© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/11 / 12. August 2011

Kleine Besetzung, große Ambitionen
Moritzburg-Festival: Ein Kammermusikfest zwischen Agnus Dei und Dinner-Konzerten
Sebastian Hennig

Sehr dynamisch hat sich das Anfang der neunziger Jahre in Moritzburg gegründete Kammermusikfestival entwickelt. Das Landidyll bei dem imposanten Schloß besitzt an sich schon einige Zugkraft. Fanden die Konzerte eines streng kammermusikalisch ausgerichteten Festivals zuerst noch in der neobarocken evangelischen Kirche des Ortes und im Schloß statt, so greift das Geschehen seit einigen Jahren bis auf die Frauenkirche und die Volkswagenfabrik in der nahen Landeshauptstadt über. Damit gelingt es, sowohl mehr Publikum anzuziehen als auch größere Aufmerksamkeit bei potentiellen Sponsoren zu erzielen.

Seit 2006 gibt es das Festival-Orchester, für das hochbegabte Musikstudenten ausgewählt werden. Dieses Jahr musizieren 38 Stipendiaten aus Armenien, Korea, Israel, Weißrußland, Deutschland, Österreich und vielen anderen Ländern unter der Leitung der estnischen Dirigentin Anu Tali mit berühmten Virtuosen zusammen.

In den Anfangsjahren waren oft eingespielte Quartett-Besetzungen zu hören. Inzwischen sind bedeutende Solisten geladen, die in Formationen spielen, die nur zu diesem Anlaß gebildet werden. Unter ihnen befinden sich neben anderen Nicola Benedetti, Nils Mönkemeyer, Philipp Quint und Benjamin Schmid. Der künstlerische Leiter des Moritzburg Festivals, der Cellist Jan Vogler, bewährte sich inzwischen auch als Intendant der Dresdner Musikfestspiele.

Das Eröffnungskonzert in der Gläsernen Manufaktur am Straßburger Platz ist klug zusammengestellt. Der erste Teil gehört den Bläsern. Es ist das Agnus Dei und das Vigilate aus der „Mass for Five Voices“ von William Byrd. Der kunstfertige Tonsetzer und strenge Katholik war am Hofe von Elisabeth I. mit besonderen Privilegien ausgestattet. Pierluigi Palestrina und sein Landsmann John Tavener sind die Gewährsmänner dieser frommen Musik.

Danach erklingt Alfred Schnittkes „Concerto Grosso Nr. 1 für zwei Violinen, Cembali, präpariertes Klavier und 21 Streicher“ von 1977. Dieses eigenwillige Werk gibt den jungen Streichern Möglichkeit zu brillieren und mit den zwei Virtuosen Colin Jacobsen und Mira Wang zusammenzuspielen. Nach der Pause vereinigt sich das Orchester für Franz Schuberts 4. Sinfonie, genannt die „Tragische“.

Im Foyer dieses überdimensionierten Autohauses ist der Zuhörer von Glas und Metall umgeben. Um ein wenig Atmosphäre zu schaffen, wird ein langer schwarzer Vorhang vor das Treppenhaus gezogen. Im Glasturm neben dem Podium steigt oder fällt gelegentlich eine der Luxuskarossen per Fahrstuhl. Die visuelle Umrahmung ist ebenso bizarr wie Schnittkes vibrierende und schlitternde Konzertmusik, die zwischenzeitlich in einem barocken Tollhaus mündet. Byrds geistlicher Musik gelingt es, in ihrem kurzen Verlauf mit stetigem Fluten der Töne die Zeit vergessen zu machen. Sowohl die Zeit damaliger Glaubenskriege als auch die unserer technologischen Hybris versinkt in dieser Musik zu nichts.

Alfred Schnittke verwendete Motive aus seinen Filmmusiken in seinem Konzert. Auch der diesjährige Composer in Residence Torsten Rasch machte sich Namen und Verdienst mit dem Komponieren von Filmmusik. Er wurde 1965 in Dresden geboren, sang dort im Kreuzchor und absolvierte ein Kompositionsstudium. Nach dem Mauerfall siedelte er nach Japan über, wo er Film und Fernsehen belieferte. 2005 kehrte er zurück in die Heimat. Er wurde bekannt durch Adaptionen von Rammstein-Songs und die Zusammenarbeit mit den Pet Shop Boys. Ob sein erstes Streichquartett aus den Niederungen der knalligen Unterhaltung zur subtilen Musik überzugreifen vermag, kann im Konzert im Speisesaal des Schlosses Moritzburg überprüft werden. Die Veranstaltung am 15. August wird zeitgleich im MDR übertragen. Das Jahresprogramm wird diesmal durch einen englischen Schwerpunkt bestimmt. Schirmherr ist Sir Colin Davis. Es erklingen Stücke von Henry Purcell, Edward Elgar, Frank Bridge, Benjamin Britten und Arnold Bax.

Der Zwang zum Wachstum scheint auch im Kulturbereich unvermeidbar. Dazu gehören auch die Dinner-Konzerte. Purcell, Dvorak und Haydn im fürstlichen Speisesaal des Schlosses Moritzburg oder im kleineren Landschloß Proschwitz. Danach servieren die Gourmet-Köche.

Auf den Wiesen des Parkes findet auch ein „Musik-Picknick“ statt. Während die Bögen über die Saiten streichen, sitzen die Grüppchen um ihre Körbe und knuspern und schlürfen ihr Mitgebrachtes. Dabei gibt es weiterhin ganz konzentrierte Darbietungen, in denen die luzide Spannung des Musizierens in der Kammer vorherrscht und das Publikum auf das Kirchengestühl verwiesen bleibt.

Darin liegt das eigentliche Verdienst derartiger Veranstaltungen. Während in den Konzertsälen überwiegend die Baumkronen der großen Sinfonik rauschen, gelingt es mit den Streichquartetten und Sonaten in die Verästelungen des musikalischen Denkens und Schaffens der Tonsetzer einzudringen.

Das Moritzburg-Festival geht noch bis zum bis 21. August. Telefon: 03 51 / 8 10 54 95  www.moritzburgfestival.de

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen