© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/11 22. Juli 2011

Die Trägheit der Massen
Erik Lehnert

Wer sich die weltpolitischen Ereignisse der letzten Jahrzehnte unvoreingenommen vor Augen führt, dürfte verwundert sein, warum sich daraus kein konservatives Rollback ergeben hat. Als der Kommunismus zusammenbrach, schien auch das Ende des linken Zeitalters im Westen eingeläutet. Als das World Trade Center zusammenstürzte, war klar, daß jemand wie Huntington mit seinem „Kampf der Kulturen“ richtig gelegen hatte. Als vor zwei Jahren in den Vereinigten Staaten die Kreditblase platzte, drängte sich die konservative Einsicht förmlich auf, in Zukunft vielleicht nur das auszugeben, was man hat. Und selbst als sich vor einigen Monaten die Katastrophe von Fukushima ereignete, konnte der Konservative mit Blick auf Herbert Gruhl und Robert Spaemann behaupten, es im Grunde immer gewußt zu haben.

Mit anderen Worten: Hätte man auf die Konservativen gehört, wäre uns einiges erspart geblieben. Allerdings: Wer es bislang nicht gemerkt hat, dem dürfte spätestens beim Thema Atomkraft auffallen, daß es so etwas wie „Konservative“ in Deutschland zumindest als politischen Faktor nicht mehr gibt. Diejenigen, die sich jahrzehntelang so bezeichnet haben, verschrieben sich ebenso bedingungslos dem Fortschritt, wie das der Rest der Gesellschaft nach 1945 tat. Die CDU war nie eine konservative Partei, sie repräsentierte nur ein Milieu, dem ideologische Fragen gleichgültig waren, solange die Teilhabe an der Macht gesichert schien.

Was es lange gab, waren konservative Abweichler. Diese Rolle hat zuletzt der Sozialdemokrat Thilo Sarrazin übernommen, der Wahrheiten aussprach, die Medien und Politik verschwiegen. Insofern konnte er als Lackmustest für die alte Theorie der „schweigenden Mehrheit“ herhalten und Begehrlichkeiten bei den „Konservativen“ wecken. Die Zustimmung, die sich in Leserbriefen und Umfragen zeigte, war überwältigend. Und dennoch muß man ganz nüchtern feststellen, daß wir letztendlich ein Feuilletonfeuerwerk beobachtet haben, das für die Tatsachen in Staat und Gesellschaft bislang folgenlos geblieben ist. Sarrazin hat den Bereich des Sagbaren in seinem konkreten Fall ausgetestet und letztendlich gewonnen. Die Sarrazin-Partei, die angeblich 18 Prozent gewählt hätten, gibt es nicht und wird es nicht geben. Auch die 80 Prozent, die laut Umfragen auf seiner Seite standen, haben keine Konsequenzen gezogen, gehen weiterhin brav an die Urne und wählen diejenigen, die Sarrazin für seine Worte gern in den sozialen Tod getrieben hätten.

Solange sich diese „schweigende Mehrheit“ von den Massenmedien an der Nase herumführen läßt, ist sie für die Konservativen, die keinen Zugang zu diesen Medien haben, kein politischer Faktor, auf den sich bauen läßt. Es brauchen auch weiterhin nur Worte wie „rechts“ zu fallen und schon steht die schweigende Mehrheit wieder stramm – gegen „rechts“ und damit im Zweifel gegen die Konservativen. Daß in Wahlkampfzeiten von Oppositionsparteien unbequeme Themen angesprochen werden, gehört zum Geschäft. An der weltanschaulichen Grundtendenz der Bundesrepublik ändert sich dadurch nichts.

Im Gegenteil: Die Multikulti-Partei der Grünen erfreut sich noch größerer Zustimmung als vor Sarrazin und treibt die politische Elite vor sich her. Diese Elite will ein Deutschland nach ihren Vorstellungen und macht dabei vor nichts halt – nicht vor den Kindern, denen Gender Mainstreaming eingeimpft wird, nicht vor Institutionen wie Bundeswehr und Schule, die ausgehöhlt werden, nicht vor dem Staat, der der Gesellschaft weichen soll.

Was haben wir dem entgegenzusetzen? Die Fakten, die in allen Fragen auf unserer Seite sind, die Natur, die sich eben doch nicht überlisten läßt und vielleicht eine gewisse Trägheit der „schweigenden Mehrheit“. Doch aus all dem ergibt sich kein überschießendes Moment, das eben doch notwendig ist, um in unserer Lage politische Wirksamkeit zu erlangen. Das Feld der Politik wird von „grünen“ Parteien bewirtschaftet, und die Gleichschaltung der Medien ist so umfassend, daß jedes Abweichen für einen großen Skandal sorgt. Wer glaubt, daß diese kleinen Freiräume als Beweis dafür genügen, daß alles auf einem guten Weg ist, hat von dem Charakter seiner eigenen Äußerungen eine geringe Meinung: Er hat die Rolle des Narren akzeptiert.

 

Dr. Erik Lehnert, Jahrgang 1975,    Philosoph und       Historiker, ist seit 2008 Geschäftsführer des Instituts für Staatspolitik. Auf dem Forum schrieb er zuletzt über die Evangelische Kirche in Deutschland   („Gefangen in der Welt“, JF 6/10).

Foto: Die Zukunft der Konservativen in Deutschland: Ob das Glas nun halb voll oder halb leer ist, liegt im Auge des Betrachters

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen