© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/11 / 26. August 2011

Ein Schritt zur Finanzdiktatur
Euro-Krise: Eine neue Wirtschaftsregierung soll die Politik der Mitgliedsländer der Währungsunion bestimmen
Karl Albrecht Schachtschneider

Nicolas Sarkozy, der Deutschland die Finanzpolitik diktiert, und Bundeskanzlerin Angela Merkel haben beim Pariser Gipfel am 17. August außer Schuldenobergrenzen und Finanztransaktionssteuern die Einrichtung einer seit langem von Frankreich geforderten Wirtschaftsregierung der Euro-Länder vorgeschlagen. Diese soll deren Wirtschafts- und Finanzpolitik steuern, aus den Staats- und Regierungs­chefs der Euro-Länder bestehen und mindestens zweimal jährlich tagen.

Das ist ein weiterer Schritt, die Eigenstaatlichkeit zunächst der Euro-Länder durch einen zentralistischen Unionsstaat abzulösen. An den von den Großgläubigern der Staaten (Banken, Versicherungen, Fonds) geforderten Euro-Bonds wird dennoch weiter gearbeitet. Sie würden finnische Absicherungen mittels Pfand ausschließen. Aber Wolfgang Schäuble hat klar gesagt: „Ich schließe Euro-Bonds aus, solange die Mitgliedstaaten eine eigene Finanzpolitik betreiben und wir unterschiedliche Zinssätze benötigen, um finanzpolitische Solidität zu erzwingen.“ Euro-Bonds könnten erst „am Ende des Weges“ stehen, stimmt Sarkozy ein. Also: Erst die Wirtschaftsregierung, dann die Euro-Bonds.

Diese würden allein die Zinslasten Deutschlands um 15 bis 50 Milliarden Euro jährlich erhöhen. Die Folgeschäden, Investitionsverluste und Haftungsrisiken, wären unermeßlich. Die Steuerzahler haben zusätzliche Lasten zu tragen. Für die Armen, Kranken und Alten, die auf staatliche Transfers angewiesen sind, wird das bedrückend. Die Sozialisierung der Kreditkosten verstößt nicht nur gegen ein Grundprinzip der Markt- wie der Staatswirtschaft, nämlich die Einheit von Handlung und Haftung, sondern setzt den Zinstransfer fort, der die Schuldenkrise wesentlich verursacht hat. Staatswidrig ist die gesamte Euro- und Euro-Rettungspolitik.

Schon seit dem Maastricht-Vertrag kann die EU Grundzüge der Wirtschaftspolitik der Union und der Mitgliedstaaten empfehlen. Freilich haben die Empfehlungen nur schwache rechtliche Verbindlichkeit und so gut wie nichts bewirkt. Der Lissabon-Vertrag regelt das in Artikel 121 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Der Euro-Plus-Pakt macht im Rahmen des permanenten Rettungsschirms ESM ebenfalls makroökonomische Vorgaben, die national verwirklicht werden sollen. Nur wenn deren Verbindlichkeit erheblich intensiviert wird, können Beschlüsse einer künftigen Wirtschaftsregierung die Finanzpolitik der Euro-Länder disziplinieren. Das ist der Union bislang nicht gelungen. Den wirksamsten Druck übt die Weigerung aus, finanziell zu helfen.

Wirtschaftsregierung hat keine Vertragsgrundlage

Das Mittel wird bei der Griechenlandhilfe und durch den jetzigen Rettungsfonds EFSF und den zukünftigen ESM bereits genutzt, allerdings staats- und demokratiewidrig. Diesem Zwang dürfte Frankreich entgehen wollen. Die Wirtschaftsregierung wird es dominieren, dank selbstbewußt gelebter deutsch-französischer „Freundschaft“. Auch die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank (EZB), die in der Krise mittels persönlicher Loyalitäten ohnehin gegängelt wurde, dürfte relativiert werden, zumindest politisch.

