© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/11 / 12. August 2011

„Zusammenbruch der Zivilisation“
England: Plünderungen, Überfälle, Raub – das Vereinigte Königreich und die Probleme des Multikulturalismus
Robert Rrözinger

Großbritannien steht unter Schock. Ein nie dagewesenes Ausmaß an gleichzeitig stattfindenden Plünderungen und Brandschatzungen, Überfällen und Raub in mehreren Stadteilen Londons und darüber hinaus halten das Land in Atem. Erinnerungen an die Rassenunruhen von Brixton Anfang der 1980er Jahre, wobei etwa 280 Polizisten und 45 Randalierer verletzt wurden, werden wach. Das auslösende Ereignis diesmal war ein mißglückter Festnahmeversuch, der mit dem Tod eines prominenten farbigen Bandenmitglieds im Drogenmilieu des Stadtteils Tottenham endete.

Da dies im Kontext existierender Spannungen zwischen der afro-karibischen Bevölkerung und der Polizei stattfand, lag es für manche nahe, auch in den Ausschreitungen zunächst einen Rassenhintergrund zu sehen. So schrieb Katherine Birbalsingh, Bloggerin beim Daily Telegraph, nach der ersten Unruhenacht am 7. August: „Bei diesen Krawallen ging es um Rasse. Warum wird diese Tatsache ignoriert?“ Inzwischen ist jedoch erkennbar, daß eine ganze Reihe weiterer Faktoren hinzukamen. Ein explosives Gemisch aus langfristig gewachsener Jugend- und Bandenkriminalität traf auf eine finanziell geschwächte und gründlich verunsicherte Polizei. 

Der Anblick brennender Häuser und Fahrzeuge in Tottenham hat viele Nachahmer ermutigt, in ihrer Nachbarschaft selber auf Raubzüge zu gehen und Feuer zu legen. Sie spüren die Überforderung der Polizei und können ihr mit Hilfe moderner Kommunikationstechnologie selbst dann leicht entkommen, wenn sie doch einmal hart durchzugreifen versucht. Am hellichten Tage, so berichtet die Daily Mail, werden Passanten ausgeraubt und zur Abgabe selbst ihrer Schuhe und Kleidungsstücke gezwungen. Ein ausverkauftes Fußball-Freundschaftsspiel zwischen England und Holland in Wembley wurde aus Sicherheitsgründen abgesagt – zusammen mit allen anderen Vorfällen ein verheerendes Signal für die Olympischen Spiele in einem Jahr.

Obwohl die Trennlinie zwischen Tätern und Opfern nicht klar entlang der unterschiedlichen Ethnien verläuft, ist dennoch die Bevölkerungszusammensetzung in den betroffenen Gebieten zu beachten. In Tottenham zum Beispiel  leben 34 Prozent Schwarze (Weiße: 49, Asiaten: 6 Prozent), in ganz London sind es dagegen nur knapp elf Prozent, in England gerade mal zwei. Die Zahlen stammen von der Volkszählung von 2001, aktuellere liegen noch nicht vor. Schätzungen von 2009 gehen außerdem von einem relativ hohen Anteil von Kindern sowie allen Altersgruppen von 20 bis 44 in Tottenham aus.

Gerade hier ist die Szenerie durch ein hartnäckiges Mißtrauen der schwarzen Bevölkerung gegenüber den Gesetzeshütern geprägt. Denn bereits im Jahr 1998 wurde die Polizeieinheit „Operation Trident“ gegründet, um die Drogen- und Waffenkriminalität speziell unter den schwarzen, afro-karibischen Einwohnern der Metropole zu bekämpfen.

Doch die Polizei operiert in einem Umfeld, das von der Politik bestimmt wird. Jahrelang wurden Multikulturalismus und staatliche Umverteilung gepredigt und praktiziert, was zur Folge hat, daß nicht nur in Tottenham die Bandenkultur blüht, und daß die allgemein grassierende Anspruchshaltung gerade auch unter Farbigen besonders stark ausgeprägt ist. Parallel dazu ist das Bildungsniveau der staatlichen Schulen in den vergangenen Jahrzehnten gesunken. Doch während die Mittelschicht dieses Defizit bei den eigenen Kindern einigermaßen kompensieren kann, bleiben die Ärmsten, und das sind hauptsächlich Einwanderer aus Ländern der Dritten Welt und ihre Nachkommen, auf dem Arbeitsmarkt unvermittelbar. Das, zusammen mit einer extrem restriktiven Drogenpolitik, mündet nun in einem hochexplosiven Gemisch eines zerfetzten sozialen Gefüges.

Eine Politik, die seit Jahrzehnten durch zahllose gesellschaftsklempnerische Interventionen eine Übernahme persönlicher Verantwortung systematisch untergrub, versagt nun in ihrer primären Aufgabe, für Ruhe und Ordnung zu sorgen. „Alles in unserem System“, so die Lehrerin Katherine Birbalsingh in einem späteren Blogeintrag beim Daily Telegraph, „von unseren Schulen über unser Justizwesen, unserem Sozialstaat bis zum Blut in unseren Adern sagt: ‘Du bist nicht verantwortlich’.“

Toby Young, ein anderer Telegraph-Blogger, wohnhaft im Stadtteil Acton, überlegte in der Nacht zum Dienstag dagegen gar, ob er mit seiner Familie London verlassen sollte. Statt dessen holte er lediglich seinen Baseballschläger hervor und verfolgte die Nachrichten. Es war, so schrieb Young, „als ob ich Zeuge des Zusammenbruchs der westlichen Zivilisation bin, wie er in zahllosen Hollywood-Filmen geschildert wird.“

Foto: Siegespose in Tottenham: Seit Jahren versucht die Londoner Polizei gegen Drogen- und Waffenhändler vorzugehen. Nun eskalierte die Situation

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