht geben kann: Diese sind Aktiengesellschaften, da könnten die Vorstände bei einem freiwilligen Verzicht wegen Untreue belangt werden! Nein, was wir brauchen, ist eine substantielle Beteiligung der privaten Gläubiger Griechenlands, und die wird nie freiwillig sein. Schließlich führen wir auch kein freiwilliges Steuerzahlen ein, das hätte ähnliche Ergebnisse.

„Etikettenschwindel“ ist Betrug. Normalerweise ist das die Sprache, mit der die Opposition die Regierung bedenkt. Das zeigt, da ist Zoff unterm Dach: Wieviel Zoff?

Kolbe: Das sollte jetzt nicht dramatisiert werden, es muß in der parlamentarischen Demokratie erlaubt sein, auch die eigene Regierung mal zu kritisieren.

Streiten Sie mit Frau Merkel intern?

Kolbe: Wir diskutieren in der Fraktion ganz normal, so wie mit Ihnen hier.

Was antwortet sie, wenn Sie ihr den Ausverkauf  der Unionsgrundsätze vorwerfen?

Kolbe: Moment, die eigentliche Kritik an dem Kurs der Bundesregierung kam schon immer eher aus der Unionsfraktion als von der Opposition. Diese hat uns sogar dafür kritisiert, daß wir nicht noch mehr Geld für den Euro ausgeben, keine Eurobonds einführen usw. Es ist traditionell die Union, die für solide Finanzpolitik steht, und es ist der Unionswähler, der in dieser Hinsicht vor allem sensibel reagiert. Deshalb ist der Widerstand gegen ständig neue Rettungspakete vor allem bei uns entstanden.    

Fünf Mann und eine Frau – das sind etwa 2,5 Prozent der Fraktion. Mit Verlaub, allzu groß ist der Widerstand nicht.

Kolbe: Ich kann und will hier nur für mich persönlich sprechen. Aber es sind nicht nur diese sechs. Das Unbehagen geht darüber hinaus.

Wie groß ist der Widerstand tatsächlich?

Kolbe: Ich schätze, daß mehr oder weniger jeder in der Fraktion über die bisherige Rettungsschirmpolitik nachdenkt und sich fragt, ob diese tatsächlich eine nachhaltige und machbare Politik darstellt. Mittlerweile wird ja in Europa sogar schon eine Verdopplung des Euro- Rettungsschirms auf 1,5 Billionen Euro gefordert. Wo soll das denn noch enden?

Als vor zwei Wochen Ihre Fraktion der Griechenlandhilfe zugestimmt hat, wollte man offiziell vom Gegenvorschlag, für den auch Sie werben – einem Schuldenschnitt – noch nichts wissen. Inzwischen wird darüber nicht nur in der Bundesregierung nachgedacht, sondern auch auf dem Euro-Sondergipfel in Brüssel. Verspüren Sie Genugtuung?

Kolbe: Darum geht es nicht. Sondern darum, daß selbst das gerade vom griechischen Parlament beschlossene „Sparpaket“ mit 78 Milliarden Euro unrealistisch ist, da niemals, wie behauptet, Privatisierungserlöse von fünfzig Milliarden Euro erzielt werden. Ich erinnere nur an die Treuhand: Aus geschätzten 600 Milliarden D-Mark Erlösen wurde am Ende ein Zuschuß von 250 Milliarden D-Mark. Nein, die griechische Verschuldung von 350 Milliarden Euro kann ohne Schuldenschnitt in Höhe von mindestens fünfzig Prozent nicht bewältigt werden und das hieße: das Euro-Drama geht weiter ad infinitum.

Schuldenschnitt – und raus aus dem Euro?

Kolbe: Nein, ein Schuldenschnitt reicht wahrscheinlich aus, damit Athen wieder auf die Beine kommt.

Aber doch nicht unter dem Druck eines starken Euros.

Kolbe: Warum nicht?

Eine starke Währung paßt nicht zu einer schwachen Volkswirtschaft, man muß zum Beispiel abwerten.

Kolbe: Statt abzuwerten müssen eben die Ausgaben, einschließlich Löhnen und Gehältern und damit der Lebensstandard gesenkt werden. Ökonomisch hat das dieselbe Wirkung, ist aber – zugegeben – politisch schwerer durchzusetzen als eine schleichende Inflation oder Abwertung.

Wahrscheinlich überhaupt nicht durchzusetzen: Sie sehen doch, was jetzt schon auf den Straßen in Athen los ist!

Kolbe: Die Alternative wäre in der Tat die Rückkehr zur Drachme, und dann hat Griechenland gar keine Chance mehr.

Den Euro zu behalten setzt voraus, daß die Griechen allen Versuchungen, denen sie in den letzten zehn Jahren hemmungslos nachgegeben haben, plötzlich eisern widerstehen. Das bedürfte erstmal einer Kulturrevolution in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft. Wie realistisch ist das denn? 

Kolbe: Sie vergessen offenbar, daß auch bei einer Rückkehr der Drachme die Schulden der Griechen in Euro bleiben. Damit wäre das Land in der gleichen Lage wie ehemals die DDR, die nicht an der Höhe der Schulden von „nur“ dreißig Milliarden D-Mark zugrunde gegangen ist, sondern daran, daß es Devisen-Schulden waren, die sie gar nicht erwirtschaften konnte. Ich gebe zu, Deflation ist schmerzhaft, aber Krisenländer aus dem Euro auszuschließen wäre das Todesurteil für diese.  

Wenn Ihr Vorschlag also der richtige Weg wäre, warum strebt die Bundesregierung ihn dann nicht entschlossen an?

Kolbe: Das frage ich mich auch.

Fehlt es der Kanzlerin an Sachverstand oder hindert sie ideologische Befangenheit?

Kolbe: Also, man muß der Bundeskanzlerin immerhin zugestehen, daß ihr bei dieser Rettungspolitik selbst nicht wohl ist, sie aber eben auch unter starkem internationalem Druck steht. Sehen Sie, es gibt doch eine Menge Nutznießer der Rettungsschirme: etwa die USA, die nichts beitragen, obwohl auch Forderungen von US-Banken und Hedgefonds garantiert werden. Das gleiche gilt für Großbritannien, das keinen Penny zu den Rettungsfonds beisteuern will, obwohl auch der Finanzplatz London durch sie stabilisiert wird. Die Schweiz: keine Einzahlung, doch ihre Banken profitieren. Frankreich zahlt zwar ein, profitiert aber möglicherweise unterm Strich, denn französische Banken sind überproportional engagiert. „Mister Europa“, Jean-Claude Juncker, zahlt zwar, hat aber einen völlig überdimensionierten Bankenplatz und bekommt wahrscheinlich wesentlich mehr heraus. Und natürlich alle bisherigen und künftigen Krisenländer wie Irland, das nun vermutlich erneut Geld braucht, oder Italien, das zuletzt ja in den Fokus gerückt war. Und wer sind die Verlierer? Jene, die weniger herausbekommen, als sie einzahlen, und das ist, neben den Niederlanden und Finnland, vor allem Deutschland. Sie sehen, die Bundesregierung steht international relativ allein und hat daher einen schweren Stand.

Aber wie vereinbaren Regierung und Parlamentarier dieses Nachgeben mit ihrem Eid, beziehungsweise ihrer Verpflichtung, zum Wohle des deutschen Volkes zu handeln?

Kolbe: Bei aller Kritik an der jetzigen Rettungsschirmpolitik sollte man immer beherzigen, daß Deutschland vielleicht der Hauptnutznießer der europäischen Einigung ist. Die Römischen Verträge von 1957 etwa waren das erste politische Ereignis nach 1945, bei dem die junge Bundesrepublik gleichberechtigt neben großen anderen Nationen aufgetreten ist. Das wägen viele Kollegen ab. Nur, man muß sich eben auch fragen, ob der Rettungsschirm-Irrweg, auf den wir nun geraten sind, uns tatsächlich in die europäische Zukunft führt oder ob er nicht Europa eher gefährdet.

Nämlich?

