© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/11 / 12. August 2011

Unter Verdacht
Internet: Warum die politische Forderung nach verpflichtender Verwendung von Klarnamen Humbug ist
Baal Müller

Die ritterliche Forderung, im Internet mit offenem Visier aufzutreten, klingt nach Ehrlichkeit und Mannesmut – warum sollte der rechtschaffene Blogger nicht, wie von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) jüngst in einem Spiegel-Interview gefordert, im Netz unter seinem Klarnamen auftreten?

Es war zu erwarten, daß Politiker der etablierten Parteien die Steilvorlage, die ihnen der Norweger Anders Breivik mit seinen mörderischen Anschlägen geliefert hat, nutzen würden, um nach einer schärferen Kontrolle des Internet zu rufen; schließlich fänden sich dort „jede Menge radikalisierter, undifferenzierter Thesen“; potentielle Straftäter würden sich „von Blog zu Blog hangeln“ und nur noch „in dieser geistigen Sauce“ schwimmen.

Radikal und undifferenziert sind in erster Linie die Äußerungen des Ministers: Es spricht für ein fortgeschrittenes Radikalisierungsstadium und ein zugehöriges Maß an Realitätsblindheit, durch Vorschriften in Deutschland das weltweite Datennetz reglementieren und Internetnutzern die Verwendung von Pseudonymen untersagen zu wollen. Weder ist dies technisch möglich, wie der medienpolitische Sprecher der FDP Burk-
hardt Müller-Sönksen bemerkte, noch wäre es juristisch durchsetzbar, schließlich greifen „rechtspopulistische“, islamkritische Blogs wie Politically Incorrect, die Friedrich vor allem im Visier hat, wenn er anderen das Visier herunterreißen möchte, schon längst aus naheliegenden Gründen auf ausländische Server zurück, die ungeachtet der auf deutsch publizierten Inhalte nicht zwingend an deutsches Recht gebunden sind.

Mittlerweile relativierte Friedrich aufgrund scharfer Kritik seine Forderung etwas, indem er sie bloß als „Appell“ gemeint haben wollte, schließlich sei der Wunsch nach Anonymität etwa bei „Selbsthilfegruppen“ verständlich; jedoch ist auch von dem Vorschlag des SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel, der lieber das „Anzeigeverhalten“ der Bürger – man könnte auch sagen: das Denunziantentum – gestärkt sehen möchte, wenig zu halten.

Aber auch mit der Differenziertheit der ministerialen Äußerung ist es nicht weit her: „Die Grundsätze der Rechtsordnung“, die „verfassungsmäßigen Spielregeln“, auf deren Basis „wir“ in der „demokratischen Auseinandersetzung streiten“, müßten „auch im Netz gelten.“ Welche Gesetze schreiben einem denn vor, daß man in der Kneipe, im Café oder wo auch immer man in der realen Welt „demokratische Auseinandersetzungen“ führt, als erstes seinen Namen verraten müsse? Ebenso ist es in der Demokratie noch immer erlaubt, als Musiker oder Kabarettist unter einem Künstlernamen aufzutreten oder Bücher unter einem Pseudonym zu veröffentlichen, und der demokratische Politiker Herbert Frahm brachte es unter seinem Decknamen Willy Brandt, den er sich 1934 im Untergrund zugelegt hatte, bis zum Bundeskanzler.

Sicher ist dieser historische Vergleich etwas weit hergeholt, aber er weist in die richtige Richtung. Formell gibt es bei uns noch Demokratie und Meinungsfreiheit, aber nicht nur der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog hat Zweifel daran, ob die Bundesrepublik de facto noch eine Demokratie ist. Herzog machte seine Kritik vor allem daran fest, daß die Verabschiedung von Gesetzen im Bundestag meist nur noch die Umsetzung „alternativloser“ EU-Vorgaben sei, aber auch die Struktur der Parteienlandschaft und die Einförmigkeit des in den Massenmedien – mit gelegentlichen rühmlichen Ausnahmen – veröffentlichten Meinungsspektrums sind nicht gerade charakteristisch für eine funktionierende Demokratie.

Die Behinderung legaler Parteien rechts der (durch ihre linke Konkurrenz definierten) „Mitte“ – von der Nichtbeachtung oder notorischen Verunglimpfung in den Medien über die verfassungswidrige Erwähnung in Verfassungsschutzberichten bis hin zur gewaltsamen, polizeilich bisweilen geduldeten, Behinderung bei Wahlkämpfen – ist mittlerweile ebenso „selbstverständlicher“ Alltag wie die Veranstaltung medialer Tribunale und „Hexenjagden“ gegen konservative und nonkonforme Politiker oder Publizisten.

Die Geschichtswissenschaft ist von Paragraphen vermint, die es geraten erscheinen lassen, vor der Veröffentlichung von Thesen, die die herrschende Meinung in Frage stellen, juristischen Rat einzuholen, und selbst der private Alltag ist von der Unkultur der Angst und Anpassung durchseucht.

Wer hat noch einen Überblick darüber, welche Symbole in der Öffentlichkeit verboten oder nur unerwünscht sind? Wieviele Leute halten das Singen der ersten Strophe des Deutschlandliedes für nicht erlaubt? Wie normal ist es, daß das Tragen mancher Bekleidungsmarken – ohne jeden Bezug zum Dritten Reich – in einigen öffentlichen Gebäuden untersagt ist? Mit welcher Selbstverständlichkeit veröffentlichen linke Online-Medien, die mit journalistischen Preisen ausgezeichnet wurden, die Adressen von „Rechten“ und rufen zur Gewalt gegen diese auf? Und muß man sich wirklich daran gewöhnen, daß einige Stadtteile für autochthone Deutsche zu No-go-areas werden? Oder gilt dies nur für die Polizei, die dort als provozierend empfunden wird? Oder bloß für unerwünschte Personen wie Thilo Sarrazin, die sich dies „natürlich“ selbst zuzuschreiben haben?

Die Kommentarspalten zu den Online-Ausgaben der Massenmedien oder die nonkonformen Internet-Foren verraten allzu deutlich, wie sehr sich Politik und veröffentlichte Meinung von der als „gefühlte Wahrnehmung“ abgetanen Lebenswelt der Bürger entfernt haben. Es ist schon etwas perfide, diejenigen für die Terroranschläge in Norwegen verantwortlich zu machen, die die Zustände benennen, die sonst mit Tabus belegt werden, und nicht diejenigen, die diese Realitäten geschaffen haben oder über ihre Interpretationen wachen.

Vielleicht werden die inkriminierten Blogs weiterhin bloß das Speibecken derjenigen sein, denen das auferlegte Schweigen politische Magenbeschwerden bereitet – im günstigeren Fall werden sie aber zur Erneuerung der Meinungsfreiheit, gerade durch den derzeit nötigen Schutz einer relativen Anonymität, beitragen. Und wer von anderen ein offenes Visier fordert, sollte zuerst selbst den Morgenstern aus der Hand legen.

Foto: Twitter-Netzwerke, in der linken Spalte stehen die Nutzernamen: Die Einförmigkeit der Massenmedien nährt Zweifel an der Meinungsfreiheit

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