© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/11 / 12. August 2011

Revolution am Bodensee
Unter der Guillotine: „André Chénier“ auf den Bregenzer Festspielen
Hannes Kiebler

Hinter dem Bühnenbild versinkt die Sonne rot-golden leuchtend im See und stimmt die Zuschauer von Umberto Giordanos Oper „André Chénier“ auf einen wunderbaren Abend ein.

Vor der Französischen Revolution kommt es während eines Festes der Gräfin Coigny zu Störungen. Der Dichter Chénier soll mit seiner Kunst die Gesellschaft der Mächtigen erfreuen. Zögernd trägt er einige seiner Verse vor, die in einer Anklage der herrschenden Mißstände gipfeln. Madeleine, die Tochter des Hauses, ist beeindruckt, die aristokratische Gesellschaft empört. Gerade als die Gräfin ihre Gäste animieren will zu tanzen, um die Aufmerksamkeit von unangenehmen Gedanken abzulenken, stürmt der Diener Gérard an der Spitze einer Gruppe armer Leute in den Ballsaal. Aufgebracht von der erneuten Störung weist die Gräfin den ungebetenen Gästen die Tür. Von Mißständen im Land und deren Ursachen will die herrschende Klasse nichts wissen, selbst wenn die Vorboten nicht zu übersehen sind. Gérard, der Madeleine heiß aber unerwidert liebt, kündigt theatralisch. Nach einer Schrecksekunde geht es im Ballsaal weiter wie gehabt.

Nach einem kurzen Zwischenspiel von mehreren Jahren sind die Unterdrückten zu Unterdrückern geworden. Madeleine versteckt sich in Paris vor den Schergen Robespierres. Ihre Zofe versorgt sie, indem sie als Kurtisane arbeitet. Auch Chénier ist mit einem Freund in der Stadt, der ihm rät, Paris zu verlassen, da er auf den Listen mit politisch Inkorrekten auftauche. Doch der Poet bleibt, da er sich mit einer geheimnisvollen Schönen treffen will. Diese entpuppt sich als Madeleine, und er gesteht ihr seine Liebe. Doch auch der ehemalige Diener Gérard sucht Madeleine. Als er auf das Paar trifft, kommt es zum Kampf. Madeleine und Chénier fliehen. Gérard erkennt den bewunderten Dichter und informiert ihn, daß er auf der Liste der Konterrevolutionäre steht.

Während Kämpfer für die „gute Sache“ geworben werden, muß Gérard die Anklage gegen André Chénier verfassen. Er wurde wegen Hochverrats verhaftet. Gérard zweifelt inzwischen an der Revolution, glaubt den Dichter verloren und ist eifersüchtig, so daß er die Anklage schreibt. Madeleine indessen verspricht Gérard, ihm zu Willen zu sein, sollte er den Geliebten retten. Dieser eilt Chénier, der inzwischen vor Gericht steht, zu Hilfe, ohne Madeleines Notlage auszunutzen. Der Dichter weist das Gericht gerade auf seine Leistungen zum Wohle der Revolution hin, als Gérard zu seiner Unterstützung erscheint. Dennoch wird der Poet unter dem Gebrüll des Pöbels zum Tode verurteilt.

Im Gefängnis schreibt Chénier seine letzten Verse, als Gérard Madeleine hereinführt, die mit ihm sterben will. Sie besticht einen Wärter, um anstelle einer jungen Mutter mit ihrem Geliebten hingerichtet zu werden. Der einzige Weg, den die Liebenden beschreiten, führt sie zur Guillotine.

Nun hat der Tod, der den ganzen Opernabend präsent war, seinen großen Auftritt. In einem grandios inszenierten Finale erhält der Sensenmann seinen Tribut, während ihm die junge Mutter von der Schippe springt.

Selbst das Bühnenbild thematisiert den Tod. Das Gemälde „Der Tod des Marat“ von Jacques-Louis David diente Bühnenbildner David Fielding als Vorlage. Es ist ihm gelungen, den toten Revolutionsführer Marat, der in seiner Badewanne ermordet wurde, in den Bodensee zu verpflanzen. Als geglückt kann die Symbolik bezeichnet werden, die während der ganzen Aufführung subtil vorhanden ist. Regisseur Keith Warner weist jeder gesellschaftlichen Gruppe ihren Platz auf der Bühne zu, was auch in der angestrebten Egalität der Revolution nicht überwunden wird. In einem Spiegel wird zum einen die Prunksucht der aristokratischen Gesellschaft gezeigt, zum anderen die Grausamkeit, auf die die neuen Herren bauen.

Unter der musikalischen Leitung von Ulf Schirmer präsentieren sich die Wiener Symphoniker ausgesprochen gut. Das Gesangsensemble meistert die musikalischen Herausforderungen der Seebühne hervorragend. Allen voran die männlichen Protagonisten Arnold Rawls (Chénier) und John Lundgren (Gérard). Beide bestechen durch ihre ausdrucksstarken Stimmen, wobei Lundgren bei seiner Arie im 3. Akt den Zuschauer besonders zu fesseln versteht. Mit ihrem jugendlich-dramatischen Sopran besticht Amanda Echalaz als Madeleine. Tania Kross als ihre Dienerin kommt an manchen Stellen leider nicht so gut zur Geltung, was aber an der Orchesterabmischung liegt, die stellenweise zu laut ist. Lediglich in der Zwischenmusik vor dem 4. Akt ist ihr stimmliches Potential erkennbar. David Blake zeichnet als Komponist für diese Zwischenmusik – ebenso wie die zwischen dem 1. und 2. Akt – verantwortlich. Er verwendet hierzu Zitate aus der Oper selbst, die er mit eigenen Elementen kombiniert.

Alles in allem erscheint das diesjährige Spiel auf dem See als sehr gelungenes, stimmiges Gesamtkunstwerk, das für die Zuschauer musikalisch und optisch sehr viel zu bieten hat.

Die nächsten Vorstellungen von „André Chénier“ während der Bregenzer Festspiele finden statt am 13., 14., 17., 18., 19., 20. und 21. August, jeweils um 21 Uhr. Kartentelefon:  00 43 / 55 74 / 407-6  www.bregenzerfestspiele.com

Foto: Fotoprobe „André Chénier“ 2011: Als Vorlage für das Bühnenbild diente das Gemälde „Der Tod des Marat“

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