© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/11 29. Juli / 05. August 2011

Als Kloake mißbraucht
Ein Krankenreport über den Patienten Ostsee / Das ökologische Gleichgewicht wiederherstellen
Uwe Seidler

Sommerzeit – Badezeit. Und zugleich, zumindest an den Ostseestränden: Algenzeit. Obwohl das Baden überwiegend unbedenklich ist und Urlauber von der Algenplage an dem Deutschland verbliebenen Küstenabschnitt zwischen Flensburger Förde und der Insel Usedom in den letzten Sommern weitgehend verschont wurden und auch in diesen Ferienwochen nicht klagen können, ist dies kein Anlaß, ökologisch Entwarnung zu geben.

Die Ursache der Algenkalamität, die Eutrophierung der Ostsee infolge starker Belastung mit den Pflanzennährstoffen Stickstoff und Phosphor, ist keineswegs beseitigt. Dies ergibt sich aus einem Report des am Leibniz-Institut für Ostseeforschung in Warnemünde tätigen Meeresbiologen Günther Nausch (Chemie in unserer Zeit, 3/11). In der öffentlichen Wahrnehmung zählt die Verschmutzung des Mare Balticum, des intrakontinentalen Nebenmeeres des Atlantischen Ozeans, zu den Klassikern der Öko-Debatte.

Seit den ersten alarmierenden Berichten über die „Veralgung“ in den späten Sechzigern fungiert die Ostsee daher als Umwelt-Barometer. Zu Recht, denn nach schwedischen Abschätzungen nahmen die menschlich induzierten Nährstoffeinträge seit Anfang des 20. Jahrhunderts um das Acht- (Phosphor) bzw. Vierfache (Stickstoff) zu. Der mittlere jährliche Stickstoffeintrag lag zwischen 2001 und 2006 bei 641.000 Tonnen. Dazu kamen atmosphärische Belastungen von 200.000 Tonnen.

Phosphor, überwiegend aus Abwasseranlagen, schlug während des gleichen Zeitraums mit jährlich 30.000 Tonnen zu Buche. Das sind gewaltige Belastungen, die ein Ökosystem treffen, dessen Regenerationskraft entscheidend dadurch geschwächt ist, daß sein Wasseraustausch mit dem Atlantik nur über die schmalen dänischen Belte möglich ist. Darum liegt die mittlere Verweildauer des Wassers in der Ostsee zwischen 25 und 35, in der Nordsee hingegen nur bei zwei bis drei Jahren. Bei permanentem Süßwasserüberschuß ist der Salzgehalt dieses 412.000 Quadratkilometer großen „Brackwassermeers“ entsprechend niedrig. Ideale Voraussetzungen für die „Überdüngung“ der Ostsee.

Schon 1974 unterzeichneten die Anliegerstaaten in Helsinki eine Schutzkonvention. Auch die „Bruderländer“ des damaligen Ostblocks, die DDR nebst Volkspolen und der Sowjetunion, verpflichteten sich darin, Schutzmaßnahmen zur Wiederherstellung des ökologischen Gleichgewichts zu ergreifen. Sie beteiligten sich ab 1979 auch am abgestimmten Überwachungsprogramm der Helsinki-Konvention (Helcom). Einhalten konnten die Manager der abstürzenden sozialistischen Planwirtschaften ihre ökologischen Versprechungen allerdings zu keinem Zeitpunkt.

Im Gegenteil: Bis zur Implosion des Sowjetimperiums im Herbst 1989 stieg die Konzentration von Phosphat und Nitrat in dem von ihnen als Kloake mißbrauchten „Friedensmeer“ deutlich an. Haupteinträger waren Industrie und Landwirtschaft zwischen Mecklenburg und Leningrad. Ein Trend, der auch nach 1990 nicht gebrochen worden ist. Denn die meisten „Belastungsschwerpunkte“ befanden sich 2009 weiterhin am einstigen Ostblockabschnitt der südlichen Ostseeküste. Die skandinavischen Anrainer sowie die nun zum Bundesgebiet zählenden DDR-Gewässer sind von der Helcom-Liste der Umweltsünder gestrichen – dank der Modernisierung von Kläranlagen und der Umstrukturierungen in der Landwirtschaft.

In der deutschen Ostsee verschwanden alle in der Ex-DDR gelegenen Belastungszonen. Im Vergleich mit dem Jahrfünft von 1986 bis 1990 weist die Zeitspanne 2004 bis 2008 eine Abnahme des Phosphoreintrags um 61 Prozent aus, was wesentlich auf den geringeren Eintrag zurückgeht, den verbesserte Klärtechnik erlaubte. Weniger beeindruckend ist indes die Reduktion der Stickstoffeinträge um 13 Prozent, wobei die Hälfte davon dem geringeren Abflußgeschehen der Ostseezuflüsse geschuldet ist.

Trotz solcher relativen Erfolge der seit 1990 initiierten „Aktionsprogramme“ und des 2007 verabschiedeten „Ostseeaktionsplans“ geht die Helsinki-Kommission unbeirrt von der Eutrophierung als der „stärksten Gefährdung“ des baltischen Binnenmeers aus, in dessen Einzugsgebiet heute 85 Millionen Menschen leben und wirtschaften. Darum nahm die Kommission 2009 erstmals eine Klassifizierung von 189 Arealen im gesamten Ostseeraum vor. Als Parameter dienten dabei unter anderem Nährstoffkonzentration, Sichttiefe und Tiefenverbreitung der Unterwasservegetation.

Nur die Seegebiete in der nordöstlichsten Ostsee sowie im schwedischen Kattegat, wo ein schneller Wasseraustausch mit dem Atlantik stattfindet, sind von der Eutrophierung nicht betroffen. Und lediglich elf der übrigen 161 Regionen präsentierten sich in ökologisch „guter“ Verfassung. Von den visionären Vorgaben des Aktionsplans 2007 ist man daher noch weit entfernt.

Die sind nämlich auf ein schadstoffarmes Meer ohne Eutrophierung, auf umweltfreundlichen Schiffsverkehr und ökologisch verträgliche Offshore-Aktivitäten gerichtet, so daß ein günstiges Umfeld für große Artenvielfalt entstehen kann. Um des Algenproblems Herr zu werden, verlangt der Plan eine Konzentration der Nährstoffe nahe dem natürlichen Niveau, klares Wasser, eine nur „natürliche“ Algenblüte und ebenso natürliche Sauerstoffwerte bei „normaler“ Verbreitung von Pflanzen und Tieren. Für die augenblicklich wirtschaftlich heftig gebeutelten Balten-Staaten, für die entfernteren (indirekten) Schadstoff­einträger Weißrußland und Ukraine sowie für Polen und Rußland, beide ebenfalls ökologische Entwicklungsländer, mutet eine solche ehrgeizige Agenda utopisch an.

Trotzdem glaubt Günther Nausch auch diese Staaten, weil sie schließlich 2007 dem Aktionsplan zugestimmt hätten, ins ökologische Joch zwingen zu dürfen. Aufgrund der im Westen und Norden eingeleiteten Schutz- und Sanierungsmaßnahmen seien zwar Belastungsreduzierungen zu registrieren, aber sie dürfen nur ein Anstoß zu weiteren Anstrengungen sein. Der eingeschlagene Weg sollte „konsequent fortgesetzt werden“. An seinem Ende stünde die Ostsee dann wieder im „ökologischen Gleichgewicht“.

 

Badewasserqualität an der Ostsee

Voriges Jahr kritisierte der ADAC die Badewasserqualität an den Ostseestränden von Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. Nur an 23 der 45 Meßstellen wurde eine gute bis sehr gute Qualität attestiert. An 17 Stellen trübten Fäkalbakterien das Badevergnügen. Grundlage der behördlichen Messungen ist die EU-Badegewässerrichtlinie (2006/7/EG). Der „EEA Report“ 1/11 der Europäischen Umweltagentur bescheinigt deutschen Ostseestränden eine bessere Wasserqualität als dänischen und polnischen. Das Umweltbundesamt warnt vor Blaualgen (Cyanobakterien), die laut Institut für Ostseeforschung aber nur östlich von Rügen vorkommen.

Das Umweltbundesamt informiert über die Qualität der Badegewässer in Deutschland: www.uba.de

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