© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/11 29. Juli / 05. August 2011

Tanz ums goldene Kalb
Mehr als ein Rückblick auf den Historikerstreit: Der SPD-Politiker Mathias Brodkorb hat einen in weiten Teilen sehr lesenswerten Sammelband zur Singularität des Holocaust herausgegeben
Thorsten Hinz

Die Idee war den Versuch wert! Anläßlich des 25. Jahrestages des Historikerstreits wollte Herausgeber Mathias Brodkorb, SPD-Landtagsabgeordneter aus Mecklenburg-Vorpommern, eine Art Klassentreffen veranstalten und die wichtigsten Teilnehmer in einem Buch versammeln. Während der eine Hauptprotagonist, Ernst Nolte, sofort zusagte, verweigerte der andere, Jürgen Habermas, die Teilnahme. Das bestätigt die alte Vermutung, daß seine Theorie vom herrschaftsfreien Diskurs dazu dient, eine ganz anders geartete Herrschaftspraxis zu kaschieren und legitimieren.

Im Interview umreißt der Historiker Nolte noch einmal seine Sicht der Dinge und analysiert die Lage: Seit 1990 sei die „antifaschistische Dogmatik zum Grundkennzeichen der jüngeren deutschen Geschichte geworden“. Die Wiedervereinigung und zuvor der Kalte Krieg, die die Sowjetunion aus Deutschland und Mitteleuropa herausdrängten, hätten Hitler in gewisser Weise recht gegeben. Die Deutschen heute könnten sich zu der Einsicht aus inneren und äußeren Gründen nicht bekennen, weshalb sie in einen Antifaschismus ohne Faschisten, in einen „sanften Totalitarismus“, flüchteten.

Der Historiker Wolfgang Wippermann, der bei Ernst Nolte promoviert und habilitiert wurde, nennt diesen seinen „mißratenen Lehrer“. Wippermann verkörpert nahezu idealtypisch die antifaschistische Dogmatik. Der Rezensent erlebte ihn erstmals vor rund zwanzig Jahren im Polnischen Kulturzentrum in Berlin, wo er mit einem Professor vom Polnischen Westintitut in Posen einen scharfen Disput vom Zaun brach. Während der Pole den preußischen Rechtsstaat verteidigte, der Angehörige seiner ethnischen Minderheiten schützte, bestand Wippermann auf den präfaschistisch-rassistischen Charakter Preußens, bis der polnische Gast die Diskussion mit den Worten beendete: „Ich kann es nicht leiden, wenn Deutsche sich polnischer gebärden als die Polen!“

Wippermann, inzwischen ein 66jähriger Emeritus, ist heute fair genug zu konstatieren, daß Ernst Nolte unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten als Sieger aus dem Streit hervorgegangen ist und die berühmt-berüchtigte Singularitätsthese von Habermas & Co. unhaltbar ist. Und noch etwas: Wippermann räumt offen ein, daß die eigene politische Haltung von der Vergangenheit seines Vaters als Hauptsturmführer der Waffen-SS und von der Unsicherheit beeinflußt ist, ob dieser ein „Massenmörder“ war. Er selber sei „Nationalist. Ich frage mich immer wieder: Warum ausgerechnet mein Volk?“ Eine späte Ehrlichkeit, die Respekt abnötigt! Fällig ist eine gründliche Untersuchung über den Einfluß linker NS-Kinder auf die politisch-ideologische Entwicklung der Bundesrepublik.

Die Beiträge der Historiker Christian Meier, Jörn Rüsen und Heinrich August Winkler sind konventionell. Der Springer-Journalist Alan Posener räumt die Etablierung einer „Gesinnungspolizei“ im Anschluß an den Historikerstreit ein, wirft aber – ebenfalls erwartbar – Nolte vor, sich Hitlers „Juden-Phobie“ zu eigen gemacht zu haben. Der Aufsatz des FAZ-Redakteurs Jürgen Kaube über „Geschichtspatriotismus“ läßt offen, worauf der Autor eigentlich hinaus will.

Ganz anders der Aufsatz „Die ‘Habermas-Methode’ und die geistige Situation ein Vierteljahrhundert danach“ des Rostocker Althistorikers Egon Flaig, der am 17. Juli stark gekürzt auch in der FAZ erschienen war. Flaig wirft Habermas vor, gegen Nolte und andere mit den Mitteln des „Lumpenjournalismus“ gearbeitet und überhaupt daran mitgewirkt zu haben, die Geisteswissenschaft auf eben dieses Niveau zu bringen. Habermas und sein Freund Hans-Ulrich Wehler hätten Zitate gefälscht und ihren Gegnern plumpe Thesen unterstellt, die sie dann mit Verve widerlegten. Er belustigt sich über Habermas’ Vorwurf, Nolte wolle  den Deutschen die „Schamröte“ über den Nationalsozialismus austreiben. Mit dem Mittel des Verdachts wollte er also einen affektiven Ausnahmezustand als politische und wissenschaftliche Kategorie einführen und auf Dauer stellen.

Ein nicht minder scharfer Angriff zielt auf den Historiker Dan Diner, den diese Zeitung vor Jahren bereits als „Hohepriester der Holocaust-Religion“ und Einpeitscher eines „Schamanenkults“ ( JF 5/07) klassifiziert hatte. Flaig zerfetzt Diners hohltönendes Vokabular geradezu, das auf Überredung und moralische Erpressung statt auf wissenschaftliche Präzision setzt. Zu Diners Behauptung, jeder Erklärungsversuch des Holocaust banalisiere diesen, schreibt Flaig, Diner könne nicht ertragen, daß die Gründe, die zum Massenmord geführt haben, eben recht banaler Natur waren. Daher wolle er am liebsten das historische Denken verbieten, und anschließend könne „der Tanz ums goldene Kalb ‘Unerklärbarkeit’ (...) beginnen“.

Den Band beschließt ein Aufsatz Brodkorbs über „Heiße und kalte Seelen. Ernst Nolte und die Singularität von Auschwitz“. Dem studierten Philosophen und Gräzisten ist ein scharfsinniger, ja grandioser Text gelungen, an dem niemand vorbeigehen kann, der sich dem Thema künftig widmet. Brodkorb fühlt sich nicht als Historiker zuständig, sondern er analysiert mit den Mitteln der Erkenntnislogik und Hermeneutik die Aussagen der am Streit beteiligten Historiker.

Interessanterweise beginnt er mit einer kurzen Darstellung der sozialwissenschaftlich ausgerichteten „Bielefelder Schule“, die die bundesdeutsche Historiographie beherrscht. Diese akzeptiere keinen Unterschied zwischen Genese und Geltung einer wissenschaftlichen These, also zwischen dem (politischen) Interesse des Historikers und dem Wahrheitsgehalt seiner Position. Daher mußten Wehler, Habermas, Jürgen Kocka und andere den Auftritt Noltes, der einen anderen wissenschaftlichen Ansatz vertritt, als einen politischen Angriff auf die eigene Position verstehen, die sie zudem mit dem aufgeklärten Selbstverständnis der Bundesrepublik identifizierten. Das alles erklärt die maßlosen Aggressionen und zugleich Widersprüche, in denen sie sich verhedderten. Die Behauptung, der nationalsozialistische Judenmord sei höher zu bewerten als andere Völkermorde, weil Deutschland einer höheren Kulturstufe angehörte, begrenzte die Singularität des Holocaust auf den Westen. Brodkorb nennt es „wahrheitsrelativistisch“, daß die von „kalten Seelen“ bürokratisch organisierten Morde anders bewertet werden als jene, die von „heißen Seelen“ verübt werden, die selber Hand anlegen.

Obgleich ihm Noltes Position wohl nähersteht als die seiner Gegner, kritisiert er ihn an einigen Stellen scharf. Die Auffassung, der Antisemitismus der antibolschewistischen Nationalsozialisten hätte wegen der Beteiligung zahlreicher Juden an der bolschewistischen Bewegung „ein gewisses Ausmaß von Recht“ besessen, nennt er einen „induktionslogischen Fehlschluß“, denn es gebe keine logische Möglichkeit, von „Juden“ auf „die Juden“, von einer begrenzten Anzahl auf sämtliche Individuen einer Gruppe, zu schließen.

Dagegen allerdings könnte eingewandt werden, daß dies gar nicht nötig sei und es ausreiche, eine überdurchschnittliche Affinität von Juden für den Bolschewismus festzustellen. Nolte hat dafür keine vollständige Theorie, aber doch wichtige Stichworte geliefert. In seinem Buch „Streitpunkte“ (1993), im Kapitel „Die ewige Linke“, schreibt er, der Übertritt vom Reich der Ungerechtigkeit in das der Gerechtigkeit – dem Ideal der Oktoberrevolution – sei nirgendwo „unübersehbarer vollzogen worden als im alten Israel“. Hier wurde gewissermaßen die Urenergie freigesetzt, aus der sich die Linke bis heute speist. Er zitiert den jüdischen Autor Jakob Wassermann: „Wo das Unbedingte verlangt, wo reiner Tisch gemacht wurde, waren Juden, sind Juden die Führer. Juden sind die Jakobiner der Epoche.“ Allerdings sei die Frage nach der inneren Affinität zwischen Judentum und Bolschewismus „mit einem kaum je durchbrochenen Tabu belegt“.

Es ist ein verständliches Tabu, das andererseits die historische Aufklärung über Hitlers wütenden Antisemitismus behindert. Klar ist damit aber auch, daß es sich bei Dan Diners „Niemandsland des Verstehens“ lediglich um eine verbotene Zone handelt.

Ein Buch, das in weiten Teilen die Lektüre lohnt.

Mathias Brodkorb (Hrsg.):  Singuläres Auschwitz? Ernst Nolte, Jürgen Habermas und 25 Jahre „Historikerstreit“. Adebor Verlag Banzkow, 2011, kartoniert, 179 Seiten, 14,90 Euro

Foto: Holocaust-Mahnmal in Berlin-Mitte: „Die Singularität von Auschwitz ist ein unhaltbares Dogma“ (Wolfgang Wippermann)

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