© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/11 / 12. August 2011

Eiserner Gustav
Ein Ex-DDR-Häftling bewahrt das Andenken der Maueropfer mit Provokation und Berliner Schnauze
Tilmann Wiesner

Auf halbem Weg zwischen Brandenburger Tor und dem Reichstag steht ein älterer schlaksiger Herr. Ein markanter, fast kahler Schädel, am Handgelenk baumelt eine Handschelle. „Dett is meine Acht“, berlinert Gustav Rust los, der insgesamt neun Jahre in DDR-Gefängnissen verbracht hat. Der 71jährige Rentner ist fast täglich an der „wilden“ Gedenkstätte für die Mauertoten anzutreffen, wo er quasi als „Berufshäftling“ die Kreuze der Opfer pflegt, sich mit naiven Touristen streitet und seine selbstverlegten Bücher veräußert.

Er sei weder mit Matthias Rust, der 1987 überraschend auf dem Roten Platz in Moskau landete, noch mit dem NS-Unterrichtsminister Bernhard Rust verwandt, erklärt Rust auf Nachfrage der JF. Der gelernte Schweißer stammt aus einer kinderreichen märkischen Familie und kam 1958 wegen „staatsfeindlicher Hetze“ erstmalig in den „Bau“. Er hatte beim obligatorischen DDR-Politunterricht die „Oder-Neiße-Friedensgrenze“ angezweifelt und auf die deutschen Ostprovinzen aufmerksam gemacht.

In den Folgejahren erlebte er mit einigen Unterbrechungen eine Odyssee durch die berüchtigten DDR-Strafanstalten für „Politische“: Bützow, Brandenburg, Magdeburg, Cottbus, Bautzen, Waldheim, Torgau und mehrere kleinere Haftanstalten waren sein Zuhause. Erlebnisse, die sich traumatisch in Rusts Seele eingebrannt haben. Brechen konnten sie ihn indessen nicht.

Während des Mauerbaus 1961 schuftete Gustav Rust auf der „Kippe“ im Braunkohlenwerk Mumsdorf, wo er als DDR-Häftling arbeiten mußte. Die Abriegelung West-Berlins sprach sich unter den Leidensgefährten schnell herum: „Natürlich waren die sauer“, beschreibt Rust die Stimmung. Ohnehin flicht er stets Haftgeschichten in das Gespräch ein. Seinerzeit verschreckte die Renitenz des jungen Mannes die Stasi regelrecht. Rust wendete sich dem Maoismus zu, den er für eine echte Alternative zum orthodoxen Kommunismus der SED hielt. Nachdem er fleißig die Werke Mao Tse-tungs studiert, dessen Ideen in Ost-Berlin verbreitet und schließlich sogar die rotchinesische Botschaft besucht hatte, war das Maß voll. Erst 1975 konnte er in den Westen ausreisen. Seine Haftzeit hat er in mehreren Büchern erzählt.

In der Bundesrepublik schloß sich Rust bald den Republikanern an und mischte bei den Opferverbänden mit. Provokante Aktionen und sein loses Mundwerk machten ihn angreifbar. So protestierte er im Januar 2002 vor der SPD-Parteizentrale gegen die rot-rote Berliner Koalition. Seit 1999 wacht Gustav Rust an seiner Privatgedenkstätte gegenüber dem stark frequentierten Reichstag. Dabei mußte er manche Widerstände überwinden. Nicht nur das Grünflächenamt versuchte ihn zu vertreiben. Mehrfach wurden seine Plakate  heruntergerissen. Wohl auch, weil sich einige Passanten über die provokanten Kurt-Schumacher-Zitate („National ist Ehrensache“) ärgerten.

Der Spiegel attackierte Rust bereits 2008 heftig als „Mann, der Berlin blamiert“. Mitten im Berliner Regierungsviertel hetze ein Ex-DDR-Häftling mit „Nazi-Parolen“ gegen die „rote Gefahr“, empörte sich das Blatt. Auch Kulturstaatsminister Bernd Neumann sei nicht amüsiert. Den linken Journalisten mißfiel, daß Rust mit Flugblättern vor der „FDJ-Aktivistin Angela Merkel“ und der „PDS-Mörderbande“ warne sowie die Rote Armee als „russisch-asiatische Horde“ charakterisiere. Mehr noch dürfte sie gestört haben, daß täglich Hunderte von Touristen vorbeiströmen.

 www.gustav-rust.de

Foto: Gustav Rust vor den Gedenkreuzen der Maueropfer: „Von einem roten Verbrecherstaat ermordet“

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