© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/11 / 19. August 2011

Im Trainingsanzug auf der Flucht
DDR-Geschichte: Eine Wanderausstellung präsentiert Spitzensportler auf dem Weg in die Freiheit
Christian Dorn

Mit dem 50. Jahrestag des Mauerbaus geraten zunehmend essentielle Geschichten in den Blick, die bislang kaum öffentlich thematisiert wurden. Dabei eignen sich manche zur besonderen Aufklärung, etwa wenn es darum geht, den Mythos von der „Sportnation DDR“ zu zerstören. Deutlich wird dies in den Schicksalen der über 600 namentlich bekannten Spitzenathleten, die der DDR den Rücken zu kehren versuchten.

Dieser Akt des Freiheitswillens stellte aus Sicht des Arbeiter- und Bauernstaates einen besonders schweren Akt des „Landesverrats“ oder – bei Angehörigen des Armeesportvereins ASV – der „Fahnenflucht“ dar. War es doch eine Demütigung für das mühsam erkämpfte Ansehen der sozialistischen Diktatur, die ihre internationale Anerkennung zuletzt nur noch über ihre „Diplomaten im Trainingsanzug“ zu gewinnen vermochte. Eine von den Athleten selbstgewählte „Demission“ war in der Welt des DDR-Regimes nicht vorgesehen.

Nachfühlbar wird dies in den persönlichen Auskünften von fünfzehn exemplarisch ausgewählten Olympioniken, deren Schicksal in der Exposition „ZOV Sportverräter – Spitzenathleten auf der Flucht“ von den Betroffenen selbst wiedergegeben wird. Der Titel zitiert den „Zentralen Operativen Vorgang“, den das MfS unter dem Namen „Sportverräter“ im Dezember 1961 angelegt hatte.

Die vom Zentrum deutsche Sportgeschichte (ZdS) ausgerichtete und von der spanischen Künstlerin Laura Soria konzipierte Wanderausstellung berührt den Besucher in persönlicher Weise, tritt er doch in einer Installation dem jeweiligen Sportler gegenüber, der mit Beginn des Abspiel-

modus aus dem Standbild des jeweiligen Porträts heraustritt und dem Betrachter seine Geschichte erzählt. Emotional aufwühlend sind hier alle Berichte, denn jeder Fluchtversuch – ob geglückt oder nicht – hatte ein nicht absehbares Nachspiel.

Relativ folgenlos waren nur die ersten Fluchten zu Beginn der DDR, als ganze Mannschaften in den Westen flüchteten wie etwa im Mai 1950, als fast alle Spieler des ehemaligen Deutschen Meisters Dresdner SC nach West-Berlin zum Klub Hertha BSC flohen, unter ihnen Helmut Schön, der später als Bundestrainer die deutsche Fußballelf zum WM-Sieg von 1974 führte.

Drakonisch fiel die Strafe für den dreifachen DDR-Meister und Nationalspieler Peter Kotte von der SG Dynamo Dresden aus. Zusammen mit den Mannschaftskameraden Matthias Müller und Gerd Weber war er im Januar 1981 am Flughafen Schönefeld vor der Abreise der Fußball-Nationalmannschaft nach Südamerika von der Staatssicherheit verhaftet worden. Während Weber für seine geplante „Republikflucht“ ins Gefängnis mußte, erhielten seine Kameraden Müller und Kotte wegen „Mitwisserschaft“ vom DDR-Fußballverand eine lebenslange Sperre für die Oberliga sowie für die zweitklassige DDR-Liga. Als Kotte 1982 mit dem drittklassigen Verein von Fortschritt Neustadt den Aufstieg in die zweite Liga schaffte, wurde er zur Strafe in deren zweite Mannschaft verbannt. Wie schon unter Stalin wurden auch offizielle Fotografien von den „Verrätern“ gesäubert. So war Kottes Kopf im Mannschaftsfoto der FuWo (Fußballwoche), das etliche Fans extra wegen Kottes offizieller Auferstehung gekauft hatten, durch das Konterfei eines Mitspielers ersetzt worden.

Doch selbst gelungene Fluchten hatten oftmals Repressionen zur Folge. Berüchtigt ist etwa das Schicksal des geflohenen BFC Dynamo-Stürmers Lutz Eigendorf. Etliche Indizien weisen darauf hin, daß das MfS die Hände bei dessen tödlichem Autounfall mit im Spiel hatte. Im Fall des Fußballspielers Falko Götz, der sich 1983 mit dem Teamkollegen Dirk Schlegel in Belgrad abgesetzt hatte, nahm die Staatssicherheit dessen Familie ins Visier. Gezielt spähten langjährige persönliche Freunde der Eltern die Familie Götz aus, zudem erwog die Stasi die Möglichkeiten einer Entführung.

Darüber hinaus reichte der Druck der DDR-Verbände bis in den Westen, wenn es um die Startgenehmigungen früherer DDR-Athleten ging. So waren die Fluchten des Turners Wolfgang Thüne, der von seinem Konkurrenten Eberhard Gienger im Auto über die Grenze geschmuggelt wurde, des Diskuswerfers Wolfgang Schmidt oder des Rückenschwimmers Frank Hoffmeister in den höchsten bundesdeutschen Sportkreisen unwillkommen, weil die Seitenwechsler die „Entspannungspolitik“ mit der DDR belasteten. Die Verständigung mit den DDR-Funktionären war wichtiger als das individuelle Schicksal der Athleten.

Die Wanderausstellung ist bis zum 28. August im Berliner Willy-Brandt-Haus, Wilhelmstraße 140 / Stresemannstraße 28, täglich außer montags von 12 bis 18 Uhr zu sehen. Telefon: 030 / 2 59 93-700. Der Eintritt ist frei. Die Begleitpublikation kostet in der Ausstellung 10 Euro. www.zov-sportverraeter.de 

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