© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/11 / 26. August 2011

Frischgedruckte Dollars für den Schuldendienst
USA: Die Herabstufung der staatlichen Kreditwürdigkeit überrascht nicht, sie hätte schon viel früher erfolgen müssen
Patrick J. Buchanan

Gegen die Entscheidung von Standard & Poor’s (S&P), die Kreditwürdigkeit der USA von AAA auf AA+ herabzustufen, hat sich ein schrilles Pfeifkonzert aus der Pressekabine und den Rängen der Obama-Fans erhoben. Die Ratingagentur, so protestieren sie, hielt bis zum bitteren Ende an A-Einstufungen für Banken wie Lehman Brothers fest, deren Bilanzen massenhaft faule Kredite enthielten. Zudem habe S&P sich beim US-Schuldenstand um zwei Billionen Dollar verrechnet und die Herabstufung nach politischen Kriterien vorgenommen. Die US-Börsenaufsicht SEC hat sogar eine Untersuchung eingeleitet. Das mag sogar alles richtig sein. Relevant ist nichts davon.

Die USA haben diese Herabstufung redlich verdient. Niemand glaubt ernsthaft, daß die USA ihren Gläubigern die 14 Billionen Dollar, die sie ihnen derzeit schulden, zum selben Wert zurückzahlen werden – geschweige denn die 21 Billionen, die sie ihnen bis 2020 schulden werden. Allein in den vergangenen zwölf Monaten verzeichnete der Dollar einen Wertverlust von 30 Prozent gegenüber dem Schweizer Franken. Ein Schweizer, der im Juni 2010 Franken zum damaligen Wechselkurs gegen US-Dollar umtauschte, um Schuldverschreibungen mit einjähriger Laufzeit im Wert von 100.000 Dollar zu kaufen, hätte im Juni dieses Jahres dafür 100.000 Dollar ausgezahlt bekommen – deren Gegenwert in Schweizer Franken aber lag um 30 Prozent niedriger als ein Jahr zuvor.

Alan Greenspan versichert, daß eine Zahlungsunfähigkeit der USA nicht zu befürchten sei. Warum nicht? Weil unsere Schulden in Dollar ausgewiesen sind und wir Dollarscheine drucken können, um sie zurückzuzahlen. So jedenfalls sieht es Notenbankchef Ben Bernanke, der nach ebendiesem Prinzip verfahren ist. Im Grunde entspricht das der im alten Rom beliebten Praxis, Münzen zu „trimmen“ – mit anderen Worten, der Staat bestiehlt sowohl seine eigenen als auch ausländische Bürger. Seit Jahresanfang hat der Dollar bereits fünf bis zehn Prozent gegenüber den Währungen verloren, die weltweit das höchste Ansehen genießen. Warum regen sich die Chinesen auf? Weil sie auf über einer Billion US-Dollar in Form von Schuldverschreibungen sitzen, mit denen wir für in China hergestellte Produkte bezahlt haben. Die Kaufkraft dieser Papiere schrumpft wöchentlich.

John Kerry ist „überzeugt, daß diese Herabstufung ohne jede Frage auf das Konto der Tea Party geht“. Inwiefern? Weil die Tea Party Obamas Deal mit John Boehner, dem Sprecher des Repräsentantenhauses, der die Schuldenkrise lösen sollte, einen Riegel vorgeschoben hat. Angeblich war der Präsident bereit, sich auf Ausgabenkürzungen in Höhe von drei Billionen Dollar für die staatliche Rentenversicherung und die Gesundheitsfürsorge für Alte (Medicare) und sozial Schwache (Medicaid) einzulassen; die Mitglieder der Tea Party hätten sich jedoch geweigert, auch nur Einsparungen in Höhe von einer Billion zuzustimmen.

Harte Sozialkürzungen und Abbau von Steuerprivilegien

Freilich drängt sich dabei die Frage auf: Wenn der Präsident tatsächlich meint, daß eine Reform des Sozialwesens der Schlüssel zur Lösung der Krise sei – warum braucht er die Unterstützung der Tea Party, um seinen Job zu machen? Natürlich braucht er sie nicht. Die Verweigerungshaltung der Tea Party ist nicht der Grund für Obamas Versäumnis, Ausgabenkürzungen vorzunehmen. Sie ist lediglich seine Entschuldigung dafür. Würde Obama morgen ankündigen, die Ausgaben im Sozialwesen um drei Billionen Dollar zu kürzen, um das AAA-Rating wiederherzustellen, ihm wäre die volle Unterstützung der Tea Party gewiß. Der Protest käme von Kerrys Parteifreunden im Senat und Nancy Pelosis Fraktion im Repräsentantenhaus.

Um sich zu vergegenwärtigen, wie absurd es ist, Tea-Party-Republikaner für die Herabstufung der Kreditwürdigkeit verantwortlich zu machen, braucht man sich nur folgende fiktive Konstellation vor Augen zu führen: Der Republikaner Ron Paul ist Sprecher des Repräsentantenhauses, Rand Paul Mehrheitsführer im Senat und Paul Ryan US-Präsident. Wer wollte bezweifeln, daß dieses Triumvirat die Kreditwürdigkeit der USA im Handumdrehen wiederhergestellt hätte? Sämtliche heiligen Kühe auf der Washingtoner Weide, von Lebensmittelmarken bis zur Entwicklungshilfe, hingen längst am Fleischerhaken.

So sehr die Amerikaner ihren Präsidenten mögen, beginnt sich bei einer Mehrheit doch die Ansicht durchzusetzen, daß er einfach nicht entschlußfreudig genug ist, um uns aus dem Schlamassel herauszuführen, in dem er das Land bei seinem Amtsantritt vorgefunden hat. „Er hat es nur noch schlimmer gemacht!“ bietet sich zunehmend als Wahlkampfslogan der Republikaner für 2012 an. Wenn Obama die Kreditwürdigkeit der USA wirklich wiederherstellen will, sollte er zwei separate und gleichermaßen kühne Schritte in Erwägung ziehen, die sich beide mit seinen Überzeugungen vereinbaren lassen.

Erstens sollte er den Republikanern klarmachen, daß er mit oder ohne ihre Unterstützung an den geplanten Ausgabenkürzungen im Sozialwesen festhalten wird. Er hätte die Partei sofort auf seiner Seite. Zweitens sollte er den Republikanern anbieten, Steuern für Unternehmen und Privatpersonen zu kürzen, um die Wettbewerbsfähigkeit der USA zu steigern. Im Gegenzug müßten sie sich lediglich einverstanden erklären, alle Lücken, Ausnahmeregelungen und Abschreibungsmöglichkeiten in der Steuergesetzgebung abzuschaffen.

Auch hierbei könnte er auf die Hilfe der Republikaner wie der Tea Party zählen. Er könnte dadurch sogar seine Chancen auf eine Wiederwahl verbessern – vorausgesetzt, seine eigene Partei wäre bereit, ihn erneut als Präsidentschaftskandidaten aufzustellen. Was die Herabstufung durch Standard & Poor’s angeht, so kann ich nur wiederholen: Das einzig Überraschende daran ist, daß sie nicht schon viel früher erfolgt ist.

 

Patrick J. Buchanan war mehrfach US-Präsidentschaftskandidat. Er ist Mitbegründer der Zeitschrift „The American Conservative“.

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