Kolbe: Der Rettungsschirm-Irrweg hat bereits drei Krisen hervorgerufen, die Europa schwer schaden: Die erste ist die Krise der marktwirtschaftlichen Eigenverantwortung, die ich Anfangs beschrieben habe. Die zweite ist die Krise der Demokratie. Sowohl in den Nehmerländern: Dort sind die Parlamente ja faktisch entmachtet, der Haushalt wird von IWF- und EU-Beamten festgelegt. Als auch in den Geberländern: Wir erinnern uns etwa an das Verdikt „alternativlos“, weshalb nicht diskutiert werden durfte. Alles wurde in wenigen Tagen durchgepeitscht, vorbei an den Bürgern und im Grunde auch am Bundestag, der nur noch abzunicken hatte. Drittens: die Krise Europas an sich. Denn diese Politik eint Europa nicht, sondern entzweit es. In Griechenland wird etwa über Deutschland geschimpft und die Europafahne mit Hakenkreuzen verunziert, und im Norden bekommen, bis hinein in die hohe Politik, Stammtischparolen über angeblich faule Südländer neue Nahrung. Und wenn die Griechen privatisieren und Deutsche oder andere Europäer dort zu vermeintlichen oder tatsächlichen „Schnäppchenpreisen“ kaufen, wird es zu unglaublichen Verbitterungen kommen, schlimmer als jene, die wir zwischen „Ossis“ und „Wessis“ durch die Privatisierungen der Treuhand hatten.

So wie der Euro konzipiert war, mußte es zu dieser Krise und den drei Folgekrisen kommen. Ist der Euro also antieuropäisch?

Kolbe: Wie auch immer, jedenfalls brauchen wir Europa, weil unsere Nationalstaaten sich in der globalisierten Welt des 21. Jahrhunderts gegenüber den USA und Rußland, aber auch China und Indien nicht mehr allein Gehör verschaffen können.

Sie haben doch selbst 1998 im Bundestag gegen die Einführung des Euro gestimmt.

Kolbe: Weil ich sie für überhastet gehalten habe. Jedenfalls war es falsch, den Euro mit einem so inhomogenen Kreis an Volkswirtschaften zu starten. Und nun sind wir bereits bei einer Rettungssumme von über 400 Milliarden Euro. Und jeder weiß, spätestens beim ersten großen Krisenstaat ist dieser Weg zu Ende. Außerdem: Deutschland erlebt zwar derzeit einen Wirtschaftsboom, aber darin steckt auch eine Gefahr: nämlich, daß diese scheinbare Stärke andere und uns selbst dazu verleitet zu glauben, Deutschland könne das alles schon tragen. Woher wissen wir aber, daß auch in Zukunft alles glatt läuft? Wir haben eine der ungünstigsten demographischen Entwicklungen weltweit. Eigentlich müßten wir unsere Kräfte darauf richten, für uns und unsere Kinder Vorsorge zu treffen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß die Blüte, die Deutschland derzeit erlebt, am Ende nichts weiter als ein prächtiges Abendrot ist.

 

Manfred Kolbe war von 2000 bis 2002 Sächsischer Staatsminister der Justiz. Der ehemalige Richter und Oberregierungsrat im Bayerischen Staatsministerium der Finanzen ist heute Mitglied im Finanzausschuß des Bundestages. Der zeitweilige Vorsitzende der Landesgruppe Sachsen in der CDU-Fraktion sitzt bereits seit 1990, unterbrochen von seiner Zeit als Minister, im Reichstag und gehört seit 1993 dem Landesvorstand seiner Partei an. Als Landesstrukturbeauftragter für Finanzen war er zudem 1990 an der Bildung des Freistaates Sachsen beteiligt. Geboren 1953 in Naunhof bei Grimma in Sachsen, ging die Familie noch vor dem Mauerbau in den Westen. 1978 wurde Kolbe Mitglied der CSU, 1990 wechselte er zur CDU. Für lokale Schlagzeilen sorgte zuletzt, daß der Jurist zweimal versäumte, eine Tankrechnung zu bezahlen. „Ich war in Gedanken und habe es vergessen. Ich kann mich nur entschuldigen, habe jeweils sofort die Rechnung beglichen und hoffe, daß man mir das glaubt“, so Kolbe.  www.manfred-kolbe.de

Foto: Hinweisschild eines Rettungsringhalters am Ufer der Spree vor dem Reichstag:  „Die Rettungsschirmpolitik hat viele Nutznießer. Aber wer sind die Verlierer? ... Vor allem Deutschland“

 

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