© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/11 / 19. August 2011

Sendernetzwerk nach US-Vorbild
Ex-RTL-Chef Thoma gründet Volks-TV mit kleinem Budget und großen Plänen / Sendebeginn Herbst 2011
Ronald Berthold

Das alte Zirkuspferd braucht die Manege. Mit einer aus den USA stammenden Idee versucht der frühere RTL-Chef Helmut Thoma, wieder Macht über die Mattscheibe zu bekommen. Der 72jährige möchte noch in diesem Herbst mit „Volks-TV“ auf Sendung gehen.

Das Prinzip ist einfach. Aus dem Flik-kenteppich der privaten regionalen Fernsehstationen baut Thoma ein deutschlandweites Netz. Das heißt: Sender wie tv.berlin oder Hamburg 1 werden miteinander verbunden und bekommen von „Volks-TV“ ein Mantelprogramm. Um 20.15 Uhr läuft dann beispielsweise deutschlandweit ein quotenträchtiger Hollywood-Film, während zuvor, je nach Region, lokale Magazine ausgestrahlt wurden.

Ähnlich funktionieren auch Tageszeitungen in kleinen Städten; den Lokalteil liefert die örtliche Redaktion, die anderen Ressorts werden von einer Zentralredaktion bestückt. Übertragen aufs Fernsehen bietet dieser sogenannte Mantel den kleinen Sendern den Vorteil, für überregionale Werbekunden interessant zu werden. Während derzeit nur Spots von kleinen Autohändlern oder Reisebüros zu sehen sind, sollen demnächst auch die nationalen und internationalen Unternehmen bei den Regionalsendern ihre Anzeigen schalten.

Thoma rennt mit seiner Idee auch daher offene Türen ein, weil viele kleine Lokalsender chronisch klamm sind. Der Qualität des Programms ist dies derzeit anzumerken. Viele Sendungen scheinen heute den Schuhen des Offenen Kanals nur knapp entwachsen zu sein. Entsprechend gering sind die Einschaltquoten. Der Mantel von „Volks-TV“ könnte für diese TV-Stationen der Weg zu mehr Professionalität und mehr Umsatz werden.

Bedingung wird allerdings sein, daß tv.berlin, Hamburg 1 und all die anderen ihre Reichweite von der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) messen lassen. Solange sie dies nicht tun, werden die großen Agenturen einen Bogen um „Volks-TV“ machen. Denn nur mit den ermittelten Quoten wissen die Werbekunden, wieviele Zuschauer ihre Filmchen gesehen haben. Auch hier könnte Helmut Thoma Abhilfe leisten. Eine GfK-Lizenz ist für Regionalsender noch zu teuer, im Verbund wird sie automatisch günstiger.

Die Kommission für Zulassung und Aufsicht der Medienanstalten (ZAK) erteilte dem von Thoma und seinem Partner Helmut Keiser betriebenen Sender die Lizenz für eine Dauer von zehn Jahren. Ob das Projekt so lange durchhält, dürfte auch von den Geldgebern abhängig sein. Thoma kalkuliert sehr sparsam mit 30 Millionen Euro.

Doch ob diese Summe genügt, ist fraglich. Fernsehproduktionen sind personal- und kostenintensiv. „Mein Ziel ist es, eine merkbare dritte Kraft im deutschen Privatfernsehen zu werden“, sagt Helmut Thoma. Diese ehrgeizige Marschroute wird er mit seinem Minibudget aber nicht erreichen. Schon einmal ist die Vernetzung der regionalen Fernsehsender in Deutschland schiefgegangen – und das obwohl ein Branchengigant dahinter steckte. 1998 versuchte Thoma über RTL City TV, sechs lokale Sender mit einem siebenstündigen Mantel zu verbinden. Vier davon kamen aus Bayern. Dies reichte nicht aus, um Attraktivität für die Werbewirtschaft zu schaffen.

Das Projekt scheiterte nach kurzer Zeit, obwohl RTL aus seinem Fundus diverse Serien und Spielfilme zur Verfügung stellte. Der Sender machte den Verbund-Kanal dicht, nachdem Thoma im selben Jahr das Haus verlassen und Medienbeauftragter des damaligen Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, Wolfgang Clement, geworden war.

Nun folgt also der zweite Anlauf des alternden Medienmanagers. Als geglücktes Vorbild für sein „Volks-TV“ könnten die USA herhalten. In Übersee ist seit Beginn des Fernsehzeitalters das sogenannte „Network Broadcasting“ festes Prinzip. Die auch in Europa bekannten NBC, CBS und ABC arbeiten seit Jahrzehnten als ein Netz kleiner regionaler Stationen mit überregionalem Mantel. Später stieß der dezidiert konservative Sender Fox zu diesem Trio dazu, der inzwischen Marktführer ist. Thoma will diese Erfolgsgeschichte nun auch nach Deutschland tragen.

Anfangs ein „relativ einfaches“ Programm

Wenn einer diesen Kraftakt stemmen kann, dann wohl der schwergewichtige Wiener. Er hat mit seinem Gespür für den Geschmack des Volkes einst RTL vom anfangs wenig beachteten Neuling zur Nummer eins gemacht. Seine Erfahrungen werden für „Volks-TV“ Gold wert sein. Mit Keiser hat er zudem einen Partner, der die Kompetenz des Lokalfernsehens einbringt. Ihm gehören mit seiner „Infobonn Holding“ die Regionalsender NRW TV und DFA Regional Baden-Württemberg.

Daß sich weitere Lokalstationen anschließen, ist nicht unwahrscheinlich. Mathias Adler von tv.berlin frohlockt bereits, mit „Volks-TV“ neue Werbemärkte erschließen zu können, dabei aber gleichzeitig die eigene Lizenz zu behalten. Denn die kleinen Sender gehen in dem Verbund nicht auf, sondern bleiben selbständig. Das neue TV-Netzwerk wird frei empfangbar ausgestrahlt.

Niemand kennt die genauen Quoten der Minisender

Erfolgreich beworben haben sich Thoma und Keiser bei der ZAK mit einem 24stündigen Vollprogramm-Konzept, in das die regionalen Fenster integriert werden. Schwerpunkt sollen „Entertainment und Education“ sein, also Unterhaltung und Bildung. Was davon letztlich übrigbleibt, werden die Quoten zeigen. Thoma weiß, wie schwer es wird: „Am Anfang wird es ein relativ einfaches Programm sein, da werden sich die Kritiker wieder darüber zerreißen“, sagt er prophetisch.

Das zunächst über Satellit und Internet verbreitete „Volks-TV“ soll auch ein „Dialog-Fernsehen“ werden. Die Zuschauer werden zur Mitgestaltung eingeladen, sagt Thoma. Audio- und Video-Chats sind geplant.

Damit könnte der neue Sender aus dem Meinungseinerlei der Mitbewerber ausbrechen, ein Alleinstellungsmerkmal finden und zum echten Volks-TV werden. Insofern liegt wahrscheinlich hier die größte Chance für Helmut Thoma, den Pulsmesser der Fernsehnation.

 

Fernseh-Flops

Die Liste der ehrgeizig gestarteten und dann gescheiterten Fernsehsender ist lang: Sie reicht vom Nachrichtensender Rias-TV über den Spiele- und Musiksender Giga bis hin zum Frauensender TM3. Auch der Gewinnspielsender Neun-Live wurde anfangs als „Fernsehen der neuen Generation“ hochgejubelt. Als jedoch auch der letzte Zuschauer den Hütchenspielcharakter der „Gameshows“ erkannt hatte, sanken die Quoten dramatisch. Vorige Woche wurde Neun-Live abgeschaltet. (rg)

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