Beim Umbau des EU-Staatenverbundes zum Bundesstaat wird ein weiterer Eckstein gesetzt. Eine Währungsunion hat ohne politische Union keine Chance. Deren finanzpolitisches Credo ist die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse. Die Lebenskosten werden sozialisiert – wer auch immer die Finanzierung erwirtschaftet. Der überzogene Finanzausgleich innerhalb Deutschlands hat schon erheblich geschadet. Die industrieschwachen Bundesländer sind durch die Transfers nicht wettbewerbsfähiger geworden. So ist das auch in der EU und wird erst recht so bleiben, wenn die Zwänge der Kreditmärkte entfallen. Die bisherigen Zinssubventionen der Einheitswährung und die so erleichterten Verschuldungen haben die Divergenz der Volkswirtschaften vergrößert.

Eine Wirtschaftsregierung hat bisher auch keine Vertragsgrundlage. Artikel 136 AEUV ermächtigt den EU-Rat, die Koordinierung und Überwachung der Haushaltsdisziplin der Euro-Länder zu verstärken und besondere Grundzüge für deren Wirtschaftspolitik auszuarbeiten. Im Rat haben dabei nur die Vertreter der Euro-Länder Stimmrecht. Er entscheidet mit qualifizierter Mehrheit. Die Wirtschaftsregierung sollen demgegenüber die Staats- und Regierungschefs bilden, die einstimmig beschließen. Deren Befugnisse sollen erheblich weiter reichen als die des Rates, insbesondere in der Finanzpolitik. Eine Vertragsänderung ist dafür unabdingbar. Aber die wird nicht gelingen. Die Euro-Länder bilden nach einem solchen Schritt dann allemal einen Bundesstaat. Ohne ein neues Verfassungsgesetz nach Artikel 146 Grundgesetz darf Deutschland aber seine umfassende Staatshoheit nicht aufgeben. Dies bedarf der plebiszitären Zustimmung des deutschen Volkes, wie das Lissabon-Urteil eingeräumt hat.

Ökonomisch macht die Wirtschaftsregierung allein nicht viel Sinn. Sie wird die Finanzmärkte nicht beruhigen und die Lage der Staaten, die ihren Kredit verloren haben, nicht verbessern. Aber die Währungsunion bewährt sich durch ihr Scheitern staatspolitisch – als Hebel zur Diktatur der Unionsführer. Die Demokratie ist längst der europäischen Integration geopfert worden. Das Europäische Parlament würde im übrigen eine Wirtschaftsregierung nicht legitimieren können. Es ist selbst eine durch und durch undemokratische Veranstaltung.

 

Prof. Dr. Karl A. Schachtschneider klagt mit vier anderen Professoren gegen die Griechenlandhilfe und den Euro-Rettungsschirm. www.kaschachtschneider.de

 

Euro-Wirtschaftsregierung

Der französische Präsident Nicolas Sarkozy und Bundeskanzlerin Angela Merkel haben in einem gemeinsamen Brief vorgeschlagen, die „wirtschaftspolitische Steuerung des Euro-Währungsgebiets“ zu intensivieren. Dafür müsse „der institutionelle Rahmen des Euro-Währungsgebiets gestärkt und straffer organisiert werden“. Die Treffen der Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone sollen mindestens zweimal pro Jahr stattfinden. Dabei sollen „die korrekte Umsetzung des Stabilitäts- und Wachstumspakts durch die Euro-Mitgliedstaaten überprüft, die Probleme einzelner Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets diskutiert und die notwendigen Grundsatzentscheidungen zur Krisenabwehr getroffen“ werden. Hierfür soll ein Vorsitzender gewählt werden, der im Regelfall zweieinhalb Jahre im Amt bleibt. Der belgische Ex-Premier Van Rompuy soll laut Sarkozy und Merkel erster Chef der sogenannten Euro-Wirtschaftsregierung werden.

Gemeinsamer Deutsch-Französischer Brief an EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy: www.bundesregierung.de

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