© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/11 / 19. August 2011

Pankraz,
Philipp Rösler und die Leerverkäufe

Das hat man ihm gar nicht zugetraut: Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler, an sich ein typisches politisches Weichei, will die sogenannten Leerverkäufe von Aktien der Bank- und Fi-nanzunternehmen weltweit verbieten lassen. Einige Banker und Finanzexperten protestieren dagegen, aber ansonsten ist die Zustimmung geradezu überwältigend. Wem will schon einleuchten, daß es ein gutes, anständiges Geschäftsgebaren sei, wenn jemand mit Wertpapieren an der Börse herumjongliert, die ihm gar nicht gehören und die er nur einsetzt, um sie zu entwerten und damit persönlichen Profit zu machen!

Denn darauf läuft es in jedem Fall hinaus: Der Leerverkäufer spekuliert immer auf Baisse, auf fallende Kurse, weil er nur so seinen Reibach machen kann. Er leiht sich Aktien gegen eine Gebühr, die weit unter dem Aktienwert liegt (in der Regel nur zwei Prozent) und verkauft sie zum aktuellen Aktienwert. Geht sein Kalkül auf und der Kurs verfällt, kann er die Papiere „für ’nen Appel und ’n Ei“ zurückkaufen und dem Verleiher zurückgeben. Die Differenz zwischen Ankaufspreis und Rückkaufpreis ist sein Gewinn – und der kann gewaltig sein.

Minister Rösler sagt, die Praxis der Leerverkäufe sei für viele Volkswirtschaften brandgefährlich, da sie Abwärtstrends unnötigerweise horrend verstärke, ja sogar bewußt herbeiführe, indem sie Panik und Untergangsstimmung anfache. Deshalb also sollte sie unterbunden werden. Pankraz findet das richtig, plädiert aber dafür, Leerverkäufe nicht nur in Krisenzeiten, sondern überhaupt und auf Dauer zu verbieten. Denn sie sind im Grunde wider die menschliche Natur und rücken nicht nur Finanzspekulanten, sondern sämtliche Glücksspieler und Wett-Enthusiasten in ein moralisches Zwielicht.

Glücksspiele und Wetten sind jedoch von Haus aus keineswegs unmoralisch. Kein einziges religiöses oder staatliches Gesetz gegen sie ist bekannt, aus welcher Weltkultur oder welcher Geistesepoche auch immer, obwohl schon im alten China und im alten Athen, ja wahrscheinlich schon bei den Neandertalern leidenschaftlich gewettet und gespielt wurde, oft um höchste Einsätze, um Lieblingsfrauen und Lieblingswaffen, um Grundstücke und viel, viel Geld. Von Anfang an gab es auch Agenten, die Glücksspiele vermittelten und daraus Profit schlugen; in London ist noch eine Lotto-Annahmestelle aus dem Jahre 1569 bekannt.

Wetten und Glücksspiele galten überall als eine willkommene Unterbrechung des von Gesetzen und Notwendigkeiten umstellten Alltags. Sie beförderten Hoffnungen, sie vermittelten direkten Kontakt zu den Göttern, zur Glücksgöttin Fortuna jedenfalls, welche man herausforderte und der man sich auslieferte. Stets wurde um Positivitäten gewettet, eben um Glück, nicht um Unheil. Das Projekt Leerverkauf mit seiner ungenierten Hoffnung auf den Untergang (anderer) kann geradezu als schlimme Perversion des Wett- und Glücksspielbetriebs angesehen werden.

Keine Rede kann denn auch davon sein, daß ein Verbot der Leerverkäufe die Regeln der freien Marktwirtschaft verletze. Als im Jahre 1609 der erste bekannt gewordene Leerverkäufer des Abendlands, Isaac Le Maire aus Amsterdam, mit Aktien der „Vereenigte Ostindische Compagnie“ (VOC), die ihm gar nicht gehörten, mit Aussicht auf Kursverlust (infolge des Krieges mit England) herumzuspielen begann, verurteilten das die Notablen und erließen, als erste Regulierung für Börsengeschäfte überhaupt, ein Verbot von Leerverkäufen.

Über die ganze Strecke des modernen Kapitalismus hinweg empfand man Leerverkäufe permanent als Ärgernis und Störung der freien Marktwirtschaft und suchte sich ihrer zu erwehren. Im Gefolge der Großen Depression von 1929 erließ der Kongreß in Washington das sogenannte Uptick-Gesetz, das Leerverkäufe von Titeln mit fallenden Kursen strikt untersagte. Dieses Gesetz wurde erst 2007, unmittelbar vor Ausbruch der Immobilienkrise, auf Druck der törichten Bush-Regierung aufgehoben, ist aber inzwischen angesichts der dramatischen Entwicklungen durch entsprechende Ersatzregelungen faktisch wiederhergestellt.

Auch in Deutschland wurden im Zuge der Finanzkrise Leerverkäufe von Finanzwerten verboten, wie mittlerweile auch in Österreich, Australien, Kanada, Taiwan. Alle diese Verbote lassen freilich, in der Hoffnung auf bessere Zeiten, Schlupflöcher offen. Die vorige Woche aus Frankreich, Belgien, Spanien und Italien hinzugekommenen Verbote sind von vornherein zeitlich scharf limitiert. Angesichts dessen muß man die jüngste Forderung Philipp Röslers nach totalem, international exekutiertem Verbot fast als einsamen Husarenritt bezeichnen, dem schwerlich stabile Truppenkräfte folgen werden.

Und dabei sind die Bastionen, die erstürmt werden müßten, äußerst stabil und gut bewehrt. Die globale elektronische Vernetzung hat nicht zuletzt den Finanzspekulanten schier unermeßliche Möglichkeiten des Ausweichens, des Umgehens von Gesetzen, der ungestörten privaten Gewinnmaximierung eröffnet. Man weiß nicht, was verhängnisvoller ist, die hemmungslose Schuldenmacherei der Staaten oder die nicht minder hemmungslose Gier der Banken und Börsen nach immer neuen „Zertifikaten“, deren Spekulationsmasse von Tag zu Tag bläßlicher, vager und materieloser wird.

Unser ganzer neuartiger „Casinokapitalismus“ (Hans-Werner Sinn) droht darüber zum puren Himmelfahrtskommando zu werden. Er spekuliert, könnte man glauben, nur noch mit „Produkten zweiten oder dritten Grades“, die kaum noch etwas mit der Realwirtschaft zu tun haben, am liebsten eben mit staatlichen Schuldscheinen, deren Kursverfall immer gewaltiger wird, im selben Takt, wie die Staaten immer mehr Schulden machen.

Natürlich ist solches Treiben schlimm, doch schlimmer ist das Treiben von ministeriellen Schuldenmachern à la Rösler. Merke: Nur wer seine eigenen Hausaufgaben gemacht hat, darf kräftige Sprüche gegen andere riskieren.

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