© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/11 / 12. August 2011

Warnschüsse, Wirrwarr, Wechselstimmung
Syrien: Die Eskalation der Gewalt setzt Assad mehr und mehr unter Druck / Einflußreiche Partner gehen auf Distanz

Seit Mitte März demonstrieren in Syrien Teile der Bevölkerung für politische Veränderungen und das Ende des seit vierzig Jahren alles bestimmenden Regimes des Assad-Clans und der „staatseigenen“ Baath-Partei. Zwei Blöcke stehen sich gegenüber: Die Demonstranten, die der sunnitische Mehrheit zuzurechnen sind, und das „System“, das überwiegend von den Minderheiten der Alawiten und der Christen getragen wird. Beide zusammen stellen etwa 20 Prozent der Bevölkerung.

Mit dem Einsatz der Armee und Kräften der inneren Sicherheit griff Damaskus von Anfang an rücksichtslos durch. Doch ein Ende der Unruhen ist nicht in Sicht. Das Gesetz des Handelns gleitet Baschar al-Assad von Tag zu Tag mehr aus der Hand. Wenn es stimmt, daß „souverän ist, wer über den Ausnahmezustand verfügt“, so läuft jetzt in Syrien die Probe aufs Exempel.

Daß der UN-Generalsekretär, der Papst oder die US-Außenministerin  zu einem Ende der Gewalt aufriefen, wird Assad kaum beeindruckt haben. Nachdenklich stimmen müßte ihn aber, daß ihm allmählich die Optionen schwinden – und auch, daß einflußreiche Partner auf Distanz gehen.

Den Anfang machte Rußlands Präsident Medwedew, als er den syrischen Amtskollegen „vor einem schlimmen Ende“ warnte. Wenn Assad sein Land nicht reformiere und Frieden schaffe, erwarte ihn „ein trauriges Los“, sagte Medwedew. „Und wir werden am Ende gezwungen sein, auch irgendeine Entscheidung zu treffen.“ Ein Warnsignal für Assad, denn Rußland lehnte bisher als Vetomacht im UN-Sicherheitsrat ein schärferes Vorgehen gegen Syrien ab.

Ultimativ könnte auch die Bemerkung des türkischen Regierungschefs Erdogan wirken, Ankara habe angesichts der anhaltenden Gewalt die Geduld verloren. Am Dienstag machte Ankaras Außenminister Davutoğlu, der als Vater des Konzepts der „türkischen Einflußsphäre“ und der „Politik des gemeinsamen Interesses“ in der Region gilt, Assad deutlich, daß Syrien dabei sei, die Türkei als Partner zu verlieren. Es sollen harte Worte gefallen sein. Angesichts des eskalierenden Konflikts habe Assad nur zwei Möglichkeiten: Er könne sich „wie der frühere sowjetische Staatschef Gorbatschow als geachteter Staatsmann Respekt verschaffen, oder ihm drohe ein Schicksal wie das des hingerichteten irakischen Ex-Staatschefs Saddam Hussein.“

Zunehmend bekommt Damaskus auch den Druck der arabischen Staaten zu spüren. Saudi-Arabien, Kuwait und Bahrain riefen ihre Botschafter zurück. Der saudische König Abdullah kritisierte Assad mit scharfen Worten: „Die Todesmaschinerie und das Blutvergießen müssen gestoppt werden“, verlangte er. „Was in Syrien stattfindet, ist inakzeptabel.“

Die regierungsnahe syrische Presse reagierte gereizt. Abdullahs Worte wirkten „mehr wie eine US-Drohung als eine brüderliche Botschaft“, kommentierte Al-Watan. Der saudische König sei außerdem mit keinem Wort „auf die terroristischen Extremisten-Gruppen und ihre Finanziers eingegangen, die die Einheit Syriens zu zerreißen versuchen“. Damit hat Damaskus seine Überzeugung deutlich gemacht, daß es an Riads Geldtöpfen hängende radikal-sunnitische salafistische und wahabitische „Missionare“ sind, die die Protestbewegung stark beeinflussen und radikalisieren.

Beide Seiten in dem fortdauernden Kräftemessen verfolgen eine Doppelstrategie. Sowohl die Herausforderer des Regimes wie auch seine Verteidiger geben vor, im Namen ganz Syriens zu sprechen. Die Oppositionellen bezeichnen die Regierung als „Machtklüngel“, das Regime nennt die Aufständischen „bewaffnete Banden“. Und beide wollen doch nur ihre eigenen Interessen, Macht und Einfluß sichern.

Bei den systemfeindlichen Demonstranten schwingen Sunniten das Zepter. Auch in der Armee dienen Sunniten als Soldaten und Offiziere. Auf einen Seitenwechsel der Armee wie in Tunesien oder Ägypten darf die syrische Opposition aber kaum hoffen. Das Militär gilt als williges Werkzeug der Spezialkräfte, die die eigentlichen Pfeiler des Assad-Systems stellen. „Undenkbar, daß sich die Armee gegen die politische Führung erhebt“, so das Strategie-Institut CSIS. „70 Prozent des Offizierskorps sind Alawiten. Sie besetzen bei den Sicherheitskräften alle Schlüsselpositionen.“

Es gibt auch Zeichen dafür, daß Assad verstanden hat, daß er jetzt etwas tun muß: Die Zulassung von Parteien und Wahlen noch in diesem Jahr hat er bereits angekündigt. Zusätzlich sollen Personalwechsel Signale setzen: Der wegen seines brutalen Vorgehens in Hama und Deir as-Zour kritisierte Verteidigungsminister, General Ali Mahmud, ein Alawit, wurde abgelöst. Nachfolger wurde General Daud Radschha, ein griechisch-orthodoxer Christ.